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Unerwünschtes Resultat. Zeigen Laborversuche, dass ein neuer Wirkstoff mehr schadet als nützt, kann es gut sein, dass dieses Ergebnis nicht veröffentlicht wird.

© picture alliance / dpa

Freie Forschung: Eingeschränkter Blick

Das Bundesinstitut für Risikobewertung fragt: Wie unabhängig kann Wissenschaft sein? In der Diskussion wurde vor allem die Einflussnahme der Industrie beklagt.

Die Weihnachtszeit hat Risiken und Nebenwirkungen. Nicht nur echte Kerzen am Tannenbaum können gefährlich werden, auch das, was drunterliegt. Was ist zum Beispiel mit der Blausäure in Bittermandeln, dem Cumarin in Zimtsternen, den Weichmachern im Spielzeug? All das sind Themen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in Berlin, das gerade den zehnten Jahrestag seiner Gründung beging. Es fing allerdings nicht bei null an, sondern ist eines der Nachfolge-Institute des traditionsreichen, 1994 zerschlagenen Bundesgesundheitsamts.

Schwerpunkt der Feierlichkeiten war ein zweitägiger Kongress zum Thema „Wie unabhängig kann Wissenschaft sein?“. Sie sei zwar autonom – wörtlich: selbstgesetzgebend –, aber nicht autark, denn sie muss finanziert werden und bekommt gewisse Vorgaben, sagte Armin Grunwald, Leiter der Abteilung Technikfolgenabschätzung am Karlsruher Institut für Technologie. Ihre Autonomie sei ständig bedroht und müsse durch die freie Argumentation und gegenseitige Kritik der Wissenschaftler gewahrt werden. „Der Zweifel ist diesem System eingeschrieben“, betonte Grunwald. Und der müsse offen ausgetragen werden – auch in der Politikberatung, obwohl Politiker eindeutige Fakten und klare Zahlen bevorzugen.

In der anschließenden Diskussion hieß es, dass Politiker oft die eigenen Experten gar nicht befragen, weil sie deren Antworten fürchten. Oder dass sie unliebsame Ergebnisse in der Schublade verschwinden lassen und dass sie in manche ihrer wissenschaftlichen Beratungsgremien nur Personen hereinholen, die die gewünschte Meinung vertreten. Hierfür führte Walter Krämer, Statistiker an der TU Dortmund, sich selbst als Beispiel an: Er sei zu dem Gremium, das den Armuts- und Reichtumsbericht erarbeitet, nicht mehr herangezogen worden, nachdem er die Definition von Armut – weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens unabhängig von dessen Höhe – für unsinnig erklärt hatte.

In der Frage, wie es derzeit um die wissenschaftliche Unabhängigkeit bestellt ist, stand vor allem die Einflussnahme der Industrie im Zentrum. Ein Beispiel: Transparenz. Mediziner beklagen seit langem, dass wissenschaftliche Studien, die von den Herstellern für die Zulassung eines neuen Arzneimittels gefordert werden, nicht selten so manipuliert sind, dass die Wirksamkeit stärker erscheint und die Risiken verharmlost oder ganz verschwiegen werden.

Daran erinnerte Wolfgang Wodarg, lange Jahre Gesundheitsexperte im Bundestag und nun im Vorstand von Transparency International. Er konnte sogar Dienstleister nennen, die Pharmafirmen Studienergebnisse nach Wunsch lieferten. Um solche gesundheitsgefährdenden Desinformationen zu reduzieren, fordern Mediziner seit langem, sämtliche Studien von der Planung an zu registrieren und alle Daten offenzulegen.

Auch das BfR muss Studien beurteilen, etwa wenn es um die Zulassung von Pflanzenschutz- oder Schädlingsbekämpfungsmitteln geht. Das Institut bekommt zwar auch die Rohdaten, darf sie aber nicht bekannt machen – im Unterschied zu allen Details aus der eigenen Arbeit. Ohnehin reichten die Firmen freiwillig nur solche Studien ein, die positiv für das neue Produkt ausgingen, sagte eine erfahrene BfR-Mitarbeiterin. Diese Geheimhaltungspraxis verteidigte Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie: Publikationspflicht bestehe nur für öffentlich geförderte Studien. Die selbst finanzierte Forschung müsse sich schließlich rentieren, das heißt, zu patentierten Produkten führen, die keiner vorher abkupfern kann.

Darf das Wissen über ein Produkt als geistiges Eigentum auch dann unter Verschluss bleiben, wenn es die Gesundheit der Verbraucher gefährdet? Wodarg plädierte hier für Güterabwägung. In diesem Sinne ist auch das Schlusswort von BfR-Präsident Andreas Hensel zu verstehen: „Jeder Schritt, den Wissenschaft tut, muss nachvollziehbar sein. Das schafft Transparenz und Vertrauen.“

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