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Gen-Forschung: Was uns einzigartig macht

Fortschritte in der Genom-Forschung sind für das Fachblatt „Science“ der „Durchbruch des Jahres“

Im Juni 2000 war es so weit. US-Präsident Bill Clinton präsentierte im Weißen Haus gemeinsam mit den Genforschern Francis Collins und Craig Venter die „Sprache, in der Gott Leben schuf“, das weitgehend vollständig entzifferte menschliche Erbgut. Mittlerweile ist man dabei, den Sinn dieser Sprache zu verstehen. Nach dem ersten Musterexemplar des menschlichen Erbguts hat sich die Forschung der wirklichen Welt zugewandt, dem real existierenden Genom real existierender Menschen in all ihrer Einzigartigkeit und Verschiedenheit. So ist es nur logisch, dass das amerikanische Wissenschaftsmagazin „Science“ die Erforschung des menschlichen Genoms und seiner Vielfalt in seiner Forschungs-Hitliste zum „Durchbruch des Jahres 2007“ gekürt hat.

Drei Milliarden biochemisch gespeicherte „Buchstaben“ umfasst unser Erbgut mit seinen ungefähr 22 000 Genen. Natürlich haben nicht alle Menschen einen genau gleichen genetischen Bauplan. Denn dann wären wir alle eineiige Zwillinge oder Klone. Es gibt im Wesentlichen zwei Gruppen genetischer Unterschiede zwischen Mensch und Mensch. Da sind zum einen Abweichungen bei einzelnen Buchstaben des genetischen Codes. Man schätzt, dass es 15 Millionen dieser über das Erbgut verstreuten Abweichungen zwischen Menschen gibt, genannt singuläre Nukleotid-Polymorphismen oder kurz SNPs (sprich: „Snipps“).

Die meisten der Abweichungen sind belanglos. Aber einige haben erheblichen Einfluss und prägen unsere Individualität wesentlich mit – unseren Körperbau, unser Temperament, unsere Intelligenz, unsere Neigung zu bestimmten Krankheiten. Etwa 80 Prozent der genetischen Unterschiede von Mensch zu Mensch sind vermutlich durch SNPs bedingt. Mitte 2007 waren drei der 15 Millionen SNP-Buchstaben im „HapMap“-Projekt kartiert, einem der Nachfolger des Humanen Genom-Projekts.

Bisher wurden defekte Gene als Krankheitsverursacher meist bei Menschen mit eindeutig vererbten Leiden ausfindig gemacht. Also bei Krankheiten, bei denen genau ein Gen der Auslöser ist, wie dem erblichen Veitstanz Chorea Huntington oder der Mukoviszidose. Mit Hilfe der SNPs ist es nun möglich, auch den vererbten Anteil von Viel-Gen-Krankheiten einzukreisen. Das ist der überwiegende Teil der großen Volkskrankheiten wie Diabetes, Alzheimer oder Krebs. Meist geht es dabei um winzige Abweichungen einzelner Erbanlagen, die erst gemeinsam mit anderen zum Krankheitsauslöser werden. Wie ein großes Orchester, in dem ein einzelner Falschspieler nicht auffällt, in dem aber fünf oder zehn unbegabte Musiker katastrophale Folgen haben.

2005 begann die britische Wellcome-Stiftung, systematisch nach dem Zusammenhang von Krankheiten und Genen zu fahnden. 200 Wissenschaftler analysierten die Erbinformation von 17 000 Briten. Im Juni dieses Jahres präsentierten sie das Ergebnis ihrer Mammut-Analyse: den genetischen Hintergrund für Leiden wie Rheuma, manisch-depressive Krankheit, koronare Herzkrankheit. Andere Forscher kreisten Gene für den Typ-2-Diabetes („Alterszucker“) ein, wieder andere lasen aus dem Katalog der winzigen Abweichungen die Veranlagung für Brustkrebs, ruhelose Beine, Vorhofflimmern – eine Herzrhythmusstörung –, Multiple Sklerose, Darmkrebs und manches mehr heraus.

Neben den SNPs gibt es eine weitere Gruppe genetischer Unterschiede von Mensch zu Mensch, die von Bedeutung sind und die etwa 20 Prozent der genetisch bedingten Unterschiede ausmachen. Teile des Erbguts können aus dem Genom herausbrechen und verloren gehen, sich verdoppeln, an anderer Stelle oder „verkehrt herum“ eingefügt werden – eine Art „Schluckauf im Genom“ (siehe Grafik). Manche dieser Bruchstücke sind sehr kurz, andere enthalten Tausende oder Millionen von „Buchstaben“.

Solche Prozesse sind die Ursache dafür, dass die Gesamtlänge eines Genoms je nach Mensch um neun Millionen Basen-Buchstaben schwanken kann. Und sie können, wie eine Forschergruppe herausfand, das Risiko für Autismus erhöhen.

Fast zeitgleich wurden auch die ersten vollständigen Erbgut-Entzifferungen einzelner Individuen veröffentlicht, nämlich die der Gen-Pioniere James Watson und Craig Venter. Der Preis für eine solche Komplett-Analyse beträgt noch immer mehrere hunderttausend Euro, aber die isländische Firma Decode plant – neben anderen – einen groben genetischen Überblick für jedermann zum Preis von wenigen tausend Euro. Das Genom für jedermann ist also schon schemenhaft am Horizont zu erkennen. Über den Nutzen darf vorerst noch gestritten werden.

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