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Genetik

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Genetik: Das Altern im Wandel

Was hält manche länger jung als andere? Diese Frage ist so alt wie die Menschheit. Forscher sagen: Der Lebensstil hat Einfluss auf das Erbgut - und damit auf den Alterungsprozess jedes Einzelnen.

Jeanne Louise Calment aus dem südfranzösischen Arles starb am 4. August 1997. Sie war 122 Jahre, fünf Monate und 14 Tage alt geworden und gilt bis heute als der Mensch, der am längsten gelebt hat – zumindest wenn man sich auf gesicherte Fakten verlässt. Als 14-Jährige hatte Calment dem Maler Vincent Van Gogh Pinsel verkauft, als 100-Jährige fuhr sie noch Fahrrad, und erst mit 119 gab sie das Rauchen auf. Zuletzt war sie zwar blind und fast taub, aber noch immer geistig rege.

Was hält manche länger jung als andere? Diese Frage ist so alt wie die Menschheit. Nun scheint die Molekularbiologie allmählich ein paar Antworten zu geben. Auf dem Internationalen Genetik-Kongress Mitte Juli in Berlin gab es mehrere Vorträge über die biologischen Hintergründe des Alterns.

Offenbar wirkt sich der Lebensstil auf das Erbgut aus und beeinflusst so das biologische Alter der Billionen Körperzellen. Je hinfälliger diese werden, desto eher bekommen wir tödliche Krankheiten, sagt Elizabeth Blackburn von der Universität von Kalifornien in San Francisco: „Herzkreislaufkrankheiten, Krebs und Diabetes sind die Hauptkiller älterer Menschen.“ Unter den Uralten hingegen litten erstaunlich wenige an diesen Altersleiden. Vieles spricht dafür, dass ein biologisches System ihre Zellen ungewöhnlich lange jung hält.

Blackburn ist berühmt für die Erforschung der Telomere. Diese Schutzkappen aus Eiweißmolekülen sitzen im Zellkern auf den Enden der Erbgutträger, Chromosomen genannt. Sie bewahren die Stränge aus Desoxyribonukleinsäure (DNS) vor ungewollten chemischen Reaktionen und damit vor der Zerstörung. Theoretisch verlieren die Chromosomen bei jeder Zellteilung ein Stück ihrer Telomere. Eines Tages sind sie aufgebraucht, und die Zelle muss sterben. Die Wirklichkeit indes ist komplexer: „An den Telomeren bedeckt eine hoch organisierte Struktur von Proteinen die DNS“, sagt Blackburn. Dazu gehört auch ein Enzym, das die Genetikerin einst entdeckte, die Telomerase. Sie sorgt bei einer Zellteilung dafür, dass die verkürzte Schutzkappe wieder verlängert wird und hält die Zelle damit jung.

Dank einer sehr aktiven Telomerase würden viele wichtige Zellen des Körpers praktisch nicht altern, sagt Blackburn. Dazu gehören Stammzellen, Keimzellen, die Knochenmarkzellen, die laufend das Immunsystem erneuern – und fatalerweise fast alle Arten von Krebszellen. Die Indizien häufen sich, dass Umwelteinflüsse die Aktivität der Telomerase verändern und somit entscheidenden Einfluss auf Krankheitsanfälligkeit und Lebensdauer haben.

Zumindest bei Hefepilzen ist der Zusammenhang bereits belegt: Starker Umweltstress kann zur Abschaltung der Telomerase führen, was das Leben der Einzeller verkürzt. Und es gibt erste Hinweise, dass das auch bei Menschen der Fall sein könnte.

Bei einer extrem seltenen Erbkrankheit ist eines der beiden Gene für Telomerase defekt. Wer davon betroffen ist, stirbt bereits in jungen Jahren.

Was Blackburn besonders nachdenklich stimmt, sind neue Untersuchungen über den Einfluss lang anhaltender Belastungen. Demnach verkürzt chronischer psychologischer Stress die Telomere. Menschen in Extremsituationen, die beispielsweise alleine einen dementen Angehörigen pflegen müssen, haben deutlich erhöhte Stresshormonspiegel und eine verringerte Aktivität des zellverjüngenden Enzyms Telomerase.

Ähnliche Folgen konnten Forscher inzwischen bei Menschen mit Essstörungen sowie bei Rauchern ausmachen. Eine aktuelle Studie mit eineiigen Zwillingen zeigte zudem, dass Sportler längere Telomere haben als ihre bewegungsfaulen genetisch identischen Geschwister. „Angesichts solcher Erkenntnisse bezweifelt heute kaum noch jemand, dass sowohl die Genetik als auch Umwelteinflüsse die Telomere verändern und so die Lebensspanne beeinflussen“, sagt Blackburn.

Immer wenn es um den Einfluss der Umwelt auf das Erbgut geht, kommen die Epigenetiker ins Spiel. Sie erforschen chemische Reaktionen, mit denen eine Zelle dauerhaft bestimmte Gene an- oder abschalten kann. „Fast alles wirkt sich auf unsere Gene aus: Essen, Verhalten, Gifte, Stress, Klima“, sagt der Genforscher Jörn Walter von der Universität Saarbrücken. Deshalb spiele dieses Gedächtnis der Zelle auch eine Rolle bei der Lebenserwartung. Indem sie bestimmte Teile ihres Erbguts aktiviere oder unterdrücke, passe sich eine Zelle an eine bestimmte Umwelt an, sagt Walter, der kürzlich in Berlin eine Epigenetik-Konferenz der Deutschen Forschungsgemeinschaft leitete. „Die Genetik wirkt über Millionen von Jahren. Doch die Epigenetik verändert Organismen innerhalb einer Generation.“

Auf Walters Tagung berichtete Ann Ehrenhofer-Murray von der Universität Duisburg-Essen über ein Eiweiß, das es bei fast allen Lebewesen gibt: „Die Sirtuine lagern sich an die DNS an und helfen ihr beim Aufbau einer kompakten Struktur. Eher zufällig wurde entdeckt, dass sie auch beim Altern eine wichtige Rolle spielen.“ An den Chromosomen-Enden gibt es besonders viele Sirtuine. „Sie schützen die Telomere davor, abgebaut zu werden“, sagt Ehrenhofer-Murray. Mittlerweile sei klar, dass eine Aktivierung der Sirtuine das Leben von Zellen verlängere. Auch Shelly Berger, Epigenetikerin vom Wistar Institute in Philadelphia, USA, ist überzeugt, dass die Sirtuine einer der Schlüssel für ein hohes Alter sind: „Sind sie aktiv, wirkt das in allen Organismen dem Altern entgegen.“

Nimmt man die Erkenntnisse des Psychologiekongresses hinzu, der am Freitag in Berlin endete, ergibt sich ein umfassendes Bild. Ein erfülltes Leben im hohen Alter erreichen vor allem jene, die geistig und körperlich rege bleiben, berichteten die Forscher (Tagesspiegel vom 28. Juli). Auch hier war Jeanne Calment ihrer Zeit voraus: Sie heiratete 1896 einen wohlhabenden Mann und soll anschließend das sportliche wie kulturelle Leben ausgiebig genossen haben.

Peter Spork

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