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Peter Gruss.

© MPG

Gastbeitrag: Die Zukunft ist nicht ohne Risiko zu haben

"Wir müssen völlig neue Technologien entwickeln", schreibt Peter Gruss, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Nur mit mehr Forschung lösen wir die Energiefrage.

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte des Wagemuts – ohne ihn wäre unsere Spezies wohl kaum so weit gekommen. Homo sapiens hat seinen Ursprung in Afrika genommen und besiedelt heute die ganze Welt. Wo würden wir heute stehen, hätte es nicht immer wieder Menschen gegeben, die Neues gewagt, Unvorstellbares in Angriff genommen haben.

„Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts.“ Wir Deutschen tun uns schwer mit dieser Regel, die der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel prägte. Das ließ sich nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wieder einmal beobachten: In der deutschen Medienberichterstattung musste man fast den Eindruck gewinnen, nicht das Erdbeben und der Tsunami hätten tausende Opfer gefordert, sondern das Reaktorunglück. Das Ausland diagnostiziert angesichts solcher Reaktionen eine altbekannte Krankheit: die „German Angst“ – die kollektive panische Reaktion auf potenzielle Bedrohungen.

Der gerade beschlossenen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke folgt nun die abrupte Kehrt- sprich Energiewende. Auch wenn die Experten der Nationalen Akademie davon ausgehen, dass wir in zehn Jahren abschalten können, so geben sie doch zu bedenken, dass wir damit einen kurzfristigen CO2-Anstieg in Kauf nehmen. Genau das wollten wir verhindern! Denn um die globale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf maximal zwei Grad zu begrenzen, müssen wir die Kohlendioxidemissionen in den kommenden 40 Jahren halbieren und bis 2100 ganz auf Null reduzieren.

In der eng verwobenen Problematik Energie – Klima sind wir bereit, dem kurzfristigen Risiko eines Atomunfalls eine höhere Priorität einzuräumen als dem langfristigen Risiko der globalen Erwärmung. Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung erklärt das wie folgt: „Wir bekommen schnell Angst, wenn viele Menschen auf einmal sterben könnten. Sind hingegen viel mehr Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg in Lebensgefahr, scheint uns das weniger bedrohlich. Das mag ein Relikt unserer Evolutionsgeschichte sein, als Menschen noch in kleinen Horden lebten. Denn beim Tod mehrerer ihrer Mitglieder war schnell das Überleben der ganzen Gruppe in Gefahr.“

Doch in unserem globalen Dorf brauchen wir andere Denkmuster. Dazu gehört, nicht nur für die kommenden Jahre zu planen, sondern auch die Bedürfnisse unserer Kinder zu berücksichtigen. Und wir müssen die globale Dimension betrachten. Der Bedarf Deutschlands mag mit Einsparungen und dem Ausbau regenerativer Energien in den kommenden Jahren zu decken sein. Weltweit sieht das anders aus. Nach Berechnungen des Energy Modeling Forum wird sich der Strombedarf bis Ende dieses Jahrhunderts versechsfachen. Wollte man diesen Zuwachs mit Sonnen- oder Windenergie decken, müsste man in den nächsten 90 Jahren jeden Tag 25 große solarthermische Kraftwerke bauen. Oder alle 10 Minuten ein Windrad.

Seien wir ehrlich: Unsere bisherigen Möglichkeiten greifen zu kurz. Um überhaupt die Voraussetzungen für eine nachhaltige Energieversorgung bis zum Jahr 2100 zu schaffen, brauchen wir eine Forschungsoffensive, die völlig neuen Technologien einen Weg bahnt. Und dabei ist ein langer Atem gefragt. Beispiel: Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik forschen Wissenschaftler daran, die Hürden für Fusionskraftwerke zu überwinden. Damit ließe sich Strom klimaneutral, ressourcenschonend und sicher produzieren. 2050 könnte dieses Ziel erreicht sein, allerdings nur, wenn Deutschland und Europa massiv investieren.

Biokraftstoffe könnten zukünftig aus Lignozellulose gewonnen werden, dem Grundbaustein von Stroh, Holz und vielen Pflanzenabfällen, und würden damit nicht mehr mit der Erzeugung wichtiger Nahrungspflanzen wie Getreide, Mais und Zuckerrohr konkurrieren. Auf diese Weise könnten wir wirklich nachhaltigen Biosprit erzeugen.

Zentral für die Energieversorgung der Zukunft sind auch neue Energiespeicher und natürlich die Bindung von Kohlendioxid. Die zugrundeliegenden chemischen Reaktionen lassen sich großtechnisch bislang kaum beherrschen. Die Max-Planck-Gesellschaft baut daher ihre Aktivitäten in diesem Bereich in einem Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion aus. Die Forscher dort werden vor allem untersuchen, auf welche Weise elektrischer Strom oder Sonnenlicht in speicherbare Energieträger, wie Methan und Methanol, umgewandelt werden kann. Wenn das gelingt, können wir uns neue Leitungsnetze und Elektrotankstellen sparen und auf die bereits vorhandene Logistik, wie Gasleitungen und Tankstellen zurückgreifen. Volkswirtschaftlich ein immenser Gewinn.

Grundlagenforschung liefert neue Technologieplattformen. Je fortgeschrittener ein Land ist, umso mehr sollte seine Regierung in sie investieren. Und da man Steuergeld nur einmal ausgeben kann, sollten wir uns hüten, damit die Produktion industrieller Güter zu subventionieren. Kurzfristig betrachtet mag uns das einen Startvorteil bescheren, doch langfristig ist dieser Weg eben nicht geeignet, um an der Spitze des technologischen Fortschritts zu marschieren.

Deutschland hat die Ausgaben für Energieforschung stark zurückgefahren. Während 1982 noch knapp 1,5 Milliarden Euro in diesen Bereich flossen, waren es 15 Jahre später nur noch gut 400 Millionen Euro im Jahr. Für Kohlesubventionen hat die Bundesrepublik zwischen 1997 und 2006 fast neunmal so viel Geld ausgegeben wie für Energieforschung.

Auch das Votum der Deutschen fällt nicht uneingeschränkt zugunsten der Forschung aus. Eine Allensbach-Umfrage stellt fest, dass zwei Drittel der Befragten Forschungsrichtungen verbieten möchten, wenn daraus gefährliche Ergebnisse hervorgehen können. Ein großer Teil der Gesellschaft zieht Nichtwissen dem Wissen vor. Mit der Einstellung „Innovationen ja, aber bitte keine Risiken!“ wagen wir Wohlstandsbürger daher besonders viel. Denn hinter unseren jetzigen Lebensstandard will ja keiner zurück!

Und bei der Frage, ob man eher Geld für den wissenschaftlichen Fortschritt oder für die Verbesserung der sozialen Sicherheit ausgeben soll, will nur weniger als ein Drittel im Zweifel lieber den wissenschaftlichen Fortschritt fördern. Das ist kurzsichtig, denn unsere soziale Sicherheit fußt auf dem wirtschaftlichen Wohlstand und der wiederum resultiert wesentlich aus dem Wissen und den Innovationen, die wir heute generieren.

Der Autor ist Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.

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