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© DAK

Gesundheit: Raus aus dem „Nachkrebs-Gefängnis“

Der deutsche Krebskongress beschäftigt sich mit der wachsenden Zahl von Langzeitüberlebenden

Wann ist Krebs überstanden? Für Mediziner sind die ersten fünf Jahre nach der Entdeckung des Tumors die entscheidende Hürde. Mindestens 1,45 Millionen Bundesbürger leben Hochrechnungen des Robert-Koch-Instituts zufolge derzeit in dieser Phase, die meist von Hoffen und Bangen geprägt ist. Nimmt man alle, die vor mehr als fünf Jahren Krebs hatten, hinzu, kommt man auf vier bis fünf Millionen Menschen. „Wir wissen zu wenig darüber, welche Sorgen diese ehemaligen Patienten nach der Behandlung haben“, kritisiert der Bochumer Magen-Darm-Spezialist Wolff Schmiegel, Präsident des Deutschen Krebskongresses, der noch bis Sonntag im Berliner ICC stattfindet. Mit dem Symposium „Krebs überlebt – und dann?“ wollten er und seine Kollegen das beim diesjährigen Kongress ändern.

Dabei wurde deutlich, dass die Sorgen und Probleme sich nicht an die Fünf-Jahres-Frist halten. Studien aus den letzten Jahren zeigen, dass es nicht zuletzt die Behandlung ist, für die viele Krebspatienten langfristig ihren Preis zahlen müssen: Chemotherapien, die nicht nur dem Tumor zusetzen, können zu lang anhaltenden Konzentrationsstörungen und einem schlechten Gedächtnis für kurz zurückliegende Ereignisse führen. Jeder vierte Krebspatient leidet zudem lange nach der Behandlung unter chronischen Erschöpfungszuständen. Studien haben inzwischen gezeigt, dass gute Chancen bestehen, mit einem konsequenten Bewegungsprogramm dagegen anzukommen.

Gerade das Erschöpfungssyndrom beweist, dass Krankheit und Therapie nicht nur körperlich schlauchen. Angst vor einem Rückfall, Depressionen und Schlafstörungen kommen dazu. Der ganze Mensch muss es schaffen, mit der schockierenden Erfahrung einer lebensbedrohlichen Erkrankung fertig zu werden. „Der Tod hat auf mich ein Auge geworfen“, so hat die Dichterin Rose Ausländer dieses Gefühl einst in Worte gefasst. Ein ehemaliger Krebspatient stehe vor der Aufgabe, die Erlebnisse in seine Biographie zu integrieren, sagt Weis. Oft verändern sich die Lebensziele und die Wertvorstellungen. „Das ist ein Vorgang, den die Betroffenen nicht nur als negativ erleben.“ Manche sprechen „Wachstum durch Krebs“.

Auch die Motivation für einen gesunden Lebensstil sei nach überstandener Krankheit oft groß, sagt Ulrich Kleeberg, Vorsitzender der Hamburger Krebsgesellschaft. „Der Schock der Krebsdiagnose und die Erleichterung, überlebt zu haben, sind gute Voraussetzungen für eine Änderung des Lebensstils.“ Damit nicht schnell wieder „alles beim Alten“ sei, müssten die Ärzte das aber unterstützen. Die Radiologin Sophie Fossa, die das Nationale Kompetenzcenter für Langzeitfolgen von Krebs in Oslo leitet, mahnt allerdings auch die Verantwortung der Genesenen an, mit dem Rauchen aufzuhören und sich genug zu bewegen. Studien haben inzwischen bewiesen, dass dadurch die Gefahr von Langzeitfolgen deutlich verringert werden kann.

Norwegische Gesundheitsforscher wie Fossa sind in der beneidenswerten Lage, das Schicksal von Krebspatienten anhand von Registern über Jahrzehnte verfolgen zu können. „20 bis 30 Prozent der Krebskranken entwickeln in dieser Zeit Langzeitfolgen, die ihre Gesundheit beeinträchtigen und zu vorzeitigem Tod führen können“, resümierte Fossa. Einige Krebsmedikamente und hoch dosierte Strahlentherapien erhöhen das Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben. Lymphödeme nach Operationen, Schilddrüsenprobleme nach einer Bestrahlung oder Osteoporose infolge von Medikamenten vermindern die Lebensqualität.

„Wir wollen keinesfalls alle Menschen, die Krebs überlebt haben, zu Dauerpatienten machen“, sagte Kongresspräsident Schmiegel. Doch um sich nach dem Krebs aus dem „Nachkrebs-Gefängnis“ zu befreien, brauche die wachsende Gruppe der Ex-Krebspatienten auch immer wieder fachlichen Beistand. Adelheid Müller-Lissner

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