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Der Weckruf Schwans an ihre Partei erschien jetzt im Vorwärts-Verlag.

© Kai-Uwe Heinrich

Gesine Schwan: Konservative Generalkritik von links

Gesine Schwan liest der SPD in einem Essay zur Bildungs- und Hochschulpolitik die Leviten. Sie schießt dabei weit über das Ziel einer konstruktiven Kritik hinaus.

Gesine Schwan hat an der Grundwertediskussion der SPD teilgenommen und ist für die Partei in das Rennen um das Amt des Bundespräsidenten geschickt worden. Jetzt liest Schwan den Sozialdemokraten die Leviten – wegen der Bildungspolitik. Sie spricht von einem Sündenfall der SPD, weil sie nicht gesehen habe, dass mit der Ausweitung der Studentenzahlen von fünf Prozent eines Jahrgangs auf über 30 Prozent auch das wissenschaftliche Personal hätte entsprechend vermehrt werden müssen. Die SPD habe vielmehr bei der Politik anderer Parteien mitgemacht, den Schwarzen Peter für Missstände wie überlange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten an die reformresistenten Hochschulen weiterzureichen.

Durch ihren neuesten Essay, der jetzt vom Vorwärts Verlag unter dem Titel „Bildung: Ware oder öffentliches Gut“ erschienen ist, will Gesine Schwan die Diskussion in der Partei und der Öffentlichkeit voranbringen, erklärte sie vor Journalisten. Schwan rechnet mit einer Fixiertheit der Hochschulpolitiker auf Wettbewerbe und Rankings ab, weil dadurch nur auf die Gewinner und nicht auf die Verlierer geschaut werde. Es gebe keine Überlegungen wie vom Exzellenzwettbewerb andere, nicht ausgezeichnete Hochschulen und auch die Lehre profitieren solle.

Das üblich gewordene Ranking produziere „reihenweise Verlierer“ unter den Hochschulen. Im Bachelor- und Masterstudium werde die Bildung verengt auf Interessen der Wirtschaft und Nützlichkeitserwägungen unterworfen. Humboldts Ideal der Bildung durch Wissenschaft werde nicht mehr beachtet. Ihr Buch versteht Schwan als „Weckruf“, damit die Sozialdemokraten wieder eine ganzheitliche Perspektive auf die Bildung gewinnen können.

Gesine Schwan hat Recht, wenn sie die generelle Unterfinanzierung der deutschen Hochschulen und der Bildung beklagt. Sie schießt jedoch weit über das Ziel einer konstruktiven Kritik hinaus, wenn sie die erreichten Teilreformen nicht angemessen würdigt. Politik funktioniert eben nicht so, dass man im Jahre X erklärt, in die Bildung müssten eine Menge Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. Das schreckt Politiker in Bund und Ländern nur ab.

Wenn die Politik jedoch nacheinander Reformen in Etappen auflegt: erst die Neuordnung der Studiengänge in der Bachelor-Master-Reform, dann die Exzellenzinitiative zur Kür von Eliteuniversitäten, schließlich den Hochschulpakt zur Schaffung von 365 000 neuen Studienplätzen und den Forschungspakt zur besseren Finanzierung der Forschung, dann kommen auch über 20 Milliarden zusammen. Nur wurden diese Reformschritte und Milliardenaufwendungen von Bund und Ländern so verkauft, dass sie erstens den Reiz des Neuen hatten und zum Zweiten statt einer gigantischen Gesamtsumme finanzierbare Teilsummen freigaben.

Selbst bei dieser Politik der Schritte und Teilsummen bleibt immer noch zu konstatieren: Die Finanzierungslücke, die sich seit der Untertunnelung des Studentenbergs in den 80er Jahren aufgetan hat, ist immer noch nicht geschlossen. Und die Aufwertung der Lehre bleibt eine Herausforderung.

Schwan überzieht ihre Kritik, wenn sie behauptet, die Reformen seien nicht hinreichend begründet worden. Der Wissenschaftsrat, der dafür im Namen von Bund und Ländern zu sorgen hat, legte seit 1998 Gutachten vor, die alle in einem Zusammenhang standen: Die Angst vor Akademikerarbeitslosigkeit sei unbegründet, die Expansion der Studienanfängerzahlen sei auch im internationalen Vergleich richtig. Die demografische Entwicklung erfordere mehr Studienplätze als je zuvor, um einem Fachkräftemangel vorzubeugen. Zur Bewältigung des Massenandrangs seien die Studiengänge in Bachelor und Master zu gliedern, weil die Mehrheit der Jugendlichen nicht die wissenschaftliche Laufbahn einschlagen will, sondern eine wissenschaftlich fundierte Berufsausbildung anstrebe. Der Bachelor solle für diese Studenten der erste berufsbefähigende Abschluss sein. Wissenschaftsrat, Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Kultusministerkonferenz haben zusammen den Exzellenzwettbewerb begründet und aufgelegt.

Nicht überzogenes Wettbewerbsdenken prägte diese Reformen, wie Schwan es sieht, sondern die Frage, wie man deutsche Universitäten international besser sichtbar macht und was man von führenden amerikanischen Unis lernen könnte.

Schon Anfang der 90er Jahre forderten Spitzenvertreter der Wissenschaftspolitik und der Wirtschaft bei den Villa-Hügel-Treffen in Essen starke Präsidenten, die nicht mehr wie die klassischen Rektoren mehr oder minder machtlose Exekutivorgane für Gremienbeschlüsse sein sollten. Es wurden Hochschulräte eingerichtet, in denen ehemalige Politiker und Manager den Blick auf die Erfordernisse der Gesellschaft lenken sollten. Die Übernahme des Ranking-Systems hat sogar die Deutsche Forschungsgemeinschaft überzeugt. Die Seriosität des DFG-Forschungsrankings können nur zu kurz Gekommene bezweifeln. Eine Auslieferung der Bildung an kommerzielles Denken war mit diesen Konzepten nie beabsichtigt.

Schwans Generalkritik von links ähnelt indes in weiten Teilen der Kritik an den Reformen, wie man sie in konservativen Kreisen häufig hört. So sieht der „FAZ“-Journalist Jürgen Kaube in diesen Reformen „eine abstruse Mischung von negativen Erscheinungsformen von Sozialismus und Kapitalismus“.

Gesine Schwan: Bildung: Ware oder öffentliches Gut? Vorwärts Verlag, Berlin 2010. 96 Seiten, 10 €

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