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Viele Köpfe. Die Geistes- und Sozialwissenschaften stellen die Hälfte der Professuren, doch in der Exzellenzinitiative und ihren Gremien sind sie unterrepräsentiert.

© Bernd Wannenmacher

Geisteswissenschaften im Wettbewerb: Exzellent vernachlässigt

Die Geisteswissenschaften sehen sich in der Exzellenzinitiative nicht gebührend berücksichtigt. Ein Ausweg wären neue Maßstäbe: Die Geisteswissenschaften sollten getrennt von den Sozialwissenschaften begutachtet und honoriert werden, schlägt FU-Präsident Alt vor.

Ist die Exzellenzinitiative arm an Geist? Dass der milliardenschwere Elitewettbewerb der Universitäten die Kulturwissenschaften gegenüber den Natur- und Technikwissenschaften benachteiligt, wurde schon in der ersten Phase 2006/07 beklagt. Geschichte und Literatur kämen kaum zum Zug, alles drehe sich um Technik und Naturwissenschaften. Dies scheint in der neuen Wettbewerbsrunde, die am 15. Juni entschieden wird, bestätigt zu werden.

Überproportional viele kulturwissenschaftliche Anträge schieden schon in der Vorrunde aus. Nur vier von 27 beantragten Clustern aus den Geistes- und Sozialwissenschaften erreichten die Endrunde, bei den Graduiertenschulen sind es neun von 25 Anträgen. Und dass, obwohl die Kulturwissenschaftler in dieser wie in den vorangegangenen Runden nicht weniger Antragsskizzen eingereicht hatten als andere Fächergruppen. Schließlich spielen die Geistes- und Sozialwissenschaften an deutschen Hochschulen eine bedeutende Rolle. Fast die Hälfte der Professuren ist hier angesiedelt.

Berliner Uni-Präsidenten haben die Vorentscheidung kritisiert. Die HU hat nur das Cluster „Bild, Wissen, Gestaltung“ unter der Leitung des Kunstwissenschaftlers Horst Bredekamp in die Endrunde gebracht. Gescheitert ist ein zweites geistes- und sozialwissenschaftliches Vorhaben von FU und HU: „Gender und Mobilität“ zur Geschlechterforschung.

Das schlechte Abschneiden der Kulturwissenschaften zieht sich wie ein roter Faden durch den Wettbewerb. In der ersten Runde von 2006 wählten die Juroren nur ein einziges Cluster aus den Geistes- und Sozialwissenschaften aus, die übrigen 18 Cluster kamen aus Natur und Technik. In der zweiten Runde im Jahr darauf holten die Geisteswissenschaftler zwar auf. Doch am Ende kamen insgesamt sechs der 37 siegreichen Exzellenzcluster schwerpunktmäßig aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, also etwa 15 Prozent. Neun Cluster stellen dagegen die Ingenieurwissenschaften, zehn die Natur- und sogar zwölf die Lebenswissenschaften.

Wie sehr vor allem das Fach Biologie die Exzellenzinitiative dominiert, zeigt eine Auswertung des Berliner Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung. Biologen sind demnach bisher insgesamt an 23 Clustern beteiligt, entweder in einer Haupt- oder in einer Nebenrolle. Selbst wenn man für die Geisteswissenschaften alle Cluster mitzählt, an denen sie nur peripher mitwirken, kommen sie auf lediglich zwölf.

Liegt es am Wettbewerb oder machen die Geisteswissenschaften etwas falsch? Sie seien die große Form der Cluster-Verbünde nicht gewohnt, heißt es, sie stellten zu allgemein formulierte Anträge unter wolkigen Überschriften, fänden keine wirklich neuen Fragestellungen, seien zu wenig vernetzt und international ausgerichtet. Geisteswissenschaftliche Forschergruppen könnten zudem gar nicht so viel Geld ausgeben, wie es für ein Cluster nötig sei, weil sie etwa keine teuren Laborausstattungen bräuchten.

Hinzu komme, dass Fachgutachter aus den Geisteswissenschaften die eigene Zunft sehr viel strenger als andere Fächergruppen beurteilten. Wenn ein Naturwissenschaftler ein Projekt gut findet, gibt er fünf Punkte – die höchste Punktzahl. Die zur Skepsis neigenden Geisteswissenschaftler geben 2,8, erklärte FU-Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte.

Vielleicht liegt das schlechte Abschneiden der Geistes- und Sozialwissenschaftler ja aber auch daran, dass sie in den entscheidenden Gremien der Exzellenzinitiative wenig zu sagen haben. Die „Fachkommission“, die die Entscheidungen für die Cluster und Graduiertenschulen vorbereitet und die Gutachten sichtet, beherrschen Technik- und Naturwissenschaftler. Unter den 15 Mitgliedern sitzen nur zwei Geisteswissenschaftler: eine Germanistin und ein Historiker. In der durch weitere Wissenschaftler ergänzten „Gemeinsamen Kommission“, die danach die Förderempfehlungen abgibt und am Ende gemeinsam mit den Politikern die endgültige Entscheidung fällt, sieht die Situation nicht anders aus. Von 28 Forscherinnen und Forschern sind sechs aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Eine seltsame Auffassung von Fairness.

FU-Präsident Alt sieht die Fächergruppe darüber hinaus in eine Einheit gedrängt, „die so nicht vorhanden ist“. Momentan könne es passieren, dass in einem Gutachterteam ein Wirtschaftswissenschaftler und ein Sinologe oder ein Finanztheoretiker und ein Ägyptologe vertreten seien. Da sei es nicht mehr möglich, fachkompetent zu urteilen. Das gehe letztlich zulasten der Anträge. Bevor man also Quoten für einzelne Bereiche fordere, solle man „Zahlengerechtigkeit herstellen“ und jeweils eine Gruppe für Geistes- und eine für Sozialwissenschaften bilden. Schließlich würden auch nicht Natur- und Lebenswissenschaften zusammengezwungen. Erst dann könne über Kriterien gesprochen werden, die den Geisteswissenschaften als „nicht empirischen Wissenschaften“ gerecht werden, sagt Alt.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat die Hoffnung auf mehr Erfolge der Kulturwissenschaften in der Exzellenzinitiative offenbar schon lange aufgegeben. Bereits 2007, als das Wissenschaftsjahr den Geisteswissenschaften gewidmet war, startete sie zur Kompensation neue Programme, in die bislang rund 170 Millionen Euro flossen, vor allem in den „Freiraum für Geisteswissenschaften“. Dazu gehören bundesweit zehn Käte-Hamburger-Kollegs, in denen auch Berliner Wissenschaftler Zeit bekommen haben, über sechs Jahre intensiv zu Theaterkulturen und zur Geschichte der Arbeit zu forschen – mit einer Verlängerungsoption um weitere sechs Jahre.

Die DFG und der Wissenschaftsrat haben auf die Kritik am Exzellenzwettbewerb nur reagiert, indem sie seit 2007 flexible Fördersummen von einer bis 2,5 Millionen Euro für Graduiertenschulen und drei bis acht Millionen für Cluster einführten. So sollten auch kleine Fächer zum Zuge kommen. Geholfen hat es nicht. Der Anteil der geisteswissenschaftlichen Projekte, über deren Anträge jetzt entschieden wird, ist im Vergleich zur letzten Runde gesunken.

Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, der Ingenieur Wolfgang Marquardt, sieht dennoch keinen Grund zur Klage. Die Kulturwissenschaften schnitten im Exzellenzwettbewerb nicht schlechter ab als in den übrigen DFG-Programmen. Das ist jedoch ein schwacher Trost. Tatsächlich sieht die Lage bei den Sonderforschungsbereichen (SFB) noch düsterer aus. Von den 234 SFB, die die DFG zu Beginn dieses Jahres finanzierte, stammen nur 24 aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Gleich hundert, also fast die Hälfte, stellen die Lebenswissenschaften.

Marquardt ist überzeugt: Die Kulturwissenschaften haben es „nicht nötig, in der Exzellenzinitiative eine besondere Schutzzone eingerichtet zu bekommen“.

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