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Gesundheit: Paragraphen für Patienten

Experten fordern die gesetzliche Verankerung von Patientenrechten im Bürgerlichen Gesetzbuch. Schon jetzt steht den Behandelten mehr zu, als sie oft wissen.

Kranke werden eher gesund und besser mit chronischen Leiden fertig, wenn sie nicht alles passiv über sich ergehen lassen. „Partnerschaftliche Entscheidungen von Arzt und Patient führen zu einer aktiveren Krankheitsbewältigung und zu besseren Behandlungsergebnissen“, heißt es in einer Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts (RKI).

Dass sich Patienten mehr Aufklärung und Mitbestimmung wünschen, wenn es um ihre Behandlung mit Medikamenten oder um Operationen geht, haben auch vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Forschungsprojekte gezeigt: Fast 90 Prozent der Patienten wollen über Diagnostik und Therapie einschließlich Risiken und Nebenwirkungen ausführlich informiert werden, und zwei Drittel wollen mitentscheiden.

Das ist ihr gutes Recht. Jede Behandlung oder eingreifende Untersuchung gilt als Körperverletzung – es sei denn, der Patient hat dem Eingriff zugestimmt, und zwar nach eingehender und verständlicher Aufklärung durch den Arzt persönlich. Nutzen und Risiken der geplanten Therapie müssen genauso erklärt werden wie andere Behandlungsmöglichkeiten und die Folgen einer Nichtbehandlung. Viele Patienten wissen das nicht, und selbst manche Ärzte meinen, die Pflicht zur ausführlichen Aufklärung gelte nur vor einer Operation – obwohl bestimmte Arzneimittel mindestens so gefährlich sein können wie ein Eingriff mit dem Skalpell.

Insgesamt herrsche Unsicherheit über Rechte und Pflichten bei Patienten wie Ärzten, sagte Helga Kühn-Mengel, Patientenbeauftragte der Bundesregierung, bei einer AOK-Fachtagung. Zahlreiche Anfragen von Betroffenen hätten gezeigt: Selbst wer seine Rechte kennt, schafft es oft nicht, sie durchzusetzen. Viele scheuen die Konfrontation mit dem Arzt und fühlen sich in einer schwachen Position. Oder sie stoßen auf Unkenntnis. Denn nicht alle Ärzte wissen, dass Patienten beispielsweise ohne Begründung ihre Unterlagen einsehen und auch Kopien davon verlangen können. Allerdings kann der Arzt dabei Passagen mit seiner subjektiven Einschätzung abdecken.

Während in anderen Geschäftsbereichen, etwa bei der Buchung von Pauschalreisen, die Kunden schriftlich über ihre Rechte informiert werden, „müssen sich Patienten die überall verstreuten Informationen mühsam zusammensammeln“, sagte die Patientenbeauftragte. Immerhin hat eine Arbeitsgruppe vor ein paar Jahren eine Art Patientencharta als Leitfaden für Ärzte und Patienten erarbeitet. Das ist eine Bestandsaufnahme des geltenden Rechts, „die weiteren Diskussionen nicht vorgreift“, heißt es im Vorwort der Broschüre „Patientenrechte in Deutschland“, die im Konsens mit den Akteuren des Gesundheitswesens von den Bundesministerien für Gesundheit und für Justiz herausgegeben wurde (siehe Kasten).

Vieles Gute steht da auf dem Papier – aber die Praxis sieht anders aus. Von „Rechtsunsicherheit“ und „Vollzugsdefiziten“ sprach der Bremer Medizinrechtler Dieter Hart auf der Tagung und nannte Beispiele: Patienten haben das Recht auf Behandlung nach dem aktuellen Stand der Medizin, aber oft folgen Mediziner wissenschaftlich fundierten Leitlinien nicht. Außerdem missachten sie nicht selten einwandfrei formulierte, laut ärztlicher Berufsordnung verbindliche Patientenverfügungen und hindern einen Todkranken gegen dessen ausdrücklichen Willen am Sterben.

Besonders schwer haben es Patienten, die Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sind, wenn sie rechtlich gegen ihren behandelnden Arzt vorgehen wollen. Es ist nämlich Sache des Betroffenen zu beweisen, dass der Mediziner bei einer Therapie oder einer Operation einen Fehler gemacht hat – und dass genau dieser Fehler die Ursache des gesundheitlichen Schadens ist, den der Patient erlitten hat. „Für einen Laien ist das äußerst schwierig“, sagte der Bonner Fachanwalt für Medizinrecht Roland Uphoff. Dem Arzt wird die Beweislast nur bei einem groben Behandlungsfehler übertragen. So einen groben Fehler bestätigt ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger nach Uphoffs Erfahrung aber ausgesprochen selten; allenfalls spricht er von „suboptimaler Behandlung“. Dieser Sachverständige entscheidet faktisch den Prozess, „auch wenn er argumentiert, die Erde sei eine Scheibe“, sagte der Rechtsanwalt. Und ein weiteres, privates Gutachten werde oft einfach ignoriert.

In den meisten Fällen geht es den Patienten gar nicht um Schadensersatz, sondern um Klarheit darüber, wie es zu der falschen Behandlung oder dem Pfusch bei einer Operation kommen konnte. Und die medizinischen Pannen sind nicht gerade selten. Allein unter den jährlich 17 Millionen Klinikpatienten erleiden 170 000 einen Behandlungsfehler und 17 000 davon enden tödlich. Diese Schätzungen veröffentlichte der AOK-Bundesverband. Dessen Vorstandsvorsitzender Hans Jürgen Ahrens forderte auf der Tagung, auch den Patientenschutz zu verbessern. Die Sicherheit der Patienten wird mehr und mehr zu ihren Rechten gezählt, die nicht nur transparent gemacht, sonder weiterentwickelt werden sollen. Ein Anfang ist zum Beispiel das „Aktionsbündnis Patientensicherheit“, das die Partner im Gesundheitswesen vor einigen Jahren schlossen. Als Erstes hatten sie sich vorgenommen, zwei grobe Chirurgen-Fehler zu reduzieren: die Verwechslung von Patienten sowie der zu operierenden Körperseite. Vielleicht sollte man aus gegebenem Anlass jetzt auch besonderes Augenmerk auf die Verwechslung zementfreier und zementpflichtiger Gelenkimplantate legen.

Medizinrechtler wie auch Vertreter der Patienten, der Verbraucher und der Krankenversicherung sprachen sich dafür aus, das unübersichtlich verzettelte Patientenrecht in einem Gesetz zusammenzufassen, vielleicht als Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Begleitet werden könnte es von einer detaillierten, ständig aktualisierten Patientencharta. Als unnötig bezeichneten ein solches Gesetz hingegen Vertreter des Bundesjustizministeriums und der Bundesärztekammer. Deren Vizepräsident Frank Ulrich Montgomery verwies stattdessen auf die ärztliche Berufsordnung. Sie ersetzt seit langem den Hippokratischen Eid. Aber die meisten Patienten kennen sie nicht, und erfahrungsgemäß ist sie auch nicht allen Ärzten geläufig.

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