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Geburt: Auf natürlichem Weg

Jede dritte Entbindung ist mittlerweile ein Kaiserschnitt. Aber viele Mütter wünschen sich wieder eine herkömmliche Geburt.

Einige werdende Eltern könnten die Geburstanzeige heute eigentlich schon vor dem freudigen Ereignis drucken lassen. Dank Ultraschalluntersuchungen wissen sowieso fast alle, ob sie ein Mädchen oder einen Jungen erwarten. Ist ein Kaiserschnitt geplant, dann steht auch der Geburtstag des Kindes oft schon fest. Diese Art der Entbindung ist immer häufiger geworden: Im Jahr 2008 wurde die 30-Prozent-Marke überschritten. Zehn Jahre zuvor waren es noch 18 Prozent, medizinisch begründet wäre nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation eine Quote von 15 Prozent.

Doch inzwischen beobachten Geburtsmediziner, dass sich eine Trendwende abzeichnet. „Der Wunsch nach einer natürlichen Geburt wird wieder häufiger an uns Ärzte herangetragen, es wächst die Bereitschaft, etwas Unplanbares zuzulassen“, berichtet etwa Babett Ramsauer vom Perinatalzentrum am Vivantes Klinikum Neukölln. Wie die Gynäkologin jetzt auf dem 24. Deutschen Kongress für Perinatale (also rund um die Geburt angesiedelte) Medizin in Berlin berichtete, wachse auch bei den ärztlichen Geburtshelfern der Wunsch, die vaginale Geburt zu beherrschen und den Frauen dabei zu helfen. „Den Kaiserschnitt haben wir ja inzwischen gelernt.“

Natürlich ist in vielen Fällen ein Kaiserschnitt notwendig, um die Gesundheit von Mutter und Kind nicht zu gefährden. Auch sind die Operationen in den vergangenen Jahren sicherer geworden und die Frauen erholten sich schneller. Die Kehrseite einer Schnittentbindung zeigt sich dafür manchmal einige Jahre später. „Vielen Frauen ist nicht klar, dass ein Kaiserschnitt eine Hypothek auf ihre nächsten Schwangerschaften bedeutet“, sagte Ramsauer. Dann können unter der Belastung im schlimmsten Fall Narben der Gebärmutter aufreißen, der Mutterkuchen kann sich ablösen, es drohen Frühgeburten oder zumindest chronische Narbenschmerzen.

Einer Studie zufolge, die die Gmündner Ersatzkasse in Auftrag gegeben hat, sagen 86 Prozent der Frauen später, sie hätten die Folgen der Schnittentbindung unterschätzt. 70 Prozent würden sich für das nächste Mal eine vaginale Geburt wünschen – nicht zuletzt, weil sie das Gefühl haben, ihnen sei ein wichtiges Erlebnis entgangen.

Die Ärzte können während einer vaginalen Entbindung nicht nur mit Medikamenten Schmerzen lindern oder ausschalten, etwa durch Periduralanästhesie, für die nahe am Rückenmark Betäubungsmittel in die Nähe der Nervenbahnen gespritzt werden. Es wächst auch das Bewusstsein dafür, dass wechselnde Körperhaltungen der Gebärenden zum Gelingen beitragen.

Darüber berichtete die Schweizer Physiotherapeutin Liselotte Kuntner, die seit Jahrzehnten ethnomedizinische Feldforschung zu Gebärpositionen betreibt. „In fast allen Kulturen der Welt wurde zum Gebären die aufrecht sitzende Haltung eingenommen, zum Beispiel auf dem Schoß einer Helferin, gestützt von weiteren Helfern, die Rückenlage ist dagegen erst 200 Jahre alt“, berichtete Kuntner. Sitzend, stehend, in Seitenlage oder im Vierfüßlerstand kann die Gebärende, je nach Lage des Kindes und Stadium des Entbindungsprozesses, die Schwerkraft und die anatomischen Gegebenheiten optimal nutzen.

Gynäkologin Ramsauer ist zuversichtlich, dass auch junge ärztliche Geburtshelfer sich wieder zunehmend für dieses Wissen interessieren: „Schließlich ist es ein beglückendes Gefühl, zum Gelingen einer vaginalen Geburt beigetragen zu haben.“ Inzwischen zeigen Studien, dass diese in vielen Fällen sogar dann gefahrlos möglich ist, wenn das Kind in Beckenendlage, also mit dem Po zuerst, auf die Welt kommen wird. Gute Betreuung während der Schwangerschaft vorausgesetzt, kann man es im Einzelfall wagen, mit der Entscheidung für oder gegen den Kaiserschnitt bis zum Geburtstermin zu warten.

Nach wie vor werden die meisten Kinder in Kliniken entbunden. In Geburtshäusern kommen nur 15 von 1000 Babys zur Welt. Das liegt auch daran, dass dort nur Frauen aufgenommen werden, bei denen kein Risiko erkennbar ist. Trotzdem müssen etwa 15 Prozent aller werdenden Mütter später doch in eine Geburtsklinik verlegt werden. Statistiken fehlen, doch Bernd-Joachim Hackelöer, Leiter der Klinik für Geburtshilfe in Hamburg-Barmbeck, fürchtet, dass der Zeitverlust zu Behinderungen und Todesfällen führt. Der Arzt gab ein klares Votum ab: „Geburtshäuser können nie die Sicherheit einer Klinik erreichen.“

Wertvolle Zeit kann aber auch in Kliniken verloren gehen, etwa wenn keine Spezialisten da sind, die sich nach der Geburt um Probleme des Kindes kümmern. Nur jede fünfte der fast 900 geburtshilflichen Abteilungen an deutschen Kliniken bilde in dieser Hinsicht ein „adäquates Zentrum“, monierte Hackelöer.

Adelheid Müller-Lissner

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