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FREIE Sicht: Eine Chance für Weltbürger

FU-Präsident Dieter Lenzen bekommt manchmal Lust auf Guerilla-Taktik im Bildungssystem.

Zum Wintersemester 2008/09 werden an den Deutschen Universitäten rund 360 000 Neu-Immatrikulierte erwartet. Sie haben Abitur, Fachabitur, Berufsausbildung oder, insbesondere in Süddeutschland, einen anderen Quereinstieg in die deutschen Hochschulen gefunden. Nicht darunter befinden sich zahlreiche Bewerber, die im Ausland das International Baccalauréate Diploma-Programm (IB) absolviert haben. Diese jungen Deutschen und auch Ausländer studieren stattdessen in Cambridge, am weltberühmten Kings College, in Sydney, in Wien oder an der Johns Hopkins University, also an den ersten Adressen der Welt. Warum?

Deutsche Behörden erkennen allenfalls mit engstirnigen Auflagen den „IB“ als Hochschulzugangsberechtigung an. Dabei verfügen diese Absolventen über eine dem Abitur vergleichbare Qualifikation in ihrer Muttersprache, einer zweiten Sprache, einer „experimental science“, der Mathematik, einem gesellschaftswissenschaftlichen Fach einschließlich Handel und Management und einem weiteren Fach aus Kunst, Sprachen, Naturwissenschaften, Film oder Musik. Das ist, zugegeben, ein bisschen moderner als das deutsche Abitur.

Und dann beginnen die Absurditäten: Ein deutscher Schüler macht den IB in Kanada, will aber in seiner Heimat studieren. Nichts da. Sein IB wird in Deutschland nicht anerkannt. Die Begründung: Er hat das Fach Englisch nicht wie verlangt auf Muttersprachniveau (A-Kurs) belegt. Und das, obwohl er Englisch als Leistungskurs wählte, sich also viel mehr Arbeit machte, und obwohl alle anderen Fächer auf Englisch unterrichtet werden, auf dem Niveau eines Muttersprachlers. Damit kann er die Sprache besser als die meisten seiner deutschen Lehrer und Professoren. Es ist wie bei einem Visum. Wer keins hat, wird nicht reingelassen.

Das ist kein fiktiver Fall, sondern das Substrat eines Berichts eines Bewerbers an einer Berliner Universität. Er schreibt, dass er nun an einer der TOP 30 Universitäten der Weltrangliste außerhalb Deutschlands studieren werde. Dazu muss er Familie und Freunde verlassen. Und er ist als weltoffener Bürger kluger Eltern, die ihn im Ausland lernen ließen, für Deutschland, und nicht nur für seinen Arbeitsmarkt, sondern auch als Botschafter deutscher Weltläufigkeit verloren.

Manchmal beschleicht einen die Lust auf Guerilla-Taktik im Bildungssystem: Solche Leute unter gezielten Rechtsbruch einfach zuzulassen und die Administration nicht mehr zu fragen. Aber vielleicht wird man dann ausgewiesen?

Der Autor ist Erziehungswissenschaftler und schreibt jeden dritten Montag über aktuelle Themen und Debatten.

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