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Top oder Flop. Rankings prägen das Image einer Uni – ein Fehler, meint Berlins ehemaliger Wissenschaftssenator George Turner.

© picture alliance / dpa

Geschichte der Hochschulen: Unis in Sackgassen

Berlins einstiger Senator George Turner über die Hochschulpolitik seit 1945.

Die Hochschulpolitik in Deutschland ist so verworren, dass selbst interessierten Laien der Überblick verloren geht. Man könnte Wälzer mit 300 Seiten Umfang schreiben und müsste dennoch vieles auslassen. George Turner, der als Akteur und nicht nur als Beobachter die Bildungs- und Hochschulpolitik seit den 1960er Jahren verfolgt hat, ist dieser Versuchung nicht erlegen. Seine Bilanz umfasst nur 93 Seiten. Turner, von 1979 bis 1983 Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz und 1986 bis 1989 Wissenschaftssenator in Berlin, hat sich in seiner Darstellung auf Sackgassen und Umwege der Hochschulpolitik konzentriert. Wer eine schnelle Übersicht mit den wichtigsten Tangenten durch die Geschichte der Hochschulpolitik in der Bundesrepublik sucht, ist hier gut aufgehoben.

Eine der von Turner kritisierten Sackgassen ist der Ausbau der Universitäten. Die seit Jahrzehnten steigenden Zahlen der Studienanfänger hätten besser an den Fachhochschulen aufgefangen werden müssen, anstatt die Universitäten mit einer Überlast heimzusuchen. Darum sei es auch ein Fehler gewesen, nach der Bolognareform 1999 Bachelorstudiengänge nicht vorwiegend an Fachhochschulen einzurichten und den Master nicht allein den Universitäten vorzubehalten.

Im Gegensatz zu vielen Konservativen, besonders im Hochschulverband, hält Turner das Bachelor-Master-System aber generell für sinnvoll. Angesichts der Entwicklung zur Massenuniversität sei ein gestuftes Studiensystem überfällig gewesen, lautet die nüchterne Einsicht, die er an die Stelle der oft von links wie rechts vorgetragenen kulturpessimistischen Horrorszenarien setzt.

Sollten dagegen die Fachhochschulen demnächst auch noch das Promotionsrecht erhalten, drohe den Universitäten Gleichmacherei – und im nächsten Schritt der völlige Verlust ihres Privilegs zu promovieren. Denn dann würden auch die großen Forschungsorganisationen noch lauter nach einem eigenen Promotionsrecht rufen.

Skeptisch beurteilt Turner Versuche, die Leistungen von Universitäten im Exzellenzwettbewerb oder mit Rankings darstellen zu wollen. Obwohl die schmale Basis von Daten gar keine Aussage über ganze Universitäten zulasse, würden daraus tief greifende Konsequenzen gezogen: „Die einen werden hochgejubelt, die anderen gehören zum Rest.“

Wenn es um die Zukunft der Hochschulen geht, setzt Turner nicht zuletzt auf den Bund, der jahrzehntelang im Wissenschaftsrat und über das Hochschulrahmengesetz Impulse gesetzt habe, bevor die Föderalismusreform in die Sackgasse führte. Wenn die Bundeskanzlerin Bildungsgipfel organisiere, sei das ein Eingeständnis, dass es in der Bildungs- und Hochschulpolitik ohne den Bund eigentlich nicht gehe.

Zu diesem Thema hätte man sich noch mehr kritischen Tiefgang in der Darstellung gewünscht – bei der zum Gewinn des Lesers angestrebten Knappheit musste der Verfasser darauf verzichten: Wie war es möglich, dass eine Föderalismusreform von den beiden Protagonisten Franz Müntefering und Edmund Stoiber mit der zum Dogma erhobenen Begründung konzipiert wurde, die Mischfinanzierung von Bund und Ländern weitgehend zu beenden, um dem Bürger Klarheit über die Zuständigkeiten zu geben? Leider hatte man auch vergessen, vorher durchzurechnen, was für gewaltige Kosten in den nächsten Jahren im Bildungs- und Hochschulbereich entstehen, Kosten, die die Länder allein vollständig überfordern. Heute, da die letzten starken Jahrgänge an die Hochschulen drängen, tut man sich schwer, die benötigten zusätzlichen Studienplätze auszufinanzieren. Uwe Schlicht

George Turner: Von der Universität zur university. Sackgassen und Umwege der Hochschulpolitik seit 1945. Berliner Wissenschafts-Verlag 2013. 93 Seiten, 19 Euro.

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