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Mit Pantoffeln und Spezialbrille. Nachwuchswissenschaftler studieren ein virtuelles Sedimentbecken im Nordatlantik.

© Universität Potsdam/A. Peter

Geoforschung: Virtuelle Reise durch die Erde

In einem 3-D-Labor erkunden Potsdamer Geowissenschaftler, wie Lagerstätten aufgebaut sind und Gebirge entstehen. Außerdem wollen sie damit Politikberatung machen.

Auf den ersten Blick erinnert das Gebilde an eine verunglückte Lasagne. Die Schichten in Gelb, Braun und Ocker sind von tiefen Furchen durchzogen und in unregelmäßige Falten geworfen. Tatsächlich handelt es sich aber um eine dreidimensionale Karte von Sedimenten, die unter dem Grund des Nordatlantiks liegen und möglicherweise Erdöl bergen. Zum Greifen nah schweben sie im 3-D-Labor des Instituts für Geowissenschaften an der Universität Potsdam, das diese Woche offiziell eingeweiht wurde.

„Je mehr wir über die Lage der Schichten, ihre Eigenschaften und am besten noch über ihre Veränderungen im Lauf der Zeit wissen, umso besser können wir abschätzen, wo Rohstoffe wie Erdöl zu erwarten sind“, sagt Gerold Zeilinger, der das Labor leitet. Er steht in übergroßen Filzpantoffeln auf dem weißen Boden und zeigt den Besuchern, die große schwarze Spezialbrillen tragen, was die „Cave“ kann. Im Gegensatz zu 3-D-Fernsehern, die das räumliche Bild mit Hilfe eines Schirms erzeugen, gibt es hier gleich drei Projektionsflächen: zwei rechtwinklig zueinander angeordnete Wände und den Fußboden. Der darf natürlich nicht zerkratzt werden, darum die Pantoffeln. „Im Idealfall umschließt man einen Betrachter mit sechs Projektionsflächen“, sagt Zeilinger. Dafür habe aber das Geld – rund 250 000 Euro hat das Labor gekostet – nicht gereicht. Außerdem soll hier unten im Kellergeschoss auch Lehre stattfinden, müssen also bis zu 20 Personen zugleich die verworfenen Sedimente begutachten können. Das geht nur mit einer offenen Konstruktion.

Doch selbst das Bild, das die drei Flächen in den Raum zaubern, ist beeindruckend. In einem gefühlten Abstand von einer Armlänge schwebt tatsächlich ein dreidimensionaler Körper, meint man. Mit ein paar Mausklicks kippt Zeilinger den Meeresboden nach links und rechts und es scheint, als flöge man mit einem „Raumschiff“ durch die Canyons der Schichten, die von tektonischen Kräften über Jahrmillionen aufgerissen wurden. Am Horizont taucht ein dünner blauer Spinnenfaden auf, der von der Decke herabzuschweben scheint. Damit ist der Verlauf einer Erkundungsbohrung markiert, die zusätzliche Informationen zum Untergrund geliefert hat. Über solche Nadelstiche in die Erdkruste lässt sich allerhand in Erfahrung bringen. Welche Gesteine liegen da unten, welche Temperatur, welcher Druck herrschen dort, ändert sich die elektrische Leitfähigkeit, welche chemische Zusammensetzung hat das Wasser zwischen den Sandkörnchen?

„Wir erfinden die Wissenschaft nicht neu“, sagt Zeilinger. Solche Daten werden seit Jahren erhoben, hinzu kommen Satellitenbilder, seismische Messprogramme, die wie ein Computertomograph den Untergrund durchleuchten. „Aber das, was früher auf vielen einzelnen Blättern dargestellt war, bringen wir nun in einem dreidimensionalen Bild zusammen.“

Diese Idee hatten auch schon andere. In der Erdölindustrie zum Beispiel wird die Technik schon länger eingesetzt. Bevor dort Millionen Euro teure Bohrungen angesetzt werden, wollen die Fachleute so sicher wie möglich sein, dass sie wirklich auf Öl stoßen und nicht auf eine wertlose Schicht, die auf den Messgeräten der Geophysiker zufällig einen verdächtigen Schatten erzeugt hat. Hundertprozentig ausschließen lassen sich solche Irrtümer aber nicht mal mit einem raffinierten und teuren 3-D-Labor. Denn das virtuelle Bild wird aus realen Daten berechnet. Je schlechter die Ausgangswerte sind – ungenaue Messungen, große Abstände zwischen den Erkundungsbohrungen, mangelhafte Auswertung – desto schlechter ist das Bild. Darüber können auch die schönsten Farben und angebliche Details nicht hinwegtäuschen.

„Ein solches Labor kann immer nur Hilfsmittel sein und die Arbeit im Gelände nicht ersetzen“, sagt Manfred Strecker, Leiter des Profilbereichs Erdwissenschaften an der Uni Potsdam. Für ihn ist der schwarz verkleidete Hightechraum aber nicht nur ein Ort für Forscher und Studenten. Er denkt auch an Politiker und Entscheidungsträger, die darin beispielsweise den Verlauf eines Hochwassers verfolgen oder im virtuellen Flug zwischen steilen Bergflanken das Risiko eines Hangrutsches förmlich greifen können. Wenn es um potenzielle Naturkatastrophen gehe, müssten wissenschaftliche Ergebnisse noch besser kommuniziert werden, damit die Behörden bereits vorher die richtigen Entscheidungen treffen, sagt Strecker. „Das könnte mit unserem Labor geschehen.“

Allerdings sollten die Programmierer darauf achten, dass die Berg- und Talfahrten nicht zu rasant sind. Sonst setzen bald Kopfschmerz und Übelkeit ein. Verschärft wird die Lage, wenn der Augenabstand des Betrachters nicht mit dem virtuellen „Kameraabstand“ der Software übereinstimmt. Dann erscheint das projizierte Bild im Vergleich zu gewohnten Objekten verzerrt und das Gehirn schickt bedenkliche Signale an den Magen. „Das lässt sich aber alles einstellen und an einzelne Zuschauer anpassen“, sagt Zeilinger. Zwei Stunden Arbeit im virtuellen Raum seien dann problemlos möglich.

Das Labor soll nicht nur für nahe liegende Anwendungen wie die Reise zu geologischen „Sehenswürdigkeiten“ in der Tiefe genutzt werden. Unter den geplanten Forschungsvorhaben finden sich die Analyse komplexer Daten aus der Geophysik und Klimatologie ebenso wie Untersuchungen an winzigen Kristallstrukturen von Mineralen, die Hinweise auf Gebirgsbildungen geben. Zudem wollen Forscher des Hasso-Plattner-Instituts hier ihre Software für eine schnelle 3-D-Visualisierung weiterentwickeln.

Sofern es freie Kapazitäten gebe, seien auch kommerzielle Nutzer willkommen, sagt Zeilinger. Die Potsdamer Firma „3D Reality Maps“ zum Beispiel, die interaktive dreidimensionale Karten erstellt und bei der Vorbesichtigung des Labors einen virtuellen Flug über das mögliche Gelände der olympischen Winterspiele 2018 in München präsentierte. Vor wenigen Wochen erst haben die Entwickler den Mount Everest in drei Dimensionen digitalisiert. Gut möglich, dass beispielsweise Bergsteiger demnächst zuerst nach Potsdam kommen und ihre Expedition im 3-D-Labor durchspielen, bevor sie zu echten Gipfeln aufbrechen.

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