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Lokale Mitarbeiter des DAI in Ägypten nehmen Probebohrungen nahe einer Pyramide vor.

© DAI Kairo

Gerda-Henkel-Preis für Stephan Seidlmayer: Archäologie als soziale Arbeit

Der Berliner Archäologe Stephan Seidlmayer wird für seine Arbeit in Ägypten geehrt - mit dem hochdotierten Preis der Gerda-Henkel-Stiftung.

„Die Aprilwetter des ,arabischen Frühlings’“ nennt der Archäologe Stephan Seidlmayer die Wechselfälle der politischen Lage in Ägypten seit der Revolution von 2011. Kein Tornado, der die Grabungslizenzen hinweggewirbelt, kein Weltuntergang, der die Pyramiden zum Einsturz gebracht hätte – nur eine unsichere Wetterlage also, gegen die sich ein erfahrener Feldforscher wappnen kann? So spricht ein Diplomat, und das ist der Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Kairo auch aus der Sicht der deutschen Außenpolitik.

„Es gibt in der ägyptischen Gesellschaft ein starkes Gefühl, dass das normale Leben weitergehen soll“, sagt Seidlmayer. „Und uns empfindet man als Teil dieser Normalität.“ Die Arbeit der DAI-Teams hat tatsächlich nur kurz geruht, auf dem Höhepunkt der Unruhen im Januar und Februar 2011. Seitdem haben die deutschen Archäologen und ihre ägyptischen Mitarbeiter die Projekte auf der Nilinsel Elephantine, in der Nekropole von Dahschur oder bei der Sicherung von Felsinschriften in Aswan trotz zwischenzeitlicher Rückschläge vorantreiben können.

Stephan Johannes Seidlmayer, Erster Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo.
Stephan Johannes Seidlmayer, Erster Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo.

© Gerda-Henkel-Stiftung/Nicole Alexanian

Für seine Rolle im kulturhistorischen Dialog zwischen Deutschland und Ägypten hat Seidlmayer am Montag den mit 100 000 Euro dotierten Gerda-Henkel-Preis für Leistungen in den historischen Geisteswissenschaften erhalten. „Stephan Seidlmayer verbindet höchste wissenschaftliche Expertise mit wirkungsvoller wissenschafts- und kulturpolitischer Praxis“, heißt es in der Begründung der Jury der in Düsseldorf ansässigen Gerda-Henkel-Stiftung.

"Die ganze Gesellschaft in den Blick nehmen"

Wie Seidlmayer das Alte Ägypten verstehen will und wie er im neuen Ägypten agiert, steht für eine Archäologie des 21. Jahrhunderts, die sozialgeschichtliche Perspektiven einbezieht – und die soziale Realität im Land. „Forschung und Begegnung“ hat er seinen Festvortrag vom Montagabend überschrieben. Seidlmayer will es anders machen als Generationen vor ihm, die sich das Alte Ägypten „auch in Form einer Enteignung“ angeeignet hätten. Er nimmt „die alte Kultur und Gesellschaft in ihren Strukturen und Differenzierungen durch das ganze Land und sozial durch die ganze Gesellschaft in den Blick “. Im Umfeld der beiden Pyramiden des Königs Snofru (um 2600 v.Chr.) in Dahschur bei Kairo erkunden die Archäologen etwa ein Gräberfeld jenseits der bereits bekannten Monumentalgräber der Führungsschicht. Sie finden keine Bilder, keine Inschriften, dafür aber bieten die Familiengräber einen „Einblick in die sozialen Verbände“. Anhand der Skelette lassen sich die physischen Schicksale der Menschen rekonstruieren und mit denen anderer Regionen vergleichen.

Ein Netzwerk gegen geraubte Kulturgüter und Flyer für Anwohner

Raubgrabungen, gegen die monatelang niemand einschritt, und wild in archäologische Stätten hineinwuchernde Bauprojekte: Das ist soziale Wirklichkeit, die Höhenflügen der Forschung eine harte Landung bereiten, wie Seidlmayer berichtet. Doch den Raub von Kulturgütern bekomme man allmählich in den Griff – auch mit Hilfe weltweiter Netzwerke. Taucht bei einer Auktion in London ein Königskopf von Ramses II. auf, fahnden Experten in Ägypten nach Fotos, die nachweisen, dass der Kopf bis vor Kurzem noch im Tempel von Abydos am Platz war. Der Kauf wird gestoppt, Ramses II. kann zurückkehren. Vor der drohenden Überbauung konnte Seidlmayer ein Areal der Felsen, auf denen Funktionäre in pharaonischer Zeit Tausende von Inschriften hinterließen, unter Schutz stellen lassen. Ein Herzensprojekt des Philologen, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie das Altägyptische Wörterbuch leitet.

Zu den neuen Wegen der Archäologie gehört es auch, auf die Bevölkerung zuzugehen. Eine Mitarbeiterin entwarf einen Flyer, der die Bedeutung der Inschriften erklärt. Dieses Wissen können sie an Reisende vermarkten – wenn sie denn wieder ins Land kommen. Seidlmayer freut sich über erste Anzeichen für eine Erholung des Tourismus. „Wir brauchen ihn für die Erhaltung der Denkmäler. Sie werden in ihrem Wert nur erkannt, wenn Touristen kommen.“

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