zum Hauptinhalt
Gerhard Ertl

© dpa

Gerhard Ertl: Das Chaos gezähmt

Er hat die Vorgänge im Autokatalysator ebenso wie die Herstellung von Pflanzendünger genauestens beleuchtet: Der Berliner Forscher Gerhard Ertel erhält den Nobelpreis für Chemie.

Der Berliner Forscher Gerhard Ertl führte mit seiner Arbeit zahlreiche chemische Reaktionen von der Schwarzen Kunst zu einer exakten Chemie. Bis ins atomare Detail untersuchte er das Zusammenspiel von kleinsten chemischen Teilchen. Besonders interessieren ihn Reaktionsbeschleuniger aus Metall, die dem Umweltschutz dienen können oder die Herstellung von Benzin aus Rohöl verbessern. Für seine Arbeiten bekommt der emeritierte Direktor am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in diesem Jahr den Nobelpreis für Chemie - als erster Deutscher seit fast zwei Jahrzehnten. Die Nachricht erhielt er genau an seinem 71. Geburtstag.

"Gerhard Ertl hat einen sehr schwierigen Teil der Chemie gemeistert und Grundlagen für ganze wissenschaftliche Generationen gelegt", begründete der Chef des Nobelkomitees, Gunnar von Heijne, die Auszeichnung. Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mühlheim an der Ruhr nannte als gutes Beispiel einen Reaktionsbeschleuniger (Katalysator) für die Herstellung von Dünger. Dieser werde seit 90 Jahren verwendet. "Aber erst Ertl hat verstanden, was da eigentlich passiert", sagte Schüth. "Er hat die Basis für die Verbesserung von Katalysatoren gelegt."

"Er hat immer die Blümchen gepflückt"

Der Einblick in das Leben der Moleküle gelang nur mit hervorragend kombinierten Messtechniken. "Ertl hat die ganzen schönen neuen Methoden sofort erkannt und geschickt umgesetzt", sagt sein ebenfalls emeritierter Institutskollege Prof. Karl Jacobi. "Der war schon immer vorne dran, hat immer die Blümchen gepflückt."

Unabhängig voneinander spezialisierten sich Ertl und sein US-Kollege Gabor Somorjai auf Reaktionen an Oberflächenkatalysatoren, wie sie beispielsweise im Auto-Katalysator ablaufen. Viele Forscher hatten auch angenommen, dass diese beiden einmal zusammen den Nobelpreis erhalten. Mit Hilfe der Raster-Tunnel-Mikroskopie und anderer Verfahren gelangen Aufnahmen an metallischen Oberflächen in atomarer Auflösung. Damit konnte ein Team um Ertl 1997 verfolgen, was im Autokatalysator genau passiert: Wie sich das aus zwei Atomen bestehende Sauerstoffmolekül an Platin anlagert und wie es aufgebrochen wird.

Dies dient nicht nur der Grundlagenforschung, sondern kann auch zu verbesserten Katalysatoren führen, die effektiver, preiswerter und umweltfreundlicher sind. Ähnlich hatten Ertl und Kollegen zuvor schon an Metalloberflächen die Reaktion von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak beobachtet, einer wichtigen Ausgangssubstanz für Pflanzendünger.

Ein wenig haben die Berliner Wissenschaftler um Ertl das Chaos in chemischen Reaktionen sogar auch selbst gezähmt. Im Mai 2001 berichteten sie im renommierten US-Magazin "Science" (Bd. 292, S. 1357) darüber, wie sie eine Reaktion zwischen Sauerstoff und Kohlenmonoxid gezielt gesteuert hatten. Auf einer Platinoberfläche entstanden bei der Reaktion zweidimensionale Muster, die sie mit Hilfe von Druckveränderungen gezielt beeinflussten. Mit Hilfe der Methode können vielleicht einmal Reaktionen in eine Richtung gelenkt werden, so dass mehr von einem gewünschtem Produkt entsteht.

"Science" spricht von Meilenstein

Als "Meilenstein" beim Beobachten bestimmter Reaktionen bezeichnete das US-Fachjournal "Science" eine weitere im August 2001 (Bd. 293, S. 1635) veröffentlichte Arbeit aus dem Labor von Ertl: Anhand der Wasserbildung auf einer Platinoberfläche beobachteten die Forscher, wie sich die Reaktionswelle ausbreitet. Das trage zum grundlegenden Verständnis von Reaktionen an Katalysatoroberflächen bei, erläutert Jakobi. Ein "Science"-Kommentator sprach der Beobachtung große Bedeutung für Reaktionen im Industrie- und Umweltbereich zu.

Die Forschungsarbeiten haben aber auch ganz konkrete Auswirkungen: Im Oktober 2003 war Ertls Arbeitsgruppe an der Gründung der Firma ECMTEC beteiligt. Die ECMTEC-Forscher Rolf Schuster und Viola Klammroth hatten die Grundlagen für winzige Maschinen in der Medizin und der Bio- oder der Kfz-Technik entwickelt. Mit einer feinen Werkzeugelektrode ätzen die Forscher Strukturen von wenigen Tausendstel Millimeter in Metalle. Dazu legen sie für wenige Milliardstel Sekunden eine elektrische Spannung an, so dass sie nur die Stücke in unmittelbarer Nähe der Elektrode treffen.

Das Fritz-Haber-Institut, an dem Ertl noch heute ein Büro hat, ist nach seinem ersten Direktor benannt, der 1918 den Chemie-Nobelpreis für die Synthese von Ammoniak bekam, einem Grundstoff des Düngers. Wie dieses Haber-Bosch-Verfahren genau funktioniert, hat Ertl Jahre später mit seiner Messtechnik entschlüsselt - und erhält nun dieselbe Auszeichnung. (mit dpa)

Simone Humml[dpa]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false