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Bringschuld. Als Festredner hatte die Max-Planck-Gesellschaft den 90-jährigen Altbundeskanzler Helmut Schmidt gewonnen.

© dpa

Geist von Dahlem: Max-Planck-Gesellschaft feiert 100-jähriges Bestehen

Der neu errichtete Campus in Dahlem wurde in kurzer Zeit zum Magnet für Spitzenforscher. In der Laudatio zum Jubiläum erinnert Altkanzler Schmidt an die "soziale Verantwortung" der Wissenschaft.

„Ein gewisses Maß an Ehrfurcht“ verspüre er schon, bekannte Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Gruss eröffnete den Festakt zum 100-jährigen Bestehen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft/Max-Planck-Gesellschaft am gestrigen Dienstag in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Am gleichen Tag, zur gleichen Stunde und am selben Ort gründete man ein Jahrhundert zuvor die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

Damals hatten 139 Stifter die für jene Zeit beachtliche Summe von mehr als zehn Millionen Goldmark aufgebracht, um die Wissenschaft in den Stand zu setzen, „neue Aufgaben aufzunehmen“, wie es 1911 der preußische Kultusminister August von Trott zu Solz ausdrückte. Das klingt prosaisch, war aber der Beginn einer kaiserlichen Exzellenz-Initiative, die ihresgleichen suchte.

Der neu errichtete Campus in Dahlem vor den Toren Berlins wurde in kurzer Zeit zum Magnet für Spitzenforscher und zu einem Weltzentrum der Naturwissenschaften. In der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft forschten etwa die Nobelpreisträger Albert Einstein, Max Planck, Werner Heisenberg, Otto Warburg, Otto Hahn, und Fritz Haber.

Die Erwartungen seien also erfüllt worden, sagte Max-Planck-Präsident Gruss. Und erinnerte dann an das „dunkelste Kapitel“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, das 1933 begann. Jedes dritte Mitglied musste die Vereinigung wegen jüdischer Herkunft verlassen und viele der verbliebenen Wissenschaftler „kooperierten ohne Skrupel mit dem Regime“. Forscher der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hätten nationalsozialistischen Maßnahmen den Boden bereitet, darunter Zwangssterilisation und Euthanasie. „Sogar Menschenversuche sind dokumentiert.“

1948 wurde die Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet. Man müsse alles tun, „damit unsere Grundlagenforschung nie wieder ethische Grenzen verletzt“, sagte Gruss. Dazu trügen Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis und zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit bei, die die Max-Planck-Gesellschaft verabschiedet hat. Auch einen Ethikrat gibt es.

Damit dürfte Gruss Altbundeskanzler Helmut Schmidt aus dem Herzen gesprochen haben. Vor 30 Jahren hatte Schmidt in einer Rede vor der Max-Planck-Gesellschaft von der „Bringschuld“ der Wissenschaft gesprochen. Diese müsse bereit sein, sich der Öffentlichkeit zu erklären. Als Bürger sei er „dankbar“ für die Arbeit der Forscher und habe viel gelernt. Trotzdem gelte noch immer, dass Wissenschaftler kein „glückliches Eremitendasein beanspruchen“ dürften. Auch ein hochspezialisierter Forscher bleibe ein „Zoon politikon“ und trage als Teil der Elite besondere soziale Verantwortung.

Die Distanz der Max-Planck-Gesellschaft zur Tagespolitik wisse er zu schätzen, aber die Wissenschaft werde an der Entwicklung des 21. Jahrhunderts entscheidend beteiligt sein. „Jede Grundlagenforschung führt zwangsläufig zur Anwendung“, sagte Schmidt. Überbevölkerung, globalisierte Ökonomie, Rüstungswettlauf, den Zusammenstoß zwischen westlicher und islamischer Kultur und den Klimawandel zählt Schmidt zu den Herausforderungen, bei deren Bewältigung die Wissenschaft helfen kann, ihre „Bringschuld“ abzutragen. Zudem wäre es aus Sicht Schmidts wichtig, die innere und äußere Entwicklung der EU in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu erforschen und Perspektiven einer gedeihlichen Entwicklung aufzuzeigen. Lediglich an der Ökonomie ließ Schmidt kein gutes Haar. Die produziere nur „hochkontroverses Geschnatter“ und „gratifikationssüchtige Investmentbanker“.

Der Wissenschaftssoziologe J. Rogers Hollingsworth von der Universität von Wisconsin würdigte die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft. Seine Darstellung der Bedingungen wissenschaftlicher Forschung wuchs sich zu einem Loblied auf „Dohlem“ aus. Es habe sich durch eine erstaunliche Interaktion unter den Forschern ausgezeichnet, die eine Bedingung von Kreativität sei. Zu ihr gehörten auch musische Interessen und im Falle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die jüdische Herkunft vieler Gelehrter. Dahlem sei ein „einzigartiger Ort“ gewesen. Groß war auch die Wirkung im Ausland, vor allem an Spitzenuniversitäten in Amerika – massiv verstärkt durch die vom „Dritten Reich“ erzwungene Emigration.

Die Entwicklung der Max-Planck-Gesellschaft nach dem Zusammenbruch der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nannte Hollingsworth „erstaunlich“. 1948, bei der Gründung, „hätte man das nicht für möglich gehalten“. Hollingsworth attestierte der Max-Planck-Gesellschaft, von allen wissenschaftlichen Institutionen, die er kenne, die „effektivste“ zu sein. Ihre Struktur gebe ihr die Möglichkeit, rasch zu reagieren, neue Wege und Arbeitsfelder zu erschließen. Für die Organisation der Forschung könne die Max-Planck-Gesellschaft eine Führungsrolle übernehmen und ein Modell abgeben. „Sie haben mehr Potenzial“, rief Hollingsworth den versammelten Wissenschaftlern zu, „als ihnen bewusst ist.“

Die abschließende Podiumsdiskussion sollte die Frage „Was macht Kreativität aus?“ erörtern, litt aber darunter, dass sie das Thema konsequent verfehlte. Sie verlief sich zuerst in die Debatte über die Vereinbarkeit von Frauenrolle und Forschung. Und förderte dann kaum mehr als Beliebigkeiten der Familien- und Freizeitaktivität der Teilnehmer zutage.

So erfuhr man, dass der Physiker Günter Hasinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik Bassgitarre spielt und damit sogar auf der letzten Weihnachtsfeier des Instituts aufgetreten ist. Stefan Hell vom Max-Planck-Institut für physikalische Chemie spielt Saxofon, Ute Frevert (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung) hat einen Chor gegründet, Ulrike Krewer (Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme) schätzt Reisen. Im übrigen sind alle mit ihren Instituten hoch zufrieden.

Zu wenigstens halbkritischen Anmerkungen ließen sich nur Ute Frevert und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard bewegen: Frevert plädiert für längere Verträge der Postdoc-Mitarbeiter, Nüsslein-Volhard für Ausschreibungen bei Neubesetzungen von Direktorenpositionen. Was eine echte Revolution wäre, werden doch die Direktorenposten bisher nur an handverlesene Forscher vergeben, auf deren Persönlichkeit der Arbeitsplatz maßgeschneidert ist. Aber es wäre nicht der erste Umsturz im Hause Planck.

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