zum Hauptinhalt
Aus Gebeinen wie dem Zahn eines 7000 Jahre alten Steinzeitschädels, der bei Stuttgart gefunden wurden, haben Forscher die Entwicklungsgeschichte der Europäer rekonstruiert.

© J. Drath

Genealogie: Die Ahnen der Europäer

Europa war schon vor Jahrtausenden ein Schmelztiegel verschiedener Bevölkerungsgruppen.

Zu den alteingesessenen Jägern und Sammlern Mitteleuropas stießen vor ungefähr 7000 Jahren Bauern aus dem Nahen und Mittleren Osten. 2000 Jahre später kamen aus den Steppen im Osten Europas und im Norden Asiens weitere Menschen hier an. Das schlussfolgert eine Forschergruppe um Johannes Krause von der Universität Tübingen in der Zeitschrift „Nature“ aus Erbgutanalysen an Knochen von Bauern und Jägern und Sammlern der Steinzeit.

Wie kam die Landwirtschaft nach Europa

„Ursprünglich wollten wir eine Kontroverse über die Herkunft der ersten europäischen Bauern lösen“, sagt Krause. Ackerbau und Viehzucht erreichten Mitteleuropa vor ungefähr 7000 Jahren. Die ersten landwirtschaftlichen Methoden waren aber schon vor 10 000 Jahren in einer Region namens „Fruchtbarer Halbmond“ zwischen Iran, Irak, dem Süden der Türkei und Syrien entwickelt worden. Bislang stritten sich Forscher, ob diese Bauern aus dem Nahen Osten nach Europa einwanderten oder ob die europäischen Jäger und Sammler nur die landwirtschaftlichen Methoden übernahmen, also nur die Ideen nach Europa einwanderten.

Die Antwort auf diese Frage sollte im Erbgut der Steinzeitmenschen zu finden sein. Daher sammelten die Forscher von verschiedenen Fundorten in Europa Proben menschlicher Gebeine aus der Steinzeit — Zähne und Knochen sowohl von Jägern und Sammlern als auch Bauern aus verschiedenen Zeiträumen.

Die Erbgutdaten legen nahe, dass sich tatsächlich Menschen aus dem „Fruchtbaren Halbmond“ auf den Weg nach Europa gemacht haben müssen. Unterwegs aber scheinen sie sich immer wieder einmal mit den Einheimischen eingelassen zu haben. „Etwas mehr als die Hälfte des Erbguts der ersten Bauern Mitteleuropas stammt von den Jägern und Sammlern Europas“, sagt Krause. Vor allem im Karpatenbecken im heutigen Ungarn könnte es zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen immer wieder einmal gefunkt haben. Dort war der Zug der prähistorischen Landwirte Richtung Mitteleuropa für ein halbes Jahrtausend zum Stehen gekommen.

Verwandtschaft mit Indianern

Die Spuren der Steinzeitmenschen finden die Forscher auch im Erbgut von 2345 Menschen des 21. Jahrhunderts: „Rund 40 Prozent des Erbguts der Menschen im heutigen Mitteleuropa stammen von den europäischen Jägern und Sammlern, weitere 50 Prozent kommen von den frühen steinzeitlichen Bauern“, sagt Krause. Beide gehören also zu unseren Ahnen. Wo aber kommen die restlichen zehn Prozent des Erbguts der Mitteleuropäer her? Die Forscher standen zunächst vor einem Rätsel. Irgendwo muss eine dritte, bisher unbekannte Gruppe von Menschen gelebt haben, die zu den Ahnen der Europäer gehört.

Das Erbgut eines Kindes, das vor ungefähr 24 000 Jahren in der Region um den Baikalsee in Sibirien gestorben war, löste das Rätsel. Von der Menschengruppe, zu der es gehörte, stammen die übrigen zehn Prozent des Europäer-Erbguts. Sie lebten in den kalten Steppen, die vom Nordosten Europas bis weit in den äußersten Ostens Sibiriens reichen. Es sind die gleichen Menschen, die sich in der Eiszeit auf den Weg über die damals Hunderte von Kilometern breite Landbrücke nach Alaska machten – die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner.

Gene aus den nordeurasischen Steppen

Ganz im Westen dagegen hatten diese Bewohner der nordeurasischen Steppen bereits ihre Spuren im Erbgut der Jäger und Sammler hinterlassen, die vor 8000 Jahren in Südschweden lebten. „Rund 20 Prozent der DNS der Menschen im Baltikum kommen von diesen nordeurasischen Steppenbewohnern, in Mitteleuropa sind es sieben bis zehn Prozent und in Sardinien gerade noch ein Prozent“, erklärt Johannes Krause. Die Menschen auf dieser Mittelmeerinsel scheinen ohnehin bis heute relativ isoliert vom Rest Europas zu leben. Ihr Erbgut ähnelt noch heute sehr stark dem Genom des in Südtirol gefundenen Steinzeitmanns Ötzi und einer vor 7000 Jahren verstorbenen Bäuerin aus dem Raum Stuttgart.

„Vor weniger als 5000 Jahren kamen dann die Steppenbewohner Nordeurasiens in den Rest Europas“, vermutet Krause. Möglicherweise brachten sie die Kultur der Schnurkeramik mit. Mit Sicherheit aber hinterließen sie deutliche Spuren in unserem Erbgut.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false