zum Hauptinhalt
Eine Stachelbeerpflanze, die von Mehltau befallen ist.

© IMAGO

Gentechnik: Geschickt geschnippelt

Neue Gentechniken erlauben Erbgutveränderungen, die sich von natürlichen nicht mehr unterscheiden. Die Anwendung soll "so einfach wie Brötchenbacken" sein - und in Pflanzen nicht mehr nachweisbar.

Sie schmecken unvergleichlich lecker, diese Erdbeeren, die beim Waldspaziergang am Wegesrand wachsen. Aber sie sind winzig. Die großen, fleischigen Varianten aus dem Supermarkt hingegen sind oft wässrig und erinnern nur entfernt an Erdbeergeschmack. Den Züchtern sind auf dem Weg zur Kulturerdbeere offenbar die Geschmacksgene verloren gegangen. Wie wäre es, wenn sich diese Gene in den Kulturerdbeeren wieder einschalten ließen? Wenn mit der gezielten Veränderung von ein paar Erbgutbausteinen Weizen gegen Mehltau resistent würde? Oder sogar Blutzellen des Menschen dem Aids- und anderen Viren trotzen könnten?

Seit Kurzem halten Forscher das genchirurgische Werkzeug dafür in Händen. Die Technik mit dem kryptischen Namen Crispr/Cas9 wird in molekularbiologischen Labors bereits mit Begeisterung benutzt. Dem Gesetzgeber dürfte Crispr in den nächsten Jahren aber einiges Zähneknirschen verursachen. Denn mit dem Tool lassen sich Gene so verändern, dass die entstehenden Organismen von natürlichen, züchterisch veränderten nicht zu unterscheiden wären und vom Gentechnikgesetz nicht mehr erfasst werden. Das wurde jetzt auf einer Veranstaltung zu neuen Techniken der „Genomchirurgie“ anlässlich der Veröffentlichung des dritten „Gentechnologieberichts“ in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften deutlich.

Mehrere Eigenschaften eines Organismus werden gleichzeitig verändert

Mit Crispr wird die Genomchirurgie „so einfach wie das Brötchenbacken“, sagte Bernd Müller-Röber vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie im brandenburgischen Golm. „Das ist so simpel, dass es jedes Labor kann.“ Die Technik besteht aus drei Komponenten: Zuallererst braucht es eine molekulare Schere, die den DNS-Erbgutfaden aufschneiden kann. Diese Schere bekommt dann eine Art Schnittmustervorlage (guide-RNS) zur Hand, die ihr sagt, wo genau im Milliarden Bausteine langen DNA-Faden sie schneiden soll. Und drittens wird ein Stück Erbgut mitgegeben, das an der Stelle eingesetzt wird, an der die Schere geschnitten hat.

Lässt man die Schere an mehreren Stellen im Erbgut arbeiten, können mit einem Experiment gleich mehrere Eigenschaften eines Organismus gleichzeitig verändert werden. Beim Erbgut der Hefe gelang es beispielsweise, zehn Veränderungen gleichzeitig durchzuführen. Ein immenser Vorteil, denn bislang waren in der Regel nur einzelne Veränderungen pro Experiment möglich, sodass zwei Pflanzen mit jeweils unterschiedlichen Genveränderungen erst mühsam und zeitaufwendig miteinander gekreuzt werden mussten.

Die Entdecker der Crispr-Technik werden für den Nobelpreis gehandelt

Entdeckt wurde das Präzisionswerkzeug eher zufällig, als Bakterienforscher sich das Erbgut des Darmbakteriums Escherichia coli genauer ansahen. Dabei entdeckten sie eine Art Immunsystem, mit dem die Mikroben Virenerbgut zerschneiden und vorsorglich ins eigene Erbgut einsetzen, um künftigen Virenbefall bekämpfen zu können.

Als das System nach jahrelanger Forschung endlich verstanden war, machten es sich Jennifer Doudna von der Universität von Kalifornien in Berkeley und Emmanuelle Charpentier vom Helmholtzzentrum für Infektionsforschung in Braunschweig zunutze und bauten es zu Gentech-Instrumenten um. Beide werden bereits als künftige Nobelpreisträger gehandelt, denn in den Labors haben die Werkzeuge die Arbeit erheblich erleichtert. Dauerte beispielsweise eine einzige gentechnische Veränderung bei der Maus früher mindestens ein Jahr, sind jetzt mehrere Genveränderungen innerhalb von ein paar Wochen möglich.

Menschliche Abwehrzellen könnten gegen HIV immunisiert werden

Die Erbgutscheren sind so effektiv, dass sie bereits für gentherapeutische Einsätze am Menschen erwogen werden: So könnten Patienten mit Sichelzellenanämie Blutstammzellen entnommen, die für die Krankheit verantwortliche Genmutation korrigiert und die behandelten Zellen zurückgespritzt werden. Bei Mäusen hat das bereits so gut funktioniert, dass sie geheilt wurden, sagte Müller-Röber. Möglich scheint sogar, menschliche Abwehrzellen immun gegen das Aidsvirus HIV zu machen, wie es kürzlich im Labor von Chad Cowan an der Harvard-Universität gelang. Sein Team entfernte die Erbinformation für das Einfallstor der Viren mithilfe der Crispr-Technik aus dem Erbgut der Abwehrzellen.

In der Pflanzenzüchtung nannte Bernd Müller-Röber Weizen, der gegen den Mehltau-Pilz resistent gemacht wurde, als Beispiel. Mit Crispr hätten drei Gene gleichzeitig verändert werden können. „Das wäre mit klassischen Methoden der Gentechnik oder Züchtung nicht möglich gewesen“, sagt Müller-Röber. Zwar ist jede einzelne Genveränderung minimal und hätte in der Natur auch von selbst auftreten können. Dass allerdings alle drei Mutationen in der Natur gleichzeitig passieren, wäre ein statistisch so seltenes Ereignis, dass Züchter darauf ewig warten würden. Die Crispr-Technik kürzt den natürlichen Weg ab.

Pflanzen werden so verändert, wie es eine natürliche Mutation täte

Für den Gesetzgeber wird die Technik zum Problem, weil sie so präzise ist, dass sie ein Bakterium oder eine Pflanze genau so verändern kann, wie es auch eine natürlich auftretende Mutation tun würde. So kann beispielsweise in einer Kulturpflanze (wie der Erdbeere) ein Erbgutbaustein in einem Gen gezielt durch einen anderen ersetzt werden, sodass die Kulturpflanze eine Eigenschaft entwickelt, wie sie nur die wild wachsende Sorte hat. Ein Ergebnis, das auch durch Kreuzen der beiden Pflanzensorten hätte zustande kommen können, aber viel länger gedauert hätte. Die neuartigen Pflanzen, Bakterien und Tiere, die durch Crispr-Technik entstehen können, sind also unter Umständen nicht von natürlich entstehenden zu unterscheiden.

Die neue Methode hinterlässt keine nachweisbaren Spuren

Die alten Gentechniken hinterließen in der Regel deutliche Spuren im Erbgut. DNS-Abschnitte aus Bakterien oder Viren landeten beispielsweise im Pflanzenerbgut, weil sie für den Transfer nötig waren und sicherstellen sollten, dass die mühsam transferierten Gene auch funktionierten. Die Abschnitte ließen sich per Gentest prima nachweisen und die Pflanze als gentechnisch verändert erkennen. Bei einer Crispr-veränderten Pflanze hilft der Gentest nicht weiter, wenn Mutationen eingeführt wurden, wie sie auch natürlich hätten entstehen können. Ob solche Pflanzen dann überhaupt noch als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gelten können oder sollten, ist umstritten, hieß es auf der BBAW-Veranstaltung.

In der Tat gelten Organismen, deren Erbgut mithilfe von radioaktiver Bestrahlung oder chemischen Substanzen verändert wurde, sowohl in Deutschland als auch in der EU nicht als gentechnisch verändert. Eine bewusste Ausnahmeregelung des Gesetzgebers, denn in der Vergangenheit haben Züchter so ziemliche jede wichtige Kulturpflanze mit diesen Methoden behandelt, sodass die Verbraucher tagtäglich erbgutverändertes Gemüse essen – es ist nur eben nicht mit Gentechnik verändert worden.

Das deutsche Gentechnik-Gesetz erlaubt deshalb gentechnische Veränderungen, solange sie nur mit Genmaterial aus derselben Art vorgenommen werden. Sie werden „cisgene“ Veränderungen genannt, im Gegensatz zu den „transgenen“, bei denen ganze Gene oder andere DNS-Sequenzen einer Art in das Erbgut einer anderen verfrachtet werden. Die mit cisgenen Methoden gezüchtete „Innate“-Kartoffel der US-Firma J. R.Simplot ist in den USA von gentechnischen Regulierungsmaßnahmen ausgenommen. Allerdings war es der Fast-Food-Kette McDonald’s angesichts der Gentechnik-Phobie vieler Verbraucher dennoch zu heikel, die Kartoffel ins Programm zu nehmen – obwohl die Knolle beim Frittieren weniger giftige Acrylamide produzieren soll.

Der Gesetzgeber muss den Umgang mit den behandelten Pflanzen klären

Im deutschen Gentechnik-Gesetz wird cisgener Gentransfer innerhalb einer Art als „Selbstklonierung“ bezeichnet, gilt ausdrücklich nicht als gentechnisches Verfahren und muss folglich auch nicht in einem Sicherheitslabor stattfinden. Schon 2012 hat die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit, die über die Einhaltung des deutschen Gentechnikgesetzes wacht, zu „neuen Technologien in der Pflanzenzüchtung“ Stellung genommen: . Die Cisgenese gleiche der Selbstklonierung, „denn der resultierende Organismus weist keine fremden Nukleinsäuren (...) auf“. Der resultierende Organismus sei demnach kein gentechnisch veränderter Organismus im Sinne des Gentechnikgesetzes. Ob das nur für das Labor gilt, oder auch wenn diese Pflanzen in die Natur freigesetzt werden, ist offen.

Eine Antwort auf eine Anfrage bei der Europäischen Kommission, ob mit Crispr oder ähnlichen Methoden veränderte Organismen von den bisherigen europäischen Richtlinien zur Gentechnikregulierung erfasst werden, stehe noch aus, sagte Jochen Taupitz, Jurist und stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Ethikrates. „Eine klare Antwort kann nur der Gesetzgeber geben – oder ein Gericht, das einen konkreten Fall verhandelt und entscheidet.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false