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Die Ausbreitung der Strahlungswolke von Fukushima (Freisetzung von Jod-131).

© ZAMG

Fukushima: "Das Gebiet um den Reaktor ist verloren"

Die Angst vor der Strahlungswolke beschäftigt nicht nur die Menschen in Japan. Dr. Gerhard Wotawa von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien spricht im Interview über die Auswirkungen des Unfalls im Atomkraftwerk Fukushima.

Herr Dr. Wotawa, interessieren sich die Menschen eigentlich inzwischen mehr für das Wetter in Japan als für das Wetter bei uns?

Teilweise schon. Viele Menschen verreisen in Länder, die vielleicht nicht so weit von Japan weg sind, und die wollen dann genau wissen, wie sich die Windströmungen ändern. Oder sie kennen Menschen dort, und dann interessieren sie sich auch für das dortige lokale Wetter.

Wie sieht die Wetter- und vor allem die Windprognose für Fukushima denn aus?

Am Dienstag war es eher ungünstig. Der Wind wehte aus überwiegend nördlichen bis östlichen Richtungen, die Luft von Fukushima gelangte damit ins Landesinnere. Am Mittwoch und Donnerstag etablieren sich aber schwache Winde aus westlichen Richtungen. Die Radioaktivität wird dann vorwiegend in Richtung Pazifik transportiert. Für Freitag erwarten wir kräftigen Regen und auch wieder potenziellen Transport von Strahlung in das Landesinnere.

Was ist für Tokio zu befürchten, wenn der Wind ungünstig steht?

Tokio ist in einer ähnlichen Situation wie Kiew während des Tschernobyl-Unfalles vor 25 Jahren. Es besteht keine unmittelbare Gefahr, aber Langzeitfolgen aufgrund der Strahlung sind möglich.

Dass die Windrichtung von Interesse ist, ist offensichtlich. Spielt die Windgeschwindigkeit eigentlich auch eine Rolle?

Der Wind spielt natürlich allgemein die Hauptrolle. Bei starken Winden wird das radioaktive Material schnell verlagert und dann verdünnt, bei schwachen Winden bleibt es in der Nähe des Kraftwerkes hängen.

Nach derzeitigem Kenntnisstand über die freigesetzte Radioaktivität: Bis zu welcher Entfernung vom Atomkraftwerk ist die Strahlung gefährlich?

Unmittelbar gefährlich bis etwa 20 oder 30 Kilometer. Aber auch ein 100-Kilometer-Umkreis hat stark erhöhte Werte. Was Nahrungsmittel und Wasser angeht, können auch weiter entfernte Gebiete beeinträchtigt werden. Das Gebiet rund um den Reaktor ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die nächsten Jahrzehnte bis Jahrhunderte verloren, wobei es in Fukushima etwas besser ist als in Tschernobyl, weil großes, nicht-flüchtiges Material aus dem Reaktorkern bisher nicht freigesetzt wurde.

In diesen Tagen ist immer wieder von der Strahlungswolke die Rede, die die radioaktiven Partikel vom Atomkraftwerk fortträgt. In welcher Höhe zieht diese Wolke?

Die Strahlungswolke wird teilweise bis in große Höhen transportiert. Auch im Starkwindband, dem sogenannten Jetstream bei ca. 9000 bis 10.000 Meter, ist laut Modell etwas Strahlung vorhanden. Größtenteils erfolgt der Transport aber in einigen 100 Metern Höhe.

Sie sprachen gerade vom "Modell". Für Ihre Computer- bzw. Modellrechnungen benötigen Sie Messdaten. Woher erhalten Sie aktuelle Daten aus dem Gebiet?

Die einzigen Daten, die wir ständig erhalten, sind von der CTBTO (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty Organization / Organisation des Vertrags über ein umfassendes Verbot von Nuklearversuchen). Das sind die besten Daten, die weltweit zur Verfügung stehen. Es gibt allerdings jeweils eine Verzögerung von 72 Stunden, bevor wir diese Messdaten dann auch zur weiteren Berechnung hinzuziehen können.

Welche Radionuklide sind in der Wolke enthalten?

Vor allem Cäsium- und Jod-Isotope. Die bekanntesten davon sind Jod-131 und Cs-137. (Anm. d. Red.: Der Kontakt mit diesen Isotopen kann unter anderem zu verschiedenen Krebserkrankungen führen. Dem Bundesamt für Strahlenschutz zufolge ergibt sich vor allem im Nahbereich der Unglücksreaktoren ein langfristig erhöhtes Risiko, wobei der Krebs oft erst Jahrzehnte nach der Strahlenbelastung auftreten kann.) Die CTBTO-Daten zeigen alle wesentlichen Isotope und ihre individuellen Konzentrationen.

Was ist zu tun, wenn radioaktive Partikel durch Regen ausgewaschen werden und ins Erdreich gelangen?

Da muss man ab einer gewissen Belastung die Ernte vernichten. Die Partikel gelangen aber nach einiger Zeit von der Oberfläche weg in tiefere Bodenniveaus. Man kann also umackern und ein Jahr oder einige Jahre später wieder anbauen.

In Städten läuft das Wasser wahrscheinlich vor allem an der Oberfläche ab.

Ja, in Stadtgebieten können die Partikel durch Waschen der Straßen in die Kanalisation gespült werden, zumindest größtenteils.

Gibt es überhaupt ein Szenario, bei dem eine gefährliche Strahlung bis zu uns gelangen könnte?

Nein. Es werden aber Minimal-Dosen bis nach Mitteleuropa transportiert und wahrscheinlich auch an CTBTO-Stationen in Europa registriert werden. Eine Gesundheitsrelevanz besteht aber nicht.

Dr. Gerhard Wotawa arbeitet im Bereich Daten, Methoden, Modelle der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien.

Interview: Sven Malzahn

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