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Komitee des Grauens: Tepco-Vizepräsident Norio Tsuzumi stellt sich am Dienstag gemeinsam mit Mitarbeitern der Presse und gibt eine teilweise Kernschmelze zu.

© dpa

Fukushima: Die tägliche Dosis (2)

Teilweise Kernschmelze, Austritt von Plutonium - Meldungen aus Japan sorgen derzeit wieder für weltweite Aufregung. Dabei ist die durch die Daten in dieser Form gar nicht begründet, wie Alexander S. Kekulé in seiner täglichen Analyse erläutert.

Am Montag kam aus Fukushima eine „neue Hiobsbotschaft“ (Tagesthemen): Aus dem AKW Fukushima Daiichi ist Plutonium ausgetreten. Die Betreiberfirma Tepco wertete dies, neben der stark erhöhten Radioaktivität des Abwassers aus Reaktorblock 2, als weiteren Hinweis auf eine „teilweise Kernschmelze“. Das Plutonium sorgte nicht nur bei den „Tagesthemen“, sondern international für erhebliche Aufregung – schließlich weiß inzwischen jeder, dass das Element mit der Abkürzung Pu einer der gefährlichsten Stoffe ist, der von Menschenhand erschaffen wurde.

Ich habe mir deshalb die veröffentlichten Messwerte genauer angesehen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die weltweite Aufregung wird durch diese Daten nicht begründet. Aber alles der Reihe nach…

Die drei Problemreaktoren in Fukushima werden mit unterschiedlichen Brennstoffen betrieben: In Reaktor 1 und 2 ist es nur Uranoxid, in Reaktor 3 enthält ein Teil der Brennelemente Mischoxid (MOX), das aus Uranoxid und ca. 7% Plutoniumoxid besteht. Aus technischen Gründen können maximal 40% eines Siedewasserreaktors mit MOX-Elementen beladen werden, der Rest ist auch hier Uranoxid. Weil das Plutonium im Laufe des Betriebes gespalten wird, enthält ein Reaktorkern vom Typ des Fukushima Block 3 im Mittel etwa 2 bis 2,5 Prozent Plutonium.

Entgegen häufig zu lesenden Meldungen enthalten jedoch auch die Fukushima-Reaktoren 1 und 2 Plutonium. Das Element entsteht nämlich, sozusagen als Zwischenprodukt, auch bei der Kernspaltung im gewöhnlichen Reaktorbetrieb (aus Uran-238 wird durch Neutroneneinfang Plutonium-239). In alten Uranoxid-Brennstäben liegt der resultierende Plutoniumanteil bei etwa 1%. Der Unterschied zum MOX-Reaktor ist also nicht so groß, wie man aus den Medienberichten vermuten könnte.

Wie Tepco erst am Montag bekannt gab, wurde Plutonium in Bodenproben nachgewiesen, die bereits am 21. und 22. März im Umkreis von einem Kilometer um die Reaktoren entnommen wurden. Die Aktivität der (gemeinsam gemessenen) Plutoniumisotope Pu-239 und Pu-240 lag demgemäß bei 0,12 bis 0,27 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Erde. Nur zwei der fünf Proben wurden zusätzlich auf Pu-238 untersucht, hier lag die Aktivität bei maximal 0,54 Bq/kg. Dass nicht alle proben auf Pu-238 untersucht wurden ist erstaunlich, weil dieses Isotop als typisches Produkt von Kernreaktoren gilt, während Pu-239 und Pu-240 in Japan als „Plutoniumsignatur“ der Atombomben von 1945 vorhanden sind. Warum ausgerechnet die wichtige Messung des Isotops Pu-238 nicht mit allen Proben erfolgte, erklärt Tepco – wie viele andere Ungereimtheiten – nicht. Aus dem Verhältnis von Pu-238 (typisch AKW) zu Pu-239/240 (Atombombensignatur) schließt Tepco, dass das Plutonium aus dem AKW freigesetzt wurde. Obwohl diese Schlussfolgerung nur auf zwei Messwerten beruht, kann man ihr wohl glauben, weil sie ohnehin sehr plausibel ist.

Die Messwerte, die der ganze Grund für die Aufregung waren, sind allerdings extrem niedrig. Sie liegen ausnahmslos unterhalb der beispielsweise in den USA zulässigen Grenzwerte für normale Erdproben. In Japan hat normale Erde, wegen der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, oft Aktivitäten der Isotope Pu-239 bzw. Pu-240 um die 4,5 Bq/kg – also mehr als das Sechzehnfache der Proben vom AKW Fukushima. Bei diesen geringen Werten ist nicht einmal ganz auszuschließen, dass die Kontamination des Werksgeländes bereits irgendwann vor dem GAU stattgefunden hat.

Die plausibelste Erklärung für die Plutoniumspuren ist natürlich trotzdem eine Freisetzung im Zusammenhang mit dem aktuellen GAU. Allerdings deutet der (bereits eine Woche alte) Fund keineswegs auf eine aktuelle Verschlimmerung der Lage in den Reaktoren oder gar auf eine beginnende Kernschmelze hin. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde nämlich bei den Explosionen in den Blöcken 1 und 3 bereits (in Spuren) Plutonium freigesetzt. Auch der Brand im Bereich des Abklingbeckens von Block 4 könnte für die Plutoniumspuren verantwortlich gewesen sein. Warum Tepco daraus eine dramatische Meldung machte und die Atomaufsicht in Japan so alarmiert reagierte, ist aufgrund der veröffentlichten Messdaten nicht nachvollziehbar.

Nicht auszuschließen ist, dass demnächst noch weitere Messwerte ans Licht kommen, die bisher unter Verschluss gehalten wurden. Da trifft es sich gut, dass dieses Dossier jeden Tag neue Einträge erhält …

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