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Genetik: Menschliche Gene sind Multitasker

Bis zu 94 % der menschlichen Gene können verschiedene Produkte generieren.

Auch wenn Menschen häufig Probleme damit haben, mehr als eine Aufgabe zu meistern, bewältigen unsere Gene Universalaufgaben. Genomuntersuchungen zur Genexpression in 15 verschiedenen Geweben und Zelllinien haben erbracht, dass bis zu 94 % der menschlichen Gene mehr als ein Produkt generieren.

Die Untersuchungen, die in Nature (1) und Nature Genetics (2) veröffentlicht wurden, nutzten Sequenzierung mit hoher Durchsatzgeschwindigkeit, um das bislang detaillierteste Bild davon zu erstellen, wie Gene in verschiedenen Geweben exprimiert werden.

Lediglich etwa 6 % der menschlichen Gene bestehen aus einem einzigen, linearen Stück DNA. Die meisten Gene bestehen aus DNA, die sich an verschiedenen Loci auf einem Strang befindet. Die Informationen, die in diesen Fragmenten enthalten sind, werden zu messenger-RNA (mRNA) zusammengesetzt, die als Vorlage zur Produktion von Proteinen dient.

Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass dasselbe Gen auf verschiedene Arten zusammengesetzt sein kann, manchmal zum Beispiel unter Auslassung eines Teils oder durch den Einbau eines dazwischen liegenden Stücks.

Komplexer als eine Nematode

Aus diesem Prozess, der alternatives Splicing genannt wird, können mRNA-Moleküle und Proteine mit drastisch unterschiedlichen Funktionen hervorgehen, obwohl sie aus demselben Gen entstehen. Das Phänomen ist ein gewisser Trost für diejenigen, die von der relativ kleinen Anzahl der Gene im menschlichen Genom enttäuscht sind: Mit rund 20.000 Genen besitzen Menschen in etwa dieselbe Anzahl wie der elegante, aber klar weniger komplexe Fadenwurm, Caenorhabditis elegans.

"Wir hatten erwartet, dass etwas so Komplexes, Intelligentes und Ausgeklügeltes wie wir selbst mindestens über hunderttausend Gene verfügen würde", sagt Jacek Majewski, Genetiker an der McGill University in Montreal, Kanada. "Dann sequenzierten wir das Genom und realisierten, dass es etwa dieselbe Anzahl ist wie bei C. elegans." Glücklicherweise scheint alternatives Splicing nur zu einem Zehntel bei C. elegans vorzukommen, was die Erhabenheit der Komplexität des menschlichen Genoms wieder herstellt. Diese Flexibilität zu verstehen sollte helfen aufzudecken, wie fehlerhaft gesplicte Gene Krankheiten triggern können.

Trotz des großen Interesses am alternativen Splicing ist das Phänomen schwer zu untersuchen und die üblichen Labortechniken können seltene Formen des Splicings häufig nicht aufdecken. Wissenschaftler hatten zuvor angekommen, dass 74% (3) aller menschlichen Gene alternativ gesplicet werden, stellten jedoch fest, dass diese Schätzung höher ausfiel, als die Techniken, diesen Prozess zu untersuchen, verbessert wurden.

Nun haben zwei Arbeitsgruppen unter der Leitung von Christopher Burge am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und Benjamin Blencowe, Molekularbiologe an der University of Toronto in Kanada, das alternative Splicing mithilfe von Sequenzierungs-Daten untersucht, die Illumina, ein Biotechnologieunternehmen mit Sitz in San Diego, Kalifornien, bereitstellte.

Bei dieser Technik wird ein Enzym verwendet, das mRNA in DNA rückverwandelt, die dann sequenziert werden kann. Blencowe und seine Kollegen untersuchten Splicing-Formen, die in sechs verschiedenen Gewebearten, darunter Gehirn, Leber, Muskel und Lunge, gefunden wurden. Burge und seine Kollegen verwendeten diese Proben zusammen mit weiteren, darunter Brustkrebs-Zelllinien. Auf der Grundlage von 400 Millionen Sequenzen schätze Burges Team, dass 92-94 % der menschlichen Gene mehr als ein RNA-Molekül erbringen können.

Technologische Herausforderung

Experten auf diesem Gebiet stimmen zu, dass diese Arbeit wichtig ist, sind allerdings nicht besonders überrascht von den Zahlen. "Das Neue ist die Technologie, die große Auswirkungen darauf haben wird, wie wir das Splicing untersuchen", meint Douglas Black, Molekularbiologe an der University of California in Los Angeles.

Analysen des neuen Splicing-Katalogs können Muster offenbaren, wie der Prozess reguliert wird, es ist jedoch weitere Arbeit nötig um herauszufinden, ob alle diese verschiedenen Splicing-Formen eine Funktion erfüllen. "Die Frage lautet nun ‚Sind alle diese Formen biologisch relevant?'", sagt Marie-Laure Yaspo, Genetikerin am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Einige der seltenen Varianten sind möglicherweise nicht mehr als Hintergrundrauschen, das durch zufällige Fehler entsteht, merkt sie an.

Konventionelle Techniken sind jedoch nicht in der Lage, die Funktion einer Splicing-Variante von einer anderen zu unterscheiden. "Was wir brauchen, sind Methoden zur Analyse der Funktionen dieser Splicing-Varianten", sagt Blencowe. "Da steht uns eine große Herausforderung bevor."

(1) Wang, E. T. et al. Nature doi:10.1038/nature07509 (2008) (2) Pan, Q. et al. Nature Genet. doi:10.1038/ng.259 (2008) (3) Johnson, J.M. et al. Science 302, 2141-2144 (2003)

Dieser Artikel wurde erstmals am 3.11.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2008.1199. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Heidi Ledford

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