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Neue Bilder zeigen die Zerstörung im Inneren des Reaktors 4.

© Reuters / Tepco Handout via Reuters TV

Fukushima: Die tägliche Dosis (5)

Die Tepco-Werte sind falsch, die Tepco-Werte sind richtig - auf die Idee, einmal selbst nachzumessen, ist bei der Atomaufsichtsbehörde offenbar noch niemand gekommen. Alexander S. Kekulé über radioaktives Jod im Grundwasser und schlechte Aprilscherze.

Auch gestern gab es wieder die gewohnte, tägliche Hiobsbotschaft aus Fukushima. Diesmal lief, gerade noch rechtzeitig für die "Tagesschau", die Meldung über den Ticker, die Radioaktivität habe jetzt sogar das Grundwasser erreicht. Der Grenzwert für Jod-131 sei angeblich um mehr als das 10.000-fache überschritten worden. "Spiegel Online" folgerte sogleich, eine Kernschmelze sei damit bestätigt, "denn sie führt zu extrem hohen Temperaturen - und die überhitzten Brennstäbe fressen sich durch den Boden des Reaktorsicherheitsbehälters in den Boden."

Da konnte man ja kaum noch ruhig einschlafen. Auch die Hoffnung, dass es sich um einen besonders schlechten Scherz zum ersten April handelt - der in Japan um diese Zeit bereits begonnen hatte - war gering. Was hat es also mit dem Jod-131 im Grundwasser und den sich in die Erde bohrenden Brennstäben auf sich?

Radioaktives Jod und Cäsium stellen das größte Umweltproblem bei AKW-Unfällen dar, weil sie über große Distanzen verbreitet werden. Aufsehen erregt derzeit in der Anfangsphase des Fukushima-GAU, genau wie beim Tschernobyl-Unfall vor 25 Jahren, vor allem das Jod-131. Dieses Isotop ist besonders leicht nachweisbar, weil es sowohl eine starke Beta-Strahlung (Energie 0,97 Mega-Elektronenvolt, MeV) als auch weitreichende Gamma-Strahlung aussendet. Wenn man im Fernsehen ratternde Geigerzähler in den Dörfern um die 20-km-Evakuierungszone sieht, rührt dies von über die Luft verbreitetem Jod-131 her.

Obwohl die Zählgeräte massiv ausschlagen, ist die äußere Bestrahlung durch das Jod-131 jedoch medizinisch nicht relevant (einmal abgesehen von den Werten, die in der unmittelbaren Umgebung der defekten Reaktoren gemessen werden). Gefährlich wird das Isotop erst nach Aufnahme in den Körper durch Inhalation oder über die Nahrung. Die wichtigsten Wege sind hier der Verzehr von ungewaschenem Gemüse und der "Weide-Milch-Pfad", d. h. die Aufnahme von radioaktivem Jod über verstrahlte Milch. Wenn es in einer Region einen radioaktiven Fallout gegeben hat, erscheint das Jod-131 bereits nach drei Tagen in der dort produzierten Milch.

Die Aufnahme von radioaktivem Jod führt zwar, in den hier vorkommenden Mengen, nicht zur Strahlenkrankheit, wie sie bei Arbeitern am Reaktor auftreten kann. Jedoch reichert sich radioaktives Jod im Laufe der Zeit in der Schilddrüse an und erhöht dadurch das Langzeitrisiko für Schilddrüsenkrebs erheblich.

Jod-131 hat eine vergleichsweise kurze Halbwertszeit von acht Tagen. Deshalb macht es wenig Sinn, es aus der Umwelt wieder einzusammeln - diese "Dekontamination" würde ohnehin viel länger dauern als die Gefahr, die von dem Isotop ausgeht. Umso wichtiger ist es, die Menschen vor der Aufnahme von Jod-131 zu schützen. Da in der Luft nur extrem selten gefährlich hohe Werte auftreten, kommt es vor allem darauf an, Lebensmittel und Trinkwasser konsequent zu überwachen - im Klartext: Messen, messen und noch mal messen.

Ob das in Japan gelingt, ist derzeit schwer zu beurteilen. Beunruhigend wirkt, dass immer wieder "überraschend" erhöhte Strahlungswerte erst direkt beim Verbraucher festgestellt werden, etwa bei Gemüse, Milch und Trinkwasser.

Vor diesem Hintergrund muss es als geradezu fahrlässig bezeichnet werden, dass die japanischen Behörden die wichtigen Untersuchungen großenteils noch von der Atomfirma Tepco durchführen lassen, die ihre Unzuverlässigkeit nun wirklich hinreichend unter Beweis gestellt hat.

Die Aprilmeldung von gestern Abend (mitteleuropäischer Zeit) ist nur ein weiteres Beispiel für schlechtes Krisenmanagement der japanischen Atomaufsicht. Nicht die Aufsichtsbehörde NISA, sondern Tepco hat die Messwerte bekannt gegeben. Laut der japanischen Presseagentur Kyodo war der Wert für Jod-131 im "Grundwasser" neben Block 1 des AKW mehr als 10.000-fach gegenüber dem zulässigen Maximalwert erhöht. Kurz darauf erklärte die japanische Atombehörde, die Tepco-Werte seien zumindest teilweise falsch und kritisierte die Atomfirma massiv. Soeben kam (am späten Abend des 1. April japanischer Zeit), wieder über Kyodo, die Korrektur der Korrektur: Nun ist die NISA der Meinung, die Tepco-Werte für Jod seien doch richtig, besteht aber weiter auf Fehlern bei anderen (unwichtigen) Messdaten - auf die Idee, einmal selbst nachzumessen, ist bei der Atomaufsicht offenbar noch niemand gekommen.

Erstaunlicher Weise hat Tepco die angeblichen Messungen des Grundwassers bislang nicht auf seiner Internetseite veröffentlicht, obwohl sie schon vorgestern durchgeführt worden sein sollen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Aprilmeldung weiter entwickelt.

Ach ja, fast hätte ich die "Kernschmelze" von "Spiegel Online" vergessen: Der Nachweis von Jod-131 im Grundwasser ist natürlich auf keinen Fall ein Hinweis darauf, dass sich die Brennstäbe bereits in die Erde bohren. Erstens ist das 10.000-fache des Erlaubten, das sind 400.000 Becquerel pro Liter (der Grenzwert für Jod-131 ist in Japan 40 Bq/l), nur ein winziger Bruchteil dessen, was bei einem Durchbruch des Reaktorkerns ins Erdreich auftreten würde. Zweitens wären dann nicht hauptsächlich Jod-131, sondern Plutonium und andere schwer flüchtige Reaktorinhalte nachweisbar. Drittens wird die äußere Bodentemperatur des stählernen Reaktordruckbehälters ständig gemessen: Sie liegt bei Reaktor 1 seit Tagen stabil bei 128 °C. Wir können heute also noch einmal ruhig schlafen - und das ist kein Aprilscherz.

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