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Lebende Fossilien. Stromatolithen – hier eine Aufnahme aus Australien –sind Bakterienmatten, die bereits vor Jahrmilliarden Sauerstoff produzierten.

© picture alliance / Lonely Planet

Geologie: Luft zum Atmen

Der Zeitraum, der für höheres Leben auf der Erde zur Verfügung steht, soll erheblich größer sein: Gab es Sauerstoff in großen Mengen schon deutlich früher als bisher gedacht?

Man muss schon einiges an Fantasie aufbringen, um sich das Leben vorzustellen, das sich vor Äonen auf den Sedimenten im heutigen Nordwesten Schottlands tummelte. Grau, schwarz, leblos sehen die Gesteine aus. Mehr als Tausend mal Tausend mal Tausend Jahre sind vergangen, seit sie am Grund eines Sees abgelagert wurden. In dem Gewässer, so glauben viele Wissenschaftler, dümpelten höchstens ein paar urtümliche Bakterien, die sich vorrangig von Sulfat ernährten. Andere Lebensformen könne man vor 1,2 Milliarden Jahren kaum erwarten.

Dem widerspricht jetzt ein Team um den Geologen John Parnell von der Universität Aberdeen. Ihrer Meinung nach gab es in dem uralten See auch zahlreiche Bakterien, die Sauerstoff verwerteten. Der nächste Schritt, hin zu simplen Mehrzellern, ist nicht mehr groß.

Wie die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature“ (Band 468, Seite 290) berichten, war nicht nur das Seewasser zu jener Zeit bereits mit Sauerstoff gesättigt. „Unsere Analysen zeigen, dass auch der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre damals deutlich zugenommen hat und ein Niveau erreichte, das die Evolution komplexen Lebens – aus dem auch wir Menschen hervorgingen – ermöglichte“, sagt der Koautor Adrian Boyce. „Und zwar viel eher als man bisher dachte!“

Nach gängiger Lehrmeinung erfolgte der „Sauerstoffsprung“ in der Luft nämlich erst vor etwa 800 Millionen Jahren. Sollten die Forscher mit ihrer Angabe von 1200 Millionen Jahren recht behalten, heißt das: Der Zeitraum, der für höheres Leben zur Verfügung steht, wäre plötzlich um die Hälfte größer.

Warum hat das bislang keiner bemerkt? Aus der Zeit gibt es nur wenige Fossilien, Aussagen zum Lebensraum sind oftmals nur über indirekte Schlussfolgerungen möglich. So auch bei den schottischen Sedimenten. Die Forscher untersuchten schwefelhaltige Minerale, die am Grund des Sees gebildet wurden. Im Labor bestimmten sie die Menge von unterschiedlich schweren Schwefelatomen. „Isotope“ sagen Chemiker dazu. Bekannt ist, dass in den verschiedenen Mineralen bevorzugt schwere oder leichte Isotope eingebaut werden. Je nachdem ob es in der Umgebung Bakterien gibt, die Schwefelverbindungen für ihren Stoffwechsel nutzen. Die Daten lassen vermuten, dass es unter den Einzellern nicht nur „Sulfatreduzierer“ gab, sondern auch eine Oxidation stattfand.

„Dass es in dem See viel Sauerstoff gab, der teilweise in die Atmosphäre entwich, will ich gern glauben“, kommentiert Harald Strauß von der Universität Münster die Studie. „Aber ob man von diesem einen Ort auf die gesamte Erdatmosphäre schließen kann, da bin ich skeptisch.“ Denn die Schwefelanalysen anderer Sedimente aus jener Zeit zeigten keine so deutlichen Hinweise auf eine Sauerstoffzunahme.

Strauß, der ebenfalls mit Isotopengeochemie die frühe Entwicklung des Lebens auf der Erde erforscht, nennt einen weiteren Kritikpunkt: „Die Autoren vermitteln den Eindruck, dass die Oxidation im Schwefelkreislauf erstmals vor 1,2 Milliarden Jahren stattfand.“ Er selbst habe gemeinsam mit weiteren Forschern diesen Mechanismus auch für deutlich ältere Schichten nachgewiesen. „Ich warne davor, die Oxidation im Wasser dieses Sees umgehend mit einem hohen Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre gleichzusetzen.“ Der bisher gelehrte Zeitraum des „Sauerstoffsprungs“ um 600 bis 800 Millionen Jahre sei durch viele Belege untermauert, etwa durch das massenhafte Auftreten verschiedener Mehrzeller.

Die fehlen in den schottischen Seesedimenten. Gleichwohl sind die Schichten durchmischt, berichten die Wissenschaftler. Ein deutlicher Hinweis auf biologische Aktivität. Wie die genau aussah, wird wohl weiterhin zum Großteil der Fantasie überlassen sein.

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