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Vergeblicher Protest. Studierendenvertreter (hier bei einer Aktion im Februar im Henry-Ford-Bau) forderten, dass Anwesenheit in Seminaren freiwillig sein soll und Prüfungen so oft wie nötig wiederholt werden können.

© Björn Kietzmann

FU beschließt Rahmenprüfungsordnung: Clowns gegen Kontrolle

Nach neun Monaten Streit beschließt die Freie Universität Berlin neue Regeln fürs Studium. Noch einmal versuchen Studierende, das zu verhindern. Als die Stimmzettel eingesammelt werden, kommt es fast zu einem Handgemenge.

Dürfen Clowns am Akademischen Senat der Freien Universität teilnehmen? Es ist die erste Frage, mit der sich das Gremium in seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch zu befassen hat. Der Wachschutz vor dem Sitzungsraum lässt angeblich nur Menschen hinein, die nicht als Clown geschminkt sind. Jedenfalls beschweren sich die ausgesperrten Clowns darüber per SMS bei den Studierendenvertretern im Sitzungsraum – die das Thema sogleich auf die Agenda setzen: Sind nicht unter den Gremienmitgliedern selbst zahlreiche Clowns, wenn auch ungeschminkte?, fragt einer frech in die Runde. „Wer den Anschein vermittelt, stören zu wollen, wird nicht reingelassen“, erwidert Monika Schäfer-Korting, die Vizepräsidentin der FU. Schließlich haben Studierendenvertreter zum „Beclownen“ der Sitzung aufgerufen.

Schäfer-Korting, die den abwesenden FU-Präsidenten Peter-André Alt vertritt, ist entschlossen, die Sitzung abzuhalten. Mehrere Termine in den vergangenen Monaten ließen Studierende mit Störaktionen platzen. Seit neun Monaten wollen sie die geplanten Regelungen zur Anwesenheit und zur Wiederholung nicht bestandener Prüfungen verhindern. Das ist auch diesmal das Ziel. Doch selbst wenn einer Handvoll Geschminkter doch noch Zutritt zum „Beclownen“ erlaubt wird: Das Gremium beschließt die „Rahmenstudien- und Prüfungsordnung (RSPO)“ gegen die Stimmen der vier Studierenden (15 Ja-, fünf Nein-Stimmen, drei Enthaltungen).

An der FU dürfen demnach nicht bestandene Prüfungen „mindestens zweimal, höchstens dreimal“ wiederholt werden. Diese Regel gilt erst ab Oktober 2015 und ist liberaler als die der TU Berlin und der Humboldt-Universität, die nur zwei Wiederholungen erlauben. Die Anwesenheit in Lehrveranstaltungen der FU ist nicht generell verpflichtend. Wird sie aber verlangt, dürfen Studierende, die aus wichtigem Grund verhindert waren, eine „Ersatzleistung“ erbringen.

Die RSPO verlangt das reformierte Berliner Hochschulgesetz von allen Unis. Doch an der FU geht es darüber hoch her. Denn bislang lagen die Prüfungsregeln in vielen Fächern unbeachtet im Nebel oder existierten nicht. Die RSPO berührt darum Ur-Ängste von Studierenden, die wachsenden Leistungsdruck befürchten. Und an der FU sind die Studierendenvertreter traditionell besonders präsidiumskritisch und hartleibig. Für sie geht es bei der RSPO-Debatte um den ganzen Kurs der FU. Das „F“ schreiben die Studierendenvertreter nur noch in Anführungszeichen, die „F“U habe ihre Freiheit längst der neoliberalen Diktatur geopfert.

Diejenigen AS-Mitglieder, die dem RSPO-Beschluss zugestimmt haben, halten ihn nach vielen, vielen Debatten für einen guten Kompromiss zwischen dem ursprünglichen Vorschlag des Präsidiums und den Forderungen der Studierendenvertreter. Professoren werfen den Studierendenvertretern vor, an ihren Maximalforderungen festgehalten zu haben. Die Studierenden forderten, eine unbegrenzte Zahl der Prüfungswiederholungen müsse erlaubt sein. Anwesenheitspflichten von höchstens 75 Prozent eines Seminars sollte es nur in absoluten Ausnahmefällen geben. Ein interdisziplinäres „Studium Generale“ solle eingeführt werden. Die „Zwangsexmatrikulation“, die das Präsidium für Bachelor- und Masterstudierende ausschließt, soll explizit auch für die Studierenden in den alten Studiengängen abgeschafft werden.

Die Studierenden kündigen rechtliche Schritte an

Aus Sicht der studentischen Aktivisten ist das ganze Prozedere eine Farce. Das wollten sie der Öffentlichkeit auch am Mittwoch durch ihre clownesken Interventionen vor Augen führen: Eine kleine Minderheit, nämlich die nicht-studentischen Mitglieder im AS und die Uni-Leitung, ist im Begriff, die Mehrheit der 28500 FU-Studierenden ihren autoritären Regeln zu unterwerfen.

Als Vize-Präsidentin Schäfer-Korting zur Abstimmung aufruft, verbreiten die etwa zwei Dutzend studentischen AS-Besucher aus Hupen und Pfeifen ohrenbetäubenden Lärm, Seifenblasen schweben durch den Sitzungsraum, ein Student sammelt die Namensschilder von den Tischen, ein weiterer, der nicht wie seine Kommilitonen mit dunkler Kapuzenjacke, sondern im Anzug gekommen ist, lässt seinen Schlips wie ein Lasso über seinem Kopf kreisen, noch einer wirft Konfetti über die Senatsmitglieder, Wachleute betreten den Saal.

Als eine Verwaltungsangestellte trotz des Trubels beginnt, die Stimmzettel der Gremienmitglieder einzusammeln, kommt es fast zu einem Handgemenge. Ein Student versucht, ihr die Wahlurne zu entreißen. Der Strafrechtler Klaus Hoffmann-Holland springt auf: „Komm, reiß dich zusammen!“, ruft er und nimmt drohende Haltung ein, aus dem „Dienstagskreis“, der linken Professorengruppe, eilen der Archäologe Reinhard Bernbeck und die Sinologin Mechthild Leutner ihrem Kollegen zu Hilfe. Der Student dreht bei. „Sie machen sich lächerlich“, ruft der Veterinärmediziner Leo Brunnberg den Studierenden zu. Ein Student gibt zurück: „Sie sind hier nicht in Ihrer Vorlesung und können die Studierenden ankacken.“ Doch es bleibt friedlich. Während sich die Professoren noch das Konfetti aus den Haaren schütteln und die Stimmen ausgezählt werden, scherzt der raubeinige FU-Kanzler Peter Lange bereits mit einem Studenten um eine Konfetti-Tüte, tauscht die Informatik-Professorin Elfriede Fehr mit einem Aktivisten noch einmal Argumente aus.

Die Studierendenvertreter werfen der Unileitung vor, gewalttätig geworden zu sein. Schon im Januar wurde eine Sitzung des AS von einer Hundertschaft der Polizei geschützt, weil Studierende mehrere AS-Sitzungen gestört hatten. Als Studierende auch die Februarsitzung des Senats sprengten, wurden die AS-Mitglieder mit Bussen ins Helmholtz-Zentrum nach Berlin-Teltow gebracht. Dort wurden Studierende von privatem Wachpersonal „geschlagen, getreten und an den Haaren gerissen“, wie ein Studierendenvertreter am Mittwoch beklagte und Erklärungen verlangte. FU-Vizepräsidentin Schäfer-Korting ging darauf nicht ein.

Doch die Studierenden hatten diesmal Beobachter aus der Berliner Politik eingeladen. Die Grüne Abgeordnete Anja Schillhaneck und der Pirat Martin Delius kamen, um der Uni-Leitung auf die Finger zu gucken. Aus der Sitzung twitterten sie, das Präsidium gehe „grotesk“ vor. Delius, der selbst an der TU Berlin Studierendenvertreter war, erklärte am Rand der Veranstaltung, für ihn sei die Sitzung eine Nagelprobe dafür, ob die inneruniversitäre Demokratie an der FU funktioniert. Womöglich seien die Studierenden aber zu sehr auf „Konfrontationskurs“.

Tatsächlich gönnen die Uni-Leitung und der im AS dominierende Studierendenvertreter Mathias Bartelt einander schon lange nichts mehr. Der auch bei der Linken engagierte Bartelt quält die Uni-Leitung bei jeder Gremiensitzung mit immer neuen kritischen Fragen und pocht auf die Geschäftsordnung des Gremiums, die vom Präsidium permanent missachtet werde. „Pressing“ heißt diese Strategie im Fußball. Dem Gegner soll kein bisschen Raum gegeben werden. Das Präsidium reagiert, indem es Bartelts als lästig empfundene Fragen und Anträge nicht zulässt, vertagt oder in einer Abstimmung niederringen lässt.

So ging es auch am Mittwoch weiter. Kaum war der Kampf gegen die RSPO verloren, beantragte Bartelt für mehrere Tagesordnungspunkte geheime Abstimmung – eine „Verzögerungstaktik“ aus Rache, wie die Informatikerin Fehr meinte: „Herr Bartelt, Sie können doch nicht einfach das ganze Gremium in die Hand nehmen!“ Bartelt kämpft aber weiter. Sofort nach der Abstimmung drohte er rechtliche Schritte gegen den Beschluss an.

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