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Geschichte des WZB: Immer einen Schritt voraus

Das „Wissenschaftszentrum Berlin“ entstand 1969 aus wissenschaftspolitischem Erneuerungswillen und der Sorge um Berlin. Eine Reihe deutschlandpolitisch engagierter Bundestagsabgeordneter teilten seit dem Mauerbau über Parteigrenzen hinweg die Befürchtung, das isolierte West-Berlin könnte intellektuell ausbluten.

Das „Wissenschaftszentrum Berlin“ entstand 1969 aus wissenschaftspolitischem Erneuerungswillen und der Sorge um Berlin. Eine Reihe deutschlandpolitisch engagierter Bundestagsabgeordneter teilten seit dem Mauerbau über Parteigrenzen hinweg die Befürchtung, das isolierte West-Berlin könnte intellektuell ausbluten. Als ein Gegenmittel gründeten schließlich Johan Baptist Gradl (CDU), Gerhard Jahn und Egon Franke (SPD) und Mitstreiter aus ihren Parteien eine wissenschaftliche Einrichtung. Diese sollte Spitzenforscher anziehen und international wirken. Ihr stärkster Verbündeter war Gerd Brand, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, wie Burckhard Wiebe beschrieben hat. Der ehemalige Diplomat und engagierte Wissenschaftspolitiker verschrieb sich ganz dem Projekt, das er dann als dessen erster Generalsekretär leitete. In den 1960er Jahren erwartete man von den Sozialwissenschaften viel. Sie sollten zur vorausschauenden Planung, zum besseren Verständnis der gesellschaftlichen Umwälzungen und zu größerer Leistungskraft von Politik und Verwaltung beitragen. Während die Universitäten ihre Arbeit nach den einzelnen Fächern ausrichteten, sollte das WZB sich an den gesellschaftlich-politischen Problemen der Zeit orientieren und dabei die Methoden einer breiten Palette sozialwissenschaftlicher Disziplinen nutzen. Amerikanische Vorbilder spielten eine große Rolle. Die Universitäten waren skeptisch Die von inneren Konflikten geplagten Universitäten waren zunächst skeptisch. Sie fürchteten, die als „privat“ bezeichnete Gründung der WZB-GmbH könne ihnen Konkurrenz machen und als Auffangbecken „reformunwilliger“ Professoren dienen (s. auch Stephan Leibfrieds Beitrag, Seite B8). Aber gegen öffentliche Proteste setzten die Abgeordneten die Idee um. Bundesmittel ermöglichten den schrittweisen Aufbau der Einrichtung. Das „Internationale Institut für Management und Verwaltung“ nahm unter dem Dach des WZB im Herbst 1970 die Arbeit auf. Bald schwenkten die Universitäten auf Kooperation um. Es folgte die Gründung des Internationalen Instituts für vergleichende Gesellschaftsforschung und des Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft (1976). Das WZB, nun ganz von Bund und dem Land Berlin finanziert, wurde von Wissenschaftlern geprägt, die Teile ihrer akademischen Ausbildung und längere Forschungsphasen an internationalen Spitzenuniversitäten absolviert hatten, darunter Karl W. Deutsch, der für zehn Jahre aus den USA nach Deutschland zurückkehrte, sowie Fritz W. Scharpf und Frieder Naschold, die die Forschung über Arbeit und Arbeitsmarkt am WZB etablierten. Die meist jungen Direktoren konnten mit einer speziellen Art der Forschung experimentieren: multidisziplinär, international vergleichend, empirisch-systematisch in den Methoden. Die Forschung beanspruchte Relevanz für die Praxis, mit der ein intensiver Austausch stattfand. Einflussreich wurden zum Beispiel Arbeiten über das, was heute unter dem Begriff „Governance“ zusammengefasst wird, über Organisation, Innovation und Technikfolgen, über Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen, über Umweltbewusstsein und –politik und über Gesundheit(spolitik). Die 8oer Jahre: Zusammenarbeit mit den Uinversitäten Die 1980er Jahre waren eine Phase der Umgründung und Konsolidierung. Aus der lockeren Föderation selbständiger, auf verschiedene Berliner Standorte verstreuter Institute wurde eine weiterhin dezentralisierte, aber zunehmend integrierte Institution. Seit 1980 amtierte mit Meinolf Dierkes erstmals ein Präsident, die zentrale Geschäftsführung wurde verstärkt. Unter der Leitung Wolfgang Zapfs, später zweiter Präsident, betrieb man die Auffächerung der Großinstitute in kleinere Abteilungen und Forschungsgruppen, ihre Vermehrung und Neubestimmung. Die Zusammenarbeit mit den Universitäten wurde verstärkt. Es gelang 1988, alle Teile des WZB, seit Mitte der 1980er Jahre mit dem Namenszusatz „für Sozialforschung“ versehen, unter einem Dach zusammenzuführen. In den 1990er Jahren hat es unter seinem dritten Präsidenten Friedhelm Neidhardt an der wissenschaftlichen Wiedervereinigung der Stadt und des Landes kräftig mitgewirkt und seine wissenschaftlichen Kontakte in den Osten ausgeweitet. Die starke internationale Vernetzung, die Breite der Ansätze und eine sehr flexible Organisations- und Personalstruktur haben es dem WZB ermöglicht, frühzeitig neue Felder zu bearbeiten – die andere dann weiterführen konnten. Früh wurden beispielsweise Umweltfragen aufgegriffen, bevor das Thema Breitenwirkung entfaltete. In den letzten Jahren traten Fragen der Zivilgesellschaft, der Transnationalisierung, der Migration und der Bildung in den Vordergrund. Das Thema Wissenschaftspolitik wurde neu wieder aufgenommen. Einiges hat sich über die Jahrzehnte erhalten: die Konzentration auf theoretisch ambitionierte, empirische Grundlagenforschung mit Problemorientierung und Praxisbezug; der teils multi-, teils interdisziplinäre Zuschnitt; die international vergleichende Perspektive; die Fähigkeit zur Bearbeitung großer, komplexer, arbeitsteiliger Projekte, außeruniversitär, aber in enger Verbindung mit den Universitäten. In diesem Rahmen aber begründet sich das WZB ständig neu. Heute ähnelt das WZB der vor 40 Jahren gegründeten Institution (fast) gleichen Namens nur noch wenig. Ariane Berthoin Antal ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung „Kulturelle Quellen von Neuheit“. Jürgen Kocka ist Forschungsprofessor für Historische Sozialwissenschaften am WZB, das er von 2001 bis März 2007 als Präsident leitete. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 17.02.2009)

Ariane Berthoin Antal, Jürgen Kocka

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