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Regelmäßig ins Internet. Die 99-jährige Hamburgerin Irmgard Palusinski am PC in der Bibliothek ihres Altenheims.

© ddp

Geistige Fitness: Im Alter viel Neues

Es reicht nicht, bei einer Tasse Kaffee alte Kontakte aufzufrischen. Ob am Computer oder beim Sport: Wer sich auf ungewohntes Terrain begibt, hält seinen Geist länger jung.

Sich im Alter einer bisher ungewohnten, stimulierenden Herausforderung zu stellen, kann geistig fit halten und den gefürchteten Abbau kognitiver Funktionen verzögern, lautet das Ergebnis einer neuen Charité-Studie. Es wirkt zunächst, so ermutigend es ist, nicht weiter erstaunlich, untermauert es doch Erkenntnisse, die in den letzten Jahren in größerer Anzahl an Menschen und Mäusen gewonnen wurden. Verblüffend ist allerdings der zweite Blick auf die Ergebnisse, die online im „Journal of Gerontology: Medical Sciences“ veröffentlicht wurden. Die Psychologin Verena Klusmann und ihre Arbeitsgruppe von der Klinik für Psychiatrie am Campus Benjamin Franklin der Charité haben nämlich noch etwas herausgefunden: Es spielt für die geistige Rüstigkeit keine Rolle, ob die Herausforderung, der sich die Senioren stellen, vorwiegend intellektueller oder körperlicher Natur ist.

Für sein von der deutschen Forschungsgemeinschaft unterstütztes Projekt „Berlin bleibt fit“ hat das Team aus Ärzten und Psychologen 259 überdurchschnittlich gesunde und gebildete Berlinerinnen zwischen 70 und 93 Jahren gewinnen können, von denen 230 das halbjährliche Programm auch tatsächlich durchhielten und in die Auswertung eingingen. Das Los entschied darüber, ob sie für ein halbes Jahr dreimal in der Woche in Kleingruppen an einem abwechslungsreichen Sportkurs oder an einem Computerkurs teilnehmen sollten oder ob sie zur Kontrollgruppe gehörten, für die kein Kurs vorgesehen war.

Alle Bedingungen für die Teilnahme an der Studie zu erfüllen war dabei nicht einfach: Die Damen sollten nicht nur relativ gesund sein, sie durften zusätzlich auch über keine Erfahrung mit dem Computer verfügen und sollten bisher allenfalls ein bescheidenes Bewegungsprogramm in ihren Alltag integriert haben. Trotzdem mussten sie bereit sein, ein umfangreiches Kursprogramm über sechs Monate durchzuhalten. Schließlich ging es um die Frage, wie sich das Anpacken einer neuartigen Aufgabe auf die Hirnfunktionen älterer Menschen auswirkt.

Die Antwort lautet kurz und bündig: Gut. Gut vor allem für das episodische Gedächtnis, das uns das Erinnern an Erlebnisse aus dem eigenen Leben ermöglicht – und das bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer verheerende Einbußen erleidet.

In alltagsnahen Aufgaben wie dem Behalten und detaillierten Nacherzählen von Geschichten schnitten die Teilnehmerinnen beider Kursgruppen besser ab als die Kontrollgruppe. In klassischen psychologischen Tests hielten sie ihr Anfangsniveau zumindest aufrecht – wiederum im Unterschied zu den Frauen aus der Kontrollgruppe. „Das ist für uns besonders spannend, weil es in diesem hohen Alter schon ein großer Erfolg ist, das Gedächtnis zu erhalten“, sagt die Studienleiterin Verena Klusmann.

Offensichtlich kann man sowohl am Rechner als auch in einem ausgefeilten Bewegungsprogramm etwas dafür tun. „Wenn man nur an die geistige Fitness denkt, sind beide Wege möglich“, bestätigt Klusmann. Interessanterweise haben in der Sportgruppe nicht diejenigen Frauen am meisten für ihr Gedächtnis profitiert, die danach körperlich am leistungsfähigsten waren. Was sich im Kopf abspielt, scheint nicht ganz den gleichen Gesetzen zu gehorchen. Voraussetzung für den Erfolg ist hier wohl, dass die Aufgabe neu und geistig anregend ist. „Nur soziale Kontakte aufzufrischen und zusammen Kaffee zu trinken reicht nicht.“

Wie viel Neuigkeit sein muss und ob man sie, um Überforderung zu vermeiden, dosieren sollte, sind in den Augen der Psychologin nun weitere Fragen. Ist es zum Beispiel besser, eine ganz neue, möglichst fremde Sprache zu lernen, oder kann man mit gleichem Erfolg für das Gehirn auch das früher einmal Gelernte wieder auffrischen?

Nicht zuletzt stellen sich den Charité-Forschern auch gesellschaftliche Fragen. Sie halten nämlich weiter engen Kontakt mit den Studienteilnehmerinnen und haben festgestellt, dass die zwar Lust hatten, ihre Aktivitäten fortzuführen, das allerdings in den wenigsten Fällen tatsächlich so intensiv wie zuvor tun. „Unsere Teilnehmerinnen sind hoch motiviert, doch oft scheitert es an fehlenden Angeboten oder finanziellen Hürden.“

Vor allem Hochbetagte kommen nicht von selbst auf die Idee, moderne Internetcafés oder Fitnessstudios zu betreten. Ein weiterer Plan der „Berlin-bleibt-fit“-Arbeitsgruppe besteht deshalb darin, die Seniorinnen beim Planen neuer Aktivitäten zu unterstützen. In der Studie konnten sich die Teilnehmerinnen nur einem von beiden widmen, dem Sport oder dem Computer. Statistisch gesehen wirkte beides gleich gut. Isabella Heuser, Mitautorin der Studie, würde allerdings gern auch wissen, mit welcher Aktivität der oder die Einzelne dem Gedächtnis am meisten nützt. Für die Fahndung nach individuellen Unterschieden könnten genetische Untersuchungen hilfreich sein. Das würde es möglich machen, bei der Vorbeugung „typgerechte“ Akzente zu setzen.

Wer nicht ausschließlich daran denkt, seine geistige Leistungsfähigkeit zu erhalten, wird sich im Alltag aber ohnehin an ein gemischtes Programm halten, um mehrere handfeste Vorzüge zu genießen. So berichteten die Studienteilnehmerinnen, die am Computerkurs teilgenommen hatten, wie viel Spaß es ihnen nun macht, mit ihren Enkeln per E-Mail zu kommunizieren. Die Teilnehmerinnen der Sportgruppe waren dafür – wen wundert’s? – körperlich messbar fitter.

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