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Aristoteles-Denkmal vor der Uni Freiburg

©  Universität Freiburg/Mesenholl

"Frias": Freiburgs Elite am Ende: Goldfische auf dem Trockenen

Die Universität Freiburg scheiterte in der Exzellenzinitiative – offenbar, weil ihr edles Institut „Frias“ manchen allzu elitär war. Jetzt wird abgerechnet

Eigentlich sollte es ein Abschied im Freien werden. Zum letzten Mal wollte man am Samstagmorgen zu einer jener Wanderungen aufbrechen, wie sie am „Frias“ zu den inoffiziellen Traditionen gehörten. Auf dem Hochplateau zwischen Thurner und Kandel, wo sich das Plätschern zweier Bäche zu einem munteren Kanon vereint, hätte der Wandervogel-Historiker Jürgen Reulecke vermutlich in halbironischem Tonfall ein paar Zeilen Romantik zitiert und mit jedem Schritt wäre tief unten im Tal die „Frias“-Villa ganz allmählich bis auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft. Aber der Himmel schickte Regen. So blieb es bei einem wetterunabhängigen Ritual: Ein akademisches Gesangsquartett intonierte auf dem Treppenabsatz die von Mendelssohn-Bartholdy vertonten Zeilen Hoffmann von Fallerslebens „Nun zu guter Letzt“. Ein Abschiedslied.

„Frias“: Sechs Jahre lang stand diese Abkürzung für „Freiburg Institute for Advanced Studies“. Ein deutsches Princeton hatte hier im Breisgau entstehen sollen. Ein hehrer Vorsatz, an dem schon andere gescheitert sind, aber die Freiburger waren weit gekommen: Die fünf Buchstaben waren dabei, auch international ein Begriff zu werden. Das mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus der Exzellenzinitiative gegründete Institut hatte herausragende Köpfe der Geistes- und Ingenieurswissenschaften aus dem In- und Ausland in vier „Schools“ versammelt. Die Liste der Tagungen ist lang und die am Institut entstandenen Bücher füllen Regale. Dann kam der Schock. Vor genau einem Jahr verlor bei einer turnusgemäßen Evaluierung durch Wissenschaftsrat und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Traditionsuni den Status der Exzellenz – und damit die Millionen, die das „Frias“ finanzierten.

Seitdem wurde in Freiburg viel schmutzige Wäsche öffentlich gewaschen. Gerüchten zufolge hatten einige Freiburger Professoren den Gutachtern wenig Gutes über das „Frias“ berichtet: Das Institut habe sich als elitäres „Goldfischaquarium“ verstanden, in dem ausgewählte Wissenschaftler dem Luxus eines von der Lehre befreiten Forscherlebens frönten. In Gutachterprosa übersetzt fanden sich Vorwürfe wie dieser in dem fatalen Evaluationsbericht wieder. Die Anbindung zur Uni sei mangelhaft gewesen, die Lehre sei vernachlässigt worden. All dies stieß auf Verwunderung, denn was da kritisiert wurde, hatte man dem Institut ursprünglich in die Satzung geschrieben: Spitzenforschung, Eliteprinzip, Internationalisierung – Ansprüche, die notwendigerweise eine Distanz zum Unibetrieb zu erfordern schienen. Doch nun sei dem Institut die mustergültige Erfüllung dieser Vorgaben plötzlich als Schwäche ausgelegt worden.

Seitdem bemühte man sich um Lösungen. Vergeblich. Einem schlechter finanzierten interdisziplinären „Frias 2“, das die Uni nun mit einem Bruchteil des ursprünglichen Etats stemmen will, haben die vormaligen Institutsdirektoren mehrheitlich eine Absage erteilt. Zum Auftakt einer Gesprächsrunde mit anschließender „Kehraus-Party“, zu der die von Ulrich Herbert und Jörn Leonhard geleitete „School of History“ am Wochenende lud, ließ es sich der stets angriffslustige Herbert freilich nicht nehmen, noch einmal deutlich zu formulieren, was er von dem Gutachten hält: „falsch und zu großen Teilen paradox“. Sein Kollege Leonhard war gar nicht erst erschienen, die Wunden schmerzen wohl noch zu sehr. Und auch inhaltlich ging es ans Eingemachte: Anstatt zum Abschied leise Servus zu sagen, nutzten ehemalige Fellows und Freunde des Instituts den traurigen Anlass zu einer Generalabrechnung mit der derzeitigen Organisation der Geisteswissenschaften.

Den Ton gab der Gastgeber vor: „Die Universitäten sind mit ihrem Dauergeräusch von Betriebsamkeit und Massenlehre wie ein schwarzes Loch, in dem verschwindet, wer sich ihm zu sehr nähert.“ Da es an Freiräumen zum Forschen fehle, wandere die Forschung in der Konsequenz in außerwissenschaftliche Institutionen ab, während die Universitäten zu erweiterten gymnasialen Oberstufen degenerierten. Befeuert vom Wettbewerb der Hochschulreform der vergangenen 15 Jahre entwickele sich in Deutschland ein „lächerlicher Hochschulpatriotismus“ nach Art der Fußballregionalliga.

Besonders hart treffe dies die Geisteswissenschaften. Obwohl sie in Zeiten von Globalisierung und ethisch-genetischer Umbrüche das „notwendige Orientierungswissen“ bereitstellten, hätten sie als Massenfächer längst ihr einstiges Selbstverständnis einer humanistischen Bildungselite aufgegeben: Vor 15 Jahren, so rechnete Herbert vor, kamen 48 Studenten auf einen Professor, heute sind es 81. Die Forschung könne da nicht mehr nebenbei erledigt werden, es brauche dafür Zeit und geeignete Orte.

Bundesweit gibt es einige Institute für Spitzenforschung, doch was fehle, seien gerade disziplinär ausgerichtete Kollegs. Zentren wie das große Vorbild Princeton, dem deutsche Gründungen wie das Bielefelder Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZIF) oder das Berliner Wissenschaftskolleg nacheifern, sind zumeist interdisziplinär. Zwar dient es dem fächerübergreifenden Austausch, wenn der Atomphysiker mit dem Linguisten im Garten einer Instituts-Villa plaudert, aber gemeinsame Initiativen, die auf die Fächer abstrahlen, entstehen dabei zumeist nicht. Hans Joas, Sozialphilosoph und ehemaliger Leiter des Erfurter Max-Weber-Zentrums, befürwortete daher die thematisch-methodische Ausrichtung von Forschungszentren. Gerade sein disziplinärer Charakter, die Organisation in getrennten „Schools“, habe das „Frias“ zu einer einzigartigen Institution gemacht. Der Historiker John Horne (Dublin) erklärte es daher gleich zum Modellfall und regte in einem Anfall von Optimismus die Gründung einer Nachfolgeinstitution auf europäischer Ebene an.

Den durch die Institutsschließung entstandenen Mangel könne auch die Cluster-Forschung nicht beheben. Folgt man dem Berliner Geschichtsprofessor Jörg Baberowski, der sich zu seiner Abneigung gegenüber großangelegten thematisch gebundenen Sonderforschungsbereichen (SFB) bekannte, so tendieren Groß-Themen wie „Identität“ oder „Repräsentation“ zur Schwammigkeit. Nach vier Jahren sei alles dazu gesagt und geschrieben, was überhaupt denkbar sei. Cluster sind aber meist auf zwölf Jahre angelegt: „SFBs ersticken systematisch Intelligenz und Fantasie“, so der SFB-erfahrene Baberowski in gewohnter Deutlichkeit. „Große Bücher entstehen meist nicht in Clustern, und dort sitzen auch nicht immer die hellsten Köpfe.“ Man solle sich daher andere Formate überlegen. Dies wollten nicht alle Kollegen gelten lassen. Sie hoben vor allem den Nutzen interdisziplinärer Graduiertenkollegs für Doktoranden hervor. Solche schlanken, thematisch gebundenen Klassen seien äußerst produktiv, wenn sie nicht mit zu vielen zusätzlichen Ausbildungselementen überfrachtet werden.

Einen unfreiwilligen Beleg für die Krise der Geisteswissenschaften erbrachten die anwesenden Diskutanten schließlich selbst, indem sie den Anstieg der Studenten ihrer Fächer auf zwanzig Prozent der Gesamtstudentenschaft als „Problem“ diskutierten, das es zu lösen gelte. Man hätte die wachsende Popularität der geisteswissenschaftlichen Ausbildung ja auch als Erfolg werten können, zumal Geisteswissenschaftler mit Sprachkompetenzen und Auslandserfahrungen auch auf dem nicht-universitären Arbeitsmarkt durchaus geschätzt werden. Es zeugt nicht gerade von Selbstbewusstsein, wenn die Professoren als Lösung der schlechten Betreuungsverhältnisse verschärfte Zugangsbegrenzungen zu ihren Fächern diskutieren – anstatt selbstbewusst die dringend notwendige Verstärkung des Lehrpersonals zu fordern. Hier liegt schließlich der Grund für die massenhafte Abwanderung junger Geisteswissenschaftler in die Nachbarländer.

Verglichen mit diesen grundlegenden Problemen des akademischen Nachwuchses, der bezeichnenderweise auf dem Podium gar nicht erst vertreten war, wirkten die Sorgen von Professoren, die einen Ort suchen um in Ruhe ihr drittes oder viertes Buch zu schreiben, dann doch wie Luxusprobleme. Wenn Spitzenforscher jammern, dann nicht nur auf hohem, sondern auf exzellentem Niveau. Die Krise ihrer Fächer aber können auch die besten Institute nicht lösen. Sie können sie aber ein wenig mindern und dabei auch noch produktive Ergebnisse zu Tage fördern – vorausgesetzt, es gefällt dem neidischen Nachbarn. Von „Neidern und Missgünstigen“ hatte der Bielefelder Emeritus Hans-Ulrich Wehler offen in einer Solidaritätsadresse für das „Frias“ gesprochen.

Der tragische Fall wirft die Frage auf, ob eines der herausragenden Institute des Landes womöglich am eigenen Erfolg gescheitert ist.

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