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© dpa

Gentherapie: "Mäuse sind keine kleinen Menschen"

Zu Gast in Berlin: Nobelpreisträger Martin Evans sieht Gentherapien noch als Zukunftsmusik.

Den wichtigsten Anruf seines Lebens hat Martin Evans verpasst. Er half gerade seiner Tochter beim Renovieren ihrer Wohnung. Erst als er die schwedische Nummer zurückrief, erfuhr er, dass er den Nobelpreis für Medizin erhalten würde.

Das war 2007 – und die entscheidenden Forschungsergebnisse lagen schon mehr als 20 Jahre zurück. 1981 hatte Evans erstmals embryonale Stammzellen von Mäusen isoliert und damit ein Feld begründet, das heute als Synonym für die Medizin der Zukunft gilt.

Evans ging es aber weniger um die Medizin als die Genetik. „Stammzellen sind ein ungeheuer mächtiges Werkzeug, um die Funktion von Genen zu untersuchen“, sagte er am Donnerstagvormittag in der Technischen Universität Berlin, wo er am Abend die traditionelle Queen’s Lecture halten sollte. „Wir können heute jedes beliebige Gen in einer Maus ausschalten.“

Dafür müssen Forscher lediglich eine defekte Kopie des entsprechenden Gens in den Zellkern schleusen. Den Rest macht die Zelle selbst. „Die Reparaturmechanismen erkennen dieses Fragment und tauschen es gegen die gesunde Kopie im Erbgut aus.“ Mehr als 10 000 Gene seien so in Experimenten bereits ausgeschaltet worden, um ihre Funktion zu untersuchen. „Das geht bei jedem Gen, solange Mäuse ohne das Gen nicht sterben“, sagt Evans. Und selbst Gene, die zunächst lebenswichtig scheinen, sind es häufig nicht. C-mos zum Beispiel. Das Gen, das Evans erforscht, kann Leukämien verursachen. Da es trotz dieser Gefahr immer noch im menschlichen Erbgut ist, muss es ungeheuer wichtig sein.

Aber auch Mäuse ohne c-mos scheinen auf den ersten Blick völlig gesund zu sein. „Wir dachten schon: Oje, da passiert ja gar nichts“, erinnert sich Evans. Aber dann stellte sich heraus, dass die Fortpflanzung der Weibchen gestört war. Bei ihnen teilten sich nicht befruchtete Eizellen und bildeten einen Tumor. Offenbar ist c-mos wichtig für die Zellteilung.

Es ist aber weniger diese Grundlagenforschung als die Hoffnung, ähnliche Techniken auch beim Menschen einzusetzen, die die Fantasie der Öffentlichkeit beflügelt. Mit einer solchen Gentherapie könnten schwere Erkrankungen geheilt werden. In ersten Fällen ist das bereits gelungen. Besonders ermutigend sind die Ergebnisse bei Kindern mit einer schweren Immunschwäche. Diese „Bubble-Babys“ müssen in keimfreier Umgebung unter einer Plastikhülle leben, weil jedes Bakterium, jedes Virus ihren Tod bedeuten könnte. Die Gentherapie ermöglicht ihnen ein Leben außerhalb der Plastikhülle.

Bis solche Gentherapien Standard sind, werde noch viel Zeit vergehen, glaubt Evans. „Vielleicht bin ich sehr pessimistisch, aber ich denke nicht, dass ich noch von dieser Technik profitieren werde“, sagt der 69-Jährige. „Meine Enkelkinder aber wahrscheinlich schon.“

Natürlich gebe es bei der Übertragung von Forschungsergebnissen an Mäusen auf den Menschen Grenzen, sagt Evans. „Eine Maus ist kein perfekter, kleiner Mensch in einem Käfig.“ So könne man bei einer Maus genau dieselbe Mutation einführen, die beim Menschen Mukoviszidose verursache. Bei der Maus seien dann aber andere Symptome entscheidend als bei menschlichen Patienten. Kai Kupferschmidt

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