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Maus

© pa/dpa

Genetik: Die Forschung mit der Maus

Erbliche Krankheiten werden oft von mehreren Genen gesteuert. An Fliegen und Nagetieren studieren Genetiker, was Menschen für Krankheiten empfänglich macht.

Fliegen, Mäuse und Ratten gehören nicht gerade zu den Lebewesen, die viele Sympathien erregen. Und doch verdanken wir ihnen eine Menge. Denn wichtige Erkenntnisse über die Entstehung und Behandlung von Krankheiten werden in Experimenten gewonnen, in denen diese Tiere als Versuchsobjekte dienen.

Das gilt auch für die Molekularbiologie. Wenn Forscher nach „Krankheitsgenen“ beim Menschen fahnden, kommen sie fast nie ohne Tiere als Studienobjekte aus. Drosophila melanogaster ist dabei besonders beliebt: Das Erbgut der schwarzbäuchigen Taufliege, die sich seit rund 100 Jahren in der Forschung nützlich macht, wurde bereits im Jahr 2000 entziffert.

Drosophila ist leicht zu züchten, ihr Zentralnervensystem funktioniert nach den gleichen Prinzipien wie das höherer Organismen, doch zugleich hat man es mit deutlich weniger Nervenzellen zu tun. „Für uns sind Modellorganismen wie Drosophila melanogaster sehr wichtig, wenn wir die Signalwege eines Gens verfolgen und etwas über seine Funktionen herausbekommen wollen“, sagte Hugo Bellen vom Baylor College of Medicine im texanischen Houston letzte Woche beim Internationalen Genetik-Kongress in Berlin.

Die Nützlichkeit der Taufliege hat sich für Bellen gerade wieder gezeigt. Dank ihrer Mithilfe konnte seine Arbeitsgruppe auf der Suche nach den Ursachen eines seltenen neurologischen Leidens, der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), einen Schritt weiterkommen. Bei der Krankheit, die oft schon Menschen im mittleren Lebensalter trifft, gehen Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark zugrunde, die den Muskeln das Signal zur Bewegung geben. Die Betroffenen leiden unter einer Schwäche in Händen und Füßen. Später kommen Krämpfe und Lähmungen hinzu und die Patienten können nicht mehr Sprechen und Schlucken. Lebensbedrohlich wird es, wenn die Atmung betroffen ist.

Bellen und seine Kollegen haben bei einer ausgesprochen seltenen Form der erblichen ALS, die bisher nur bei rund 200 Menschen diagnostiziert wurde, eine Gen-Mutation ausfindig gemacht, die zur Produktion eines veränderten Eiweißes namens VAP B führt. Außerdem konnten sie zeigen, dass Taufliegen, denen nach genetischen Manipulationen das entsprechende Protein fehlt, Auffälligkeiten der Nervenzellen aufweisen. Das legt nahe, dass VAP B für die Signalübermittlung zwischen Nerven und Muskeln gebraucht wird, die bei ALS gestört ist.

Im Labor von Grundlagenforschern ebenso unentbehrlich wie Drosophila sind genetisch veränderte Mäuse. An ihnen untersucht Rudi Balling, Präsident des Genetik-Kongresses, zum Beispiel, was Organismen für Infektionskrankheiten besonders anfällig macht. Etwa für Listerien, die bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem lebensgefährliche Gehirn-Entzündungen hervorrufen können. Mäuse, die sich normalerweise von der Bakterienart Listeria monocytogenes nicht beeindrucken lassen, werden krank, wenn man ihr eigenes Erbgut oder das des Erregers geringfügig verändert.

Wissenschaftler um Rudi Balling vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig versuchen jetzt auch, den molekularen Mechanismen von Grippeinfektionen auf die Spur zu kommen. Damit leisten sie einen Beitrag zum „Flu-Research-Net“, einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kooperation. „Wir interessieren uns dabei besonders für die genetische Komponente der Empfindlichkeit oder umgekehrt der Unempfindlichkeit gegenüber Infektionen“, erklärte Balling. Auf die Maus-Modelle setzt er große Hoffnungen: „Wir haben dabei sogar einen Gender-Aspekt entdeckt, denn männliche und weibliche Mäuse sind für die Infektionen unterschiedlich empfindlich.“

Bisher gelten die Aufsehen erregenden Erkenntnisse oft seltenen Erkrankungen. Denn für die Entstehung der großen Volkskrankheiten wirken typischerweise zahlreiche Erb- und Lebensstil-Faktoren zusammen. In der „German Mouse Clinic“ am Helmholtz-Institut für Experimentelle Genetik in München wird dieses Zusammenspiel untersucht. „Unser Genom ist viel dynamischer als es bisher im Lehrbuch steht“, sagte Institutsdirektor Martin Hrabé de Angelis im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Uns interessiert, wie es mit den fünf größten Umwelteinflüssen Ernährung, Bewegung, Atemluft, Stress und Infektionen interagiert.“ 50 Gruppen von Tieren, jeweils 40 gesunde Mäuse und 40 Artgenossen mit einer bestimmten Mutation, durchlaufen derzeit jedes Jahr ab ihrer neunten Lebenswoche ein aufwendiges Screening-Programm, das 320 Messgrößen umfasst. Nicht nur die genetischen Signalwege, sondern auch das Verhalten der Tiere, ihr Stoffwechsel, ihre Neigung zu Allergien und ihre Knochendichte interessieren die Forscher.

Die Kombination dieser Erkenntnisse soll zum besseren Verständnis menschlicher Erkrankungen führen. Hrabé de Angelis deutete an, dass es neue, unveröffentlichte Erkenntnisse zur Glasknochenkrankheit gebe. Genetische Veränderungen, die den „Proteinkleber“ Kollagen betreffen, machen dabei die Knochen extrem brüchig. Bei Mäusen mit dem Gendefekt zeigten sich nun aber auch Veränderungen an Lunge, Herz und Stoffwechsel. „Die Geschichte der Krankheit muss möglicherweise neu geschrieben werden“, sagt der Institutsdirektor.

Adelheid Müller-Lissner

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