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In guten Händen. Eine fachkundige Betreuung trägt wesentlich zum Wohlbefinden bei.

© IMAGO

Gesundheitsberufe: Wer sich kümmern wird

Hebammen, Orthopädiemechaniker und Altenpfleger. Im Dickicht der Gesundheitsberufe finden sich Patienten nur schwer zurecht. Das muss sich ändern, fordert ein Expertenteam, das die Lage im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung analysiert hat.

Frau M. hatte eine Beinamputation hinter sich. Ihre Arterien waren durch eine schwere Arteriosklerose so verengt, dass es nach jahrelangen Durchblutungsstörungen schließlich zum Gefäßverschluss kam, zum Beininfarkt. Weil sie ihn nicht sofort behandeln ließ, starb der Fuß ab. Herrn Sch. mit seinem vernachlässigten Diabetes ging es genauso.

Solche chronisch Kranken und Behinderten werden von vielen Fachkräften versorgt. Von „Orthopäden, Chirurgen, Physiotherapeuten in der Akutklinik, in der Rehaklinik sowie in der Physiotherapiepraxis; von Wundexperten, Diabetologen, Fallmanagern der Krankenkassen, Orthopädietechnikern in der Akutklinik, in der Rehaklinik und einem weiteren Techniker, wenn sie wieder in ihre Häuslichkeit zurückkehren; Ergotherapeuten, Psychologen, Gefäßchirurgen, ambulant Pflegenden, stationär Pflegenden, Hausärzten und Selbsthilfegruppen…“

An der Kompetenz der einzelnen Experten zweifeln die chronisch Kranken nicht. Aber sie klagen, dass sie sich die nötigen Informationen mühsam selbst suchen müssen, um herauszufinden, was ihnen ihre Lage erleichtert und Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht. Denn die vielen Helfer kümmerten sich nur um ihr Bein, nicht aber um sie selbst und nicht darum, was die anderen tun.

Schilderung und Zitate stammen aus dem Memorandum „Kooperation der Gesundheitsberufe“ der Robert-Bosch-Stiftung. Dies und eine brandneue Denkschrift diskutierten Wissenschaftler kürzlich in der neuen Berliner Niederlassung der Stiftung. Wie man das Chaos der immer neuen Gesundheitsberufe ordnen und sie für die gewandelten Anforderungen der Zukunft fit machen kann, war ein Hauptthema des Expertensymposiums.

Dahinter steht die jahrelange Forschungs- und Entwicklungsarbeit des Sonderbereichs „Zukunftsfragen der Gesundheitsversorgung“ dieser innovationsfreudigen Stiftung. Es war folgerichtig, dass sie jetzt die Menge der Gesundheitsberufe thematisierte. Denn jahrzehntelang waren ihre Workshops, Fördermaßnahmen (Berliner Reformstudiengang) und Publikationen („Das Arztbild der Zukunft“) Motor der Reform des deutschen Medizinstudiums. Gleiches gilt für die Ausbildung der Pflegekräfte.

Wer wird künftig für die chronisch und mehrfach Kranken, Altersgebrechlichen, Dementen und Behinderten zuständig sein? Die Ärzte, ausgebildet in Kliniken für seltene und schwere Krankheiten, können und wollen das nicht allein mit ein paar Hilfskräften leisten, das machten die Berliner Tagung und die dort vorgelegten Publikationen deutlich. Und wer ermöglicht den Kranken und Pflegebedürftigen trotz ihrer Handicaps Selbstbestimmung, so weit wie möglich?

Es gibt, neben den akademischen, noch 16 „Heilberufe“, von der Hebamme über die Kinderkrankenschwester bis zur Altenpflegerin; dann viele andere Gesundheitsberufe, wie Augenoptiker, Zahntechniker, Medizinische Fachangestellte (die zu Recht nicht mehr nur „Arzthelferin“ heißen); außerdem die landesrechtlich geregelten Berufe; und nun wird es vollends unübersichtlich. Pflegehelfer(-innen) zum Beispiel gibt es in 27 Varianten aus 15 Bundesländern, und ihre Ausbildung kann ein, zwei oder drei Jahre dauern. Wie sollen da Patienten den Durchblick behalten, die oft nicht einmal zwischen Psychiatern und Psychologen unterscheiden können?

Ständig werden neue Berufe erfunden und das, wie häufig im Gesundheitswesen, ohne Bedarfsplanung und Begleitforschung, die den Effekt ihrer Tätigkeit systematisch prüfen würde. Eine von der Bosch-Stiftung eingeladene zehnköpfige Arbeitsgruppe hat nun eine 432 Seiten lange Denkschrift unter dem Titel „Gesundheitsberufe neu denken, Gesundheitsberufe neu regeln“ erarbeitet und auf der Tagung vorgelegt. Sie analysiert das Thema Gesundheitsberufe umfassend und kommt in einer rechtswissenschaftlichen Expertise zu Reformempfehlungen an den Gesetzgeber.

Es ist bemerkenswert, dass man sich hier nicht auf die Defizitanalyse beschränkt, wie dies öfters an der Versorgungsforschung bemängelt wird, und auch nicht auf Forderungen, die ohne Wegweiser isoliert im Raum stehen. Vielmehr macht Gerhard Igl (Kiel), Experte für Gesundheitsrecht, konkrete Vorschläge zur Vereinfachung und Klärung der „abenteuerlichen Vielfalt“ an Berufen im Gesundheitswesen. Igl plädiert für die Gründung eines „Nationalen Gesundheitsberuferats“ als Diskussionsforum aller Beteiligten und eine umfassende, schon detailliert ausgearbeitete Neuregelung des Rechts der Gesundheitsberufe.

„Alles ist gesagt, aber wenig getan“, hatte Almut Satrapa-Schill von der Bosch-Stiftung zu Tagungsbeginn bemerkt. Es geschah hier aber schon erstaunlich viel. Dem Gesetzgeber wurden wissenschaftlich fundierte, gangbare Wege zum Kultivieren des Berufedschungels gewiesen. Einen nützlichen neuen Gesundheitsberuf hat die Stiftung selber entwickelt: „Servicehelfer im Sozial- und Gesundheitswesen.“ Nach Hauptschulabschluss zweijährige Ausbildung. Entlastet die Fachpflege und ermöglicht den Patienten sogar Teilhabe. Wenn er zum Beispiel die beinamputierte Frau M. im Rollstuhl durch die Stadt schiebt.

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