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Eine Chinesischlehrerin arbeitet mit Kindern in der Vorschule.

© picture alliance / dpa

Fremdsprachen im Unterricht: Weltläufige Schule

Arabisch, Chinesisch und Spanisch statt Französisch und Russisch: Das Sprachenangebot in deutschen Schulen wird vielfältiger. Dabei gibt es Modeerscheinungen, wirtschaftliche Erwägungen - und eine Überraschung beim Russischen.

Sprachunterricht in Berlin-Pankow. Heute steht das Thema Tiernamen auf dem Programm. Ahmed Mohsen, 27, Klassenlehrer der Tigersterne, steht vor einer Gruppe Grundschulkinder und zeichnet arabische Schriftzeichen auf die Tafel. Die Kinder malen die Buchstaben eifrig ab – von rechts nach links, wie es sich gehört. Seit fünf Jahren unterrichtet der gebürtige Ägypter an der privaten bip-Grundschule in Berlin-Pankow seine Muttersprache Arabisch. „Meine Schüler sind sehr stolz, etwas zu beherrschen, was ihre Berliner Freunde und selbst ihre Eltern nicht können“, erzählt Mohsen.

Die private Berliner Grundschule ist mit ihrem exotischen Fremdsprachenangebot keine einsame Sprachinsel: Mittlerweile versuchen sich viele Schulen in ganz Deutschland durch alternative Unterrichtssprachen von ihrer Konkurrenz abzuheben. Keine andere Stadt bietet dabei eine so große Auswahl wie Berlin. Klassische Schulsprachen wie Französisch und Latein werden von Japanisch, Chinesisch, Türkisch oder Arabisch ergänzt. „Einige Schulen wollen sich durch ungewöhnliche Fremdsprachen profilieren“, erklärt Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Französisch gilt als altbacken, Spanisch als hip

Trotz der vielfältiger werdenden Sprachangebote will man bei GEW nicht von einer Trendwende sprechen. Denn Englisch gibt bundesweit immer noch den Ton an: Gut 7,3 Millionen Schüler in Deutschland lernen die Sprache der internationalen Diplomatie und der Hollywoodstars, wie die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen. Französisch ist nach wie vor die am zweithäufigsten gewählte Fremdsprache – eineinhalb Millionen deutsche Schüler lernen derzeit die Sprache von Voltaire und Balzac. Doch während die Zahl der frankophilen Schüler stagniert, steigt die Begeisterung für Spanisch, zeigt die Statistik. Denn Französisch gilt bei vielen Schülern mittlerweile als altbacken und abgehoben, Spanisch als hip und als Schlüssel zu den Schwellenländern.

„Spanisch erlebt einen absoluten Boom“, heißt es auch am Bertha-von-Suttner-Gymnasium in Berlin-Reinickendorf. Schließlich sei die Sprache des Latino-Pop leichter zu erlernen als das komplizierte Französisch. Die Schulleiterin des Europäischen Gymnasiums, Jutta Randelhoff-Szulczewski, setzt dennoch weiter auf die Sprache der Völkerverständigung und der europäischen Aussöhnung. „Wir springen nicht auf jeden Trend auf und geben Französisch weiter eine Chance“, sagt Randelhoff-Szulczewski.

Europäische Norm: Die Muttersprache und zwei Nachbarsprachen

Doch während sich das frankophile Vokabular in Deutschland trotz des kleinen Abwärtstrends nach wie vor großer Bekanntheit erfreut, sieht es gen Osten trauriger aus. Seit Jahren empfiehlt die Europäische Union, dass jeder EU-Bürger mindestens drei europäische Sprachen beherrschen solle: die Muttersprache und zwei andere europäische Sprachen – wenn möglich Nachbarsprachen. „M+2“ lautet die Sprachen-Formel der EU. Der Polnischunterricht hat an allgemeinbildenden Schulen in ganz Deutschland aber nur eine geringe Bedeutung. In Berlin kann man immerhin an zehn Schulen lernen, wie man „Dzien dobry“ ausspricht. Tschechisch bietet dagegen keine einzige Schule in ganz Berlin an.

In Sachsen und Thüringen lernen heute wieder mehr Kinder Russisch

Insgesamt ist das Fremdsprachenangebot regional sehr unterschiedlich. Traditionen und familiäre Biografien in den einzelnen Bundesländern spielen hier eine große Rolle. Bis zur Wende lernten Schüler im Osten Deutschlands allerorts Russisch. Die Sprache ist hier nach wie vor beliebt – schließlich können Mama und Opa oft noch beim Vokabelpauken helfen: In Thüringen oder Sachsen lernen heute sogar mehr Schüler Russisch als noch vor zehn Jahren, belegt ein Bericht der Kultusministerkonferenz (KMK). Abgenommen hat die Zahl der Russischlerner aber in Brandenburg, Bayern oder Bremen. In Bayern wird dafür mit der von der EU geförderten Regionalinitiative Euregio Egrensis der Tschechischunterricht forciert, in Sachsen wird vermehrt Polnisch unterrichtet.

Der Großteil der Arabischlerner hat deutsche Wurzeln

Vor allem die Wirtschaft pocht auch immer wieder auf ein vielfältigeres Angebot an außereuropäischen Fremdsprachen. Als exportorientierter Wirtschaftsstandort liege es schließlich im Interesse Deutschlands, die Sprachkenntnisse der deutschen Nachwuchskräfte zu fördern. Mit dem Gesamtverband Moderne Fremdsprachen, der fast 10 000 Mitglieder vertritt, gibt es auch einen aktiven Lobby-Verband. Dieser hat es sich auf die Fahnen geschrieben, außereuropäische und andere moderne Sprachen zu fördern und vor allem auch die wissenschaftliche Fachdidaktik weiterzuentwickeln. „Leitende Mitarbeiter von deutschen Unternehmen sollten die Sprachen ihrer Handelspartner beherrschen“, sagt Rainer Berthelmann, Präsident des Verbandes.

Arabisch wird weltweit von 320 Millionen Menschen gesprochen, Deutschland hat wichtige Handelsbeziehungen in den arabischen Raum. Arabischlehrer Mohsen glaubt, dass der Arabischunterricht an seiner Schule für viele Eltern sogar das ausschlaggebende Argument sei, ihr Kind an die private Grundschule zu schicken. Nur eine kleine Minderheit seiner Schützlinge kommt aus dem arabischen Raum, der Großteil der Schüler hat deutsche Wurzeln. Zwar sei die Nachfrage nach Arabisch an seiner Schule immer noch relativ begrenzt, denn mit Chinesisch habe man sich starke Konkurrenz im eigenen Haus geschaffen – in jeder Schulstufe unterrichtet Mohsen jedoch zumindest eine Klasse.

Wegen G8 fehlt vielen Schülern die Zeit für die Chinesisch-AG

Auch am Europäischen Gymnasium in Berlin-Reinickendorf blickt man über den europäischen Tellerrand hinaus: Seit 2003 können Schüler hier Chinesisch lernen, in der Chinesisch-AG ab der 5., als Wahlpflichtfach ab der 9. Klasse. Schulleitern Randelhoff-Szulczewski erinnert sich heute mit einem Schmunzeln an die Anfangszeiten: „Als unser damaliger Schulleiter Kontakte zu einer Schule in Peking herstellte, sagten wir alle, dass er verrückt geworden sei.“ Die anfänglichen Experimente mit Chinesischunterricht seien denn auch eher vorsichtig gewesen, doch die Nachfrage habe sich stetig weiterentwickelt. Nun, mit der Umstellung von G9 auf G8, habe es jedoch wieder einen jähen Einbruch gegeben, wegen er erhöhten Stundenzahl fehlt vielen die Zeit für eine zusätzliche Sprach-AG. Derzeit wählen bei einem Jahrgang von 180 Schülern etwa zwanzig Chinesisch als Fremdsprache. „Doch nicht alle bleiben dran“, sagt Randelhoff-Szulczewski.

Familiensprachen der Migranten in den Kanon aufnehmen

Immer wieder werden Stimmen laut, auch die Familiensprachen von Kindern mit Migrationsgeschichte in den Sprachkanon aufzunehmen. Nicht jede Migrantensprache könne in den Fächerkanon der Schule integriert werden, keinesfalls aber dürfe das Potenzial der hier lebenden Migranten brach liegen, sagt GMF-Präsident Rainer Berthelmann. Dass Hamburg das Lehramtsstudium für Türkisch abgeschafft habe, sei ein Signal in die falsche Richtung. Schließlich ist gerade die Suche nach geeignetem Lehrpersonal bei vielen modernen Fremdsprachen schwierig.

Noch ein Problem ist den neuen Schulsprachen gemein: die Krux mit den Lehrbüchern. In Deutschland hat Ahmed Mohsen Schwierigkeiten, kindgerechtes Lehrmaterial für seinen Arabischunterricht zu finden. Wann immer er in seine Heimat Ägypten fliegt, kauft er deshalb arabische Kinderbücher und Bastelmaterialien. Auch wenn Schüler mit ihren Eltern in arabische Länder reisen, bringen sie gerne frisches Material für die Schule mit.

Arabische Tiernamen und Berufsbezeichnungen am Ende der Grundschulzeit

Doch wie groß sind die Erfolge beim Lernen komplexer Fremdsprachen, die den meisten Schülern im Alltag kaum begegnen? Was bringt Arabischunterricht im Grundschulalter und Chinesisch als Wahlpflichtfach? Ahmed Mohsen zeigt sich erfreut über die Fortschritte seiner Schützlinge: Nach der vierten Klasse seien die Kinder in der Lage, sich auf Arabisch zu begrüßen und zu verabschieden, sie beherrschten das arabische Alphabet und verschiedene Vokabeln aus den Bereichen Tierwelt, Verkehr oder Berufe. Am allermeisten liegt ihm jedoch die frühe Berührung der Kinder mit der arabischen Kultur und Lebenswelt am Herzen.

An Randelhoff-Szulczewskis Gymnasium kann man im Fach Chinesisch sogar sein Abitur ablegen. „Wir haben auch Schüler, die nach dem Schulabschluss in Peking oder Schanghai studieren“, erzählt die Schulleiterin stolz. Doch auch sie betont neben dem sprachlichen Mehrwert des Chinesischunterrichts die interkulturelle Komponente: „Chinesisch zu lernen, führt zu einer Erweiterung des Horizonts.“

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