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Fischen im Trüben. Ob der Ehec-Erreger, der im Erlenbach gefunden wurde, aus dieser Kläranlage stammt, wird noch überprüft.

© Reuters

Gefährlicher Keim: Ehec: Ungeklärte Herkunft

Kläranlagen halten Krankheitserreger kaum zurück. Die Suche nach der Herkunft der Ehec-Erreger in Hessen geht weiter. Im verdächtigen Klärwerk wurde bis jetzt keine Probe entnommen.

„Heute geschlossen“ steht auf dem Schild mit den Öffnungszeiten des Riedhofs in Frankfurts idyllischem Stadtteil Nieder-Erlenbach. Seit hier vor gut einer Woche auf einem Salatkopf Ehec-Erreger gefunden wurden, liegt das Gehöft wie ausgestorben da. „Frischgemüse der Saison“ vom Riedhof preisen die Hinweisschilder an, die überall in Niedererlenbach aufgestellt sind. Obwohl der Ehec-Erreger, der im Wasser der Gemüsewaschanlage des Betriebs nachgewiesen wurde, ein vergleichsweise harmloser Keim war, bleibt der Hof bis auf Weiteres geschlossen.

Am Wochenende kam es noch ärger. In dem kleinen Bach, der dem Dorf den Namen gab, wurden Erreger des gefährlicheren Typs O104:H4 gefunden. Seitdem geht hier bei den Gemüsebauern so gut wie gar nichts mehr. „Die Leute haben einfach Angst“, sagt Bauer Bernd Kötter, „es ist fast eine Hysterie entstanden“. Eine private Schule in der Nachbarschaft hat sogar ihre 125-Jahr-Feier abgesagt. Eine Mutter erzählt, zwei Schulklassen hätten im Rahmen des Biologieunterrichts vor zwei Wochen aus dem Erlenbach Wasserproben entnommen, um sie zu untersuchen. Schüler könnten dabei mit dem gefährlichen Erreger in Kontakt gekommen sein, deshalb offensichtlich die Absage des Festes. Weder die Schule noch das Frankfurter Gesundheitsamt wollten zu diesen Informationen Stellung nehmen.

Wie die Erreger in den Bach gelangten, bleibt unklar. Im Verdacht steht die Kläranlage Ober-Erlenbach, die zu Bad Homburg gehört. Das hessische Verbraucherministerium rechnet erst am Mittwoch mit neuen Erkenntnissen, wenn das Bundesinstitut für Risikobewertung weitere Analysen abgeschlossen hat.

Prinzipiell können Escherichia-coli-Bakterien, zu denen die Ehec-Erreger gehören, durchaus über Kläranlagen in Gewässer gelangen. „Wir sind deshalb nicht verwundert, dass jetzt Ehec-Erreger in einem Bach gefunden wurden“, sagt Stephan Haufe, Pressesprecher des Umweltbundesamtes (Uba). „In der Frankfurter Gegend sind relativ viele Menschen infiziert worden, damit steigt die Wahrscheinlichkeit, die Bakterien im Wasser zu finden – wie übrigens auch in Norddeutschland.“ Seiner Einschätzung nach könnten die Keime mit dem Stuhl ins Abwassersystem gelangt sein und schließlich die Kläranlage passiert haben.

„Krankheitserreger werden von normalen Kläranlagen kaum zurückgehalten“, fügt die Uba-Biologin Christine Galander hinzu. In den Becken zur biologischen Reinigung leben spezielle Bakterien und setzen über ihren Stoffwechsel die reichlich vorhandenen Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphorverbindungen aus dem Abwasser um. „Dabei bilden sich Flocken, die später zu Boden sinken und vom Wasser getrennt werden“, erläutert sie. An diesen Flocken haftende Krankheitserreger werden eliminiert, alle anderen verlassen als Schwebstoffe die Kläranlage. Bei Anlagen, die in Badegewässer führen, können die schwebenden Erreger mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe entfernt werden, berichtet Galander. „Dort werden zum Beispiel feine Filter mit einer Maschengröße von 0,4 Mikrometer benutzt, da passen Bakterien schlicht nicht hindurch.“

Die Kläranlage Ober-Erlenbach habe aber keine solche Mikrofiltration, sagte der Betriebsleiter Jens Feucht dem Tagesspiegel. „Bis jetzt wurden noch nicht einmal von Seite der Behörden Wasserproben in unserer Anlage entnommen“, berichtete er gestern Nachmittag. „Von den Untersuchungen, die angeblich im Bach gemacht wurden, habe ich aus der Presse erfahren.“ Nun sei er selbst aktiv geworden und habe das zuständige Umweltamt in Wiesbaden um Adressen von Instituten gebeten, die solche Analysen vornehmen. „Die sind aber auf Lebensmittel oder Veterinärproben spezialisiert“, sagt er. „Bis jetzt habe ich keine Firma gefunden, die Abwasser untersuchen kann.“

Ob vom Erlenbach eine Gesundheitsgefahr ausgeht, lässt sich derzeit kaum einschätzen. Generell gilt: Je weniger Keime im Gewässer, desto geringer ist die Infektionsgefahr. Sie sinkt weiter, wenn der Bach oder Fluss mehr Wasser führt, die Erreger also „verdünnt“ werden. Ein zweiter Punkt ist die Lebensdauer der Ehec-Bakterien. Darüber ist sehr wenig bekannt. Offensichtlich sind die Erreger vom Typ O104:H4 ungewöhnlich robust. Sie überleben im sauren Milieu und sind kälteresistent. Nach Einschätzung des Uba ist das Risiko, sich beim Baden mit dem Ehec-Erreger zu infizieren trotzdem nicht höher als bei gewöhnlichen Sozialkontakten. Dort ist vor allem mangelnde Hygiene in der Küche ein Problem.

Dennoch bleibt ein flaues Gefühl in Nieder-Erlenbach. Nicht nur bei den Schülern, die Wasserproben genommen haben. Zwei Gärtnereibetriebe im Ort hatten eine Genehmigung, Bachwasser zum Gießen der Gemüsefelder zu entnehmen, sagt Ministeriumssprecher Thorsten Neels. Deren Früchte, Rüben, Kartoffeln seien aber noch nicht reif. Tatsächlich darf Oberflächenwasser bis zwei Wochen vor der Ernte zum Bewässern genutzt werden, wenn es der EU-Badegewässerrichtlinie entspricht, teilt das Uba mit.

Die Richtlinie soll die Qualität der Badestellen gewährleisten, die natürlich nicht nur durch Ehec-Erreger bedroht sind. Sie schreibt vor, die Gewässer alle vier Wochen zu kontrollieren. In Berlin, wo übrigens noch kein Ehec-Erreger im Wasser nachgewiesen wurde, werde sogar alle 14 Tage kontrolliert, sagt Silvia Kostner vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. An 38 Badestellen werden Proben genommen, nach zwei bis drei Tagen liegen die Resultate vor und werden im Internet veröffentlicht. „Sobald die Keimbelastung den Grenzwert überschreitet, wird ein Badeverbot ausgesprochen“, erläutert Kostner.

Auf den Ehec-Erreger selbst werden die Routineproben Kostner zufolge noch nicht analysiert. Stattdessen wird der Gehalt der Intestinalen Enterokokken sowie von E. coli allgemein bestimmt. Auch hier gilt: Einzelne Bakterien im Gewässer führen nicht zwingend zu einer Infektion, dieses Risiko nimmt aber mit steigender Zahl von Keimen zu.

Das ist vor allem nach starken Regenfällen wie in den vergangenen Tagen zu erwarten. Da der Regen viel Straßenschmutz, einschließlich Hundedreck, fortspült, steigt die Keimbelastung in den Gewässern. „Deshalb raten wir derzeit davon ab, Kinder in den Berliner Gewässern baden zu lassen“, sagt Kostner. Erwachsene sollten nach dem Schwimmen wenigstens duschen.

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