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Vom Provinzarzt zum Nobelpreisträger. Robert Koch brachte es zu Weltruhm.

© dpa

Forschung: Robert Koch Superstar

Vor 100 Jahren starb der Entdecker des Tuberkulose-Erregers, Robert Koch - einer der berühmtesten Ärzte seiner Zeit.

Er starb am 27. Mai 1910, vermutlich an einem Herzinfarkt, nicht an einer Infektion. Das ist erstaunlich, denn der Bakterienforscher Robert Koch hatte sein ganzes Leben lang Krankheitskeime gejagt und seine Hände in den größten Schmutz gesteckt. Er sammelte Proben in menschlichen Leichen und tierischen Kadavern, in verwesten Pflanzen und stinkenden Rieselfeldern, vor allem aber in den erbärmlichsten Unterkünften der Armen, die immer wieder der Ausgangspunkt von Seuchen wurden.

Während der Choleraepidemie 1866 arbeitete er als Assistenzarzt in Hamburg, in der Klinik, in der die meisten Kranken eingeliefert wurden und jämmerlich starben. Denn man konnte nichts tun, in der Zeit „vor Koch“. Später jagte er die Schlafkrankheit in Ostafrika, die Beulenpest in Indien und den Typhus im Ruhrgebiet. Robert Koch war immer da, wo Menschen durch Epidemien in großer Zahl starben. Und trotzdem überlebte er 66 Jahre lang.

In der Karriere Robert Kochs lief eigentlich alles ungewöhnlich. Er startete als Hausarzt in der Provinz und endete als Nobelpreisträger und Superstar. Er stammte nicht aus einer Ärztedynastie, sondern wurde als drittes von 13 Kindern eines Bergrates in Clausthal geboren. Koch arbeitete zunächst nicht in Berlin, Paris oder London, wo die großen Legenden der Medizin forschten, sondern in kleinen Städtchen wie Langenhagen und Wollstein oder kurz in Breslau. Sein Medizinerleben begann nicht als Forscher in einer der renommierten Institutionen des Deutschen Reiches, sondern als Hausarzt in seiner eigenen Praxis. Und das mit nicht sehr großen Erfolgen: Mehrmals musste er aufgeben und die Praxis schließen, einfach weil er pleite war.

Doch der Provinzmediziner war auch ein Forscher, in der freien Zeit und in den Hinterzimmern seiner Praxen. Die erste große Herausforderung stellte sich dem jungen Arzt qua Zuständigkeit. In seinem Bezirk wütete der Milzbrand, eine bakterielle Erkrankung, die das Vieh tötete.

Zwar wusste man schon, dass die im Mikroskop (das es schon gab) sichtbaren kleinsten Erreger irgendwie mit der Krankheit zusammenhängen könnten. Aber ob sie deren Ursache waren oder nur eine unwichtige Begleiterscheinung, war fraglich. Und im Übrigen: Warum ist das Blut kranker Tiere, in denen man die kleinen Organismen erkennen kann, infektiös, anderes Blut ohne erkennbare Erreger aber auch?

Koch arbeitete und arbeitete. Und entdeckt neben den Bakterien noch etwas anderes, viel kleineres. Er vermutete korrekt, dass diese kleinen Teilchen eine reduzierte Dauerform der Milzbrandbakterien sein könnten, die auch dann überlebt, wenn die Bakterien selbst längst abgetötet sind. Es gelang ihm, die Milzbrandbakterien zu züchten. Ein Durchbruch, der im Hinterzimmer einer kleinen Praxis gelang.

Robert Koch löste die Probleme gleich serienweise. Problem eins: Anfangs musste er seinen wissenschaftlichen Besuchern etwa den Milzbranderreger in Liveexperimenten vorführen. Es gab keine mikroskopischen Fotografien, und Zeichnungen waren ungenau und nicht beweisend. Er entwickelt ein Verfahren, mit dem man die Bakterien fotografieren und damit konservieren kann.

Problem zwei: Vor Koch wurden Bakterien in einem flüssigen Nährmedium gehalten. Sie bewegten sich mit der Flüssigkeit und verschwanden ständig aus dem Gesichtsfeld des Mikroskopierenden. Die Lösung: Statt einer Bouillon (dem Standardmedium zur Züchtung von Bakterien) entwickelte Koch eine zähe Algenmasse namens Agar-Agar, in der Bakterien fixiert waren und dadurch leichter beobachtet werden konnten.

Problem drei: Bakterien sind sehr unscheinbar, im Mikroskop gegen den Hintergrund kaum auszumachen. Also suchte er nach Farbstoffen, die sich im Bakterienkörper so anreicherten, dass die Organismen im Mikroskop gut sichtbar wären. Er fand Anilin.

Natürlich war Koch nur am Anfang allein. Später wurde er Kopf eines Teams. Eine seiner wichtigsten Fähigkeiten war es, hochqualifizierte Mitarbeiter um sich zu scharen. Bei Problem vier allerdings halfen der Zufall und das Geschenk eines Freundes. Um Bakterien zu testen, hatte Koch seit Jahren Versuchstiere infiziert. Als seine Tochter weiße Mäuse geschenkt bekam, machte der Vater auch vor diesen Tieren nicht halt: Er experimentierte mit ihnen und stellte fest, dass sie sich sowohl leicht halten als auch leicht infizieren ließen. So „erfand“ Koch die weißen Labormäuse.

Den größten Erfolg allerdings feierte er 1882, als er, mittlerweile Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat am Institut für Physiologie der Berliner Universität, die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers verkündete. Die Nachricht war eine Sensation, denn Tuberkulose war nicht irgendeine Krankheit. Sie, die „weiße Pest“, war die Ursache von bis zu 20 Prozent aller Todesfälle in Europa. Vor allem die Jüngeren starben an ihr. Und eine Behandlung gab es schon deshalb nicht, weil der Auslöser unbekannt war. Nun aber war zumindest klar, über welche Wege die Ansteckung funktionierte, und warum die engen, schmutzigen Armenviertel so anfällig für die Seuchen waren. Und wie man sich schützen konnte.

Acht Jahre später verhob sich der sonst so vorsichtige Koch. Er hatte einen Stoff entwickelt, der ein Mittel gegen die Tuberkulose zu werden versprach, aber nicht gründlich getestet war. Der Zeitpunkt war verführerisch, denn am 4. August 1890 trafen sich in Berlin über 5000 Forscher aus 40 Ländern zum 10. Internationalen Medizinischen Kongress. Das Reich präsentierte sich als Gastgeber in dem extra umgebauten Zirkus Renz. Und Koch war einer der drei Hauptredner. Vielleicht war die Versuchung zu groß, vielleicht war er unter Druck gesetzt worden: Jedenfalls verkündete Robert Koch, ein Mittel zur Behandlung und zur Vorbeugung der Tuberkulose entwickelt zu haben: Tuberkulin.

Die vorsichtig formulierte Rede löste einen „Tuberkulinsturm“ aus. Tausende Kranke reisten nach Berlin, um sich behandeln zu lassen. Menschen, die in dem Wundermittel ihre letzte Überlebenschance sahen. Aus Hotels wurden Krankenhäuser, Berlin glich einem Lazarett.

Doch das Tuberkulin wirkte nicht. Zwar hatte Koch die Nebenwirkung im Selbstversuch an sich und einigen Mitarbeitern getestet. Aber der Nachweis der Wirkung war noch löchrig, als er die folgenschwere Mitteilung machte, von der Tausende sich Heilung versprachen. Vor dem Sturm der Entrüstung, als sein Präparat sich als nicht hilfreich erwies, floh er nach Ägypten auf eine Forschungsreise.

Die Fahrt nach Ägypten war nur eine von vielen, mit denen Robert Koch Bakterien, Viren und andere Parasiten auf dem ganzen Globus jagte: Immer öfter wurde er zur Aufklärung von Epidemien in die Welt geschickt, zur Erforschung der Cholera nach Kalkutta oder der Beulenpest nach Bombay. Koch verbrachte Monate in den Ländern, immer nah am Zentrum der Seuchen. Er saß im Laborzelt und arbeitete am Mikroskop. In den letzten 20 Lebensjahren wurde er zumeist von seiner jungen Frau Hedwig begleitet. Er selbst war 47, als er die 17-jährige kennengelernt hatte. Und er war 50, als er sie nach der Scheidung von seiner ersten Frau heiratete. Ein Skandal.

Am 10. Dezember 1905 schließlich erhielt er den Nobelpreis für Medizin. Fünf Jahre später starb er in Baden-Baden. Vor Kochs Zeiten waren ärztliche Behandlungen oft Glückssache. Es war alles andere als selbstverständlich, dass der Arzt mehr nützte als schadete. Oder in Kochs Worten: „Wenn ein Arzt hinter dem Sarg seines Patienten geht, so folgt manchmal tatsächlich die Ursache der Wirkung.“

Zum Weiterlesen: Barbara Rusch: „Robert Koch – Vom Landarzt zum Pionier der modernen Medizin“, Bucher Verlag, 17,95 €

Magnus Heier

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