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Netzwerktheorie. Krebs wird von mehr als einer Mutation angetrieben.

© Thilo Rückeis

Future Medicine: Der Fliegen-Avatar

Präzision ist nicht immer optimale Strategie im Kampf gegen Krebs, sagt der Onkologe Ross Cagan. Er sucht mithilfe von Taufliegen nach der bestmöglichen Behandlung.

Alle Versuche, die acht Brustkrebspatientinnen zu retten, schlugen fehl. Frustriert schrieben die Ärzte ihre Erfahrungen nieder – auf altägyptischen Keilschrifttafeln, vor 5000 Jahren. Kaum eine andere Krankheit ist derart früh bezeugt wie Krebs. „Seitdem gab es vier, mit der Immuntherapie fünf Revolutionen“, sagte Ross Cagan von der Icahn School of Medicine an der Mount-Sinai-Klinik in New York auf dem „Future Medicine“-Kongress.

Chirurgen können den Tumor entfernen. Das funktioniere wunderbar, solange sich keine Krebszellen „vom Mutterschiff gelöst haben“ und Metastasen bilden. Chemotherapie und Bestrahlung seien nach wie vor Standard, aber für andere Zellen giftig. Zudem findet der Tumor oft einen Weg, dem Angriff standzuhalten. Das jüngste Konzept klingt besonders rational: Statt wahllos auf „den Krebs“ zu schießen, wollen Forscher die jeweilige Molekularbiologie verstehen. Sie suchen nach einer Schwachstelle, um die wuchernden Zellen genau dort zu erwischen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Nur sieben Prozent der Wirkstoffe, die in Tierversuchen erfolgversprechend waren, bewähren sich in klinischen Tests. Wenn sie zugelassen werden, verursachen sie mitunter heftigere Nebenwirkungen als die Chemotherapie und es entwickeln sich noch schneller Resistenzen. Der Tumor, der gerade dahingeschmolzen war, kommt dann binnen kurzer Zeit zurück.

Kein Präzisionsinstrument, sondern eine Schrotflinte

Wir sollten die Komplexität von Krebs nicht auf eine Ursache reduzieren, sagte Cagan. „Stattdessen können wir sie nutzen.“ Er nannte das Beispiel des medullären Schilddrüsenkarzinoms, bei dem oft eine Veränderung im RET-Gen einen Signalweg stört. Statt mit diesem Wissen einen gezielten Wirkstoff zu suchen, gehen Cagan und seine Kollegen den umgekehrten Weg: Sie bilden den Krebs im Auge von Taufliegen nach, lassen die Taufliegen in Reagenzgläsern schlüpfen, in denen sie Futter und jeweils einen Wirkstoff finden – und schauen, welche überleben. Erst dann untersuchen die Forscher, warum das Mittel die Insekten geschützt hat.

So entstand Vandetanib, ein Medikament gegen Schilddrüsenkrebs, das 2011 zugelassen wurde. Es ist kein Präzisionsinstrument, sondern eine Schrotflinte, die mehrere Enzyme gleichzeitig beeinflusst. Das erschwert zudem Resistenzen. „Schmutzige Wirkstoffe können gut sein“, sagte Cagan. Medikamente, die nur auf eine Genveränderung ausgerichtet sind, helfen dagegen nur einem Teil der Krebspatienten. Denn meist treiben mehr als vier Mutationen das Wachstum des Tumors an. „Wir denken an Netzwerke, nicht einzelne Ziele“, sagte Cagan.

Mit dem Fliegen-Avatar geeignete Medikamente finden

In einer Studie erschafft sein Team für Krebskranke nun einen eigenen „Fliegen-Avatar“. Die Forscher sequenzieren das Erbgut des Tumors, identifizieren bis zu 15 wichtige Genveränderungen und ahmen den Tumor bei Taufliegen nach. Die Tiere setzen sie Cocktails zugelassener Medikamente aus. Funktioniert einer besonders gut, kann sich der Patient entscheiden, ob er ihn ausprobieren möchte. Bei einem jungen Mann mit Schilddrüsenkrebs zum Beispiel hatten sowohl die Standardtherapie als auch Vandetanib versagt. Die Kombination, die per „Fliegen-Avatar“ gefunden wurde, sei überraschend, sagte Cagan. „Aber sie schlug an.“

- Vor Kurzem fand in Berlin der „Future Medicine“-Kongress des Tagesspiegels und des Berlin Institute of Health statt. Hier stellen wir herausragende Beiträge vor.

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