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Gesundheitswissenschaft: Wellness im alten Rom

Diät statt Aderlass: Philip van der Eijk forscht an der Humboldt-Uni über "Gesundheit in der Antike".

„Wie gehen Individuen und Gesellschaft um mit Krankheit, Schmerz und Tod, aber auch mit Leben, Lebensqualität, Jugend und Alter?“ Solche Fragen sind in der modernen Gesundheitswissenschaft gang und gäbe. Auch Philip van der Eijk will „den Patienten in den Mittelpunkt stellen“, Medizin ist für ihn nicht nur die Heilung von Krankheiten, sondern das Erleben von Gesundheit und Krankheit, von Körper und Geist. Doch van der Eijk ist Medizinhistoriker. Der Niederländer forscht über Themen wie die Gesundheitsvorsorge im alten Rom oder den Sitz des Denkens in der Vorstellung antiker Ärzte – seit Januar in Berlin an der Humboldt-Universität.

Philip van der Eijk ist Professor für Klassische Philologie und stellt eine Forschergruppe über „Gesundheit und Wohlbefinden in der Antike“ zusammen. Der 48-Jährige kam als Alexander-von-Humboldt-Professor von der Universität Newcastle nach Berlin, vom Bundesbildungsministerium ausgestattet mit 3,5 Millionen Euro für fünf Jahre – als erster Geisteswissenschaftler des 2008 gestarteten Programms. Van der Eijk ist einer von fünf internationalen Spitzenforschern, die die Alexander-von-Humboldt-Stiftung im vergangenen Jahr nach Deutschland geholt hat, damit sie in ihren Fachgebieten „weltweit konkurrenzfähige Strukturen“ aufbauen. Gehälter sollen die Unis zahlen, die mit Angeboten aus den USA ansatzweise mithalten können, Reisekosten für Gastwissenschaftler oder auch aufwendige Laborausstattungen.

„Ich investiere in Menschen“, sagt van der Eijk. Er will eine neue Generation von Medizinhistorikern ausbilden, die seinen kulturwissenschaftlichen Ansatz in die Wissenschaftsgeschichte tragen. Zehn Stellen hat er an der HU ausgeschrieben, Bewerbungen kamen aus ganz Europa und aus den USA. Anders als andere Humboldt-Professoren hat er kein Team mitgebracht. Seine Mitarbeiter lässt van der Eijk in England, wo sie am 2003 von ihm gegründeten Center for the History of Medicine der Unis Newcastle und Durham an Projekten wie der Übersetzung des antiken Mediziners Galen weiterarbeiten. Auch dieses Zentrum verdankte sich einer Stiftung, finanziert wird es vom britischen Wellcome Trust. Die mächtigen privaten Forschungsförderer holten van der Eijk 1994 bereits mit einem Stipendium nach England, warben den jungen Altertumswissenschaftler von seiner Heimatuniversität im niederländischen Leiden ab.

In der Frage, wie die Menschen in der Antike nach einem Leben in Gesundheit strebten und wie sie mit Krankheiten umgingen, liege der Anschlusspunkt an die moderne Medizin, sagt van der Eijk. Wie in Newcastle will er in Berlin auch Vorlesungen vor Medizinstudenten halten und ihren Blick weiten auf ein neues Verständnis antiker Medizin, das auf ihren Umgang mit den Patienten ausstrahlen soll. Van der Eijk geht es nicht darum, archaische Praktiken wie den Aderlass zu beschreiben, an dem Patienten bis ins 19. Jahrhundert starben. Ihn interessiert vielmehr die Organisation des Gesundheitswesens in der Antike. Ein Thema ist die öffentliche Rede über Gesundheitsthemen, der Altphilologe entdeckte die antiken Ärzte als große Kommunikatoren. Sie wurden in Rhetorik ausgebildet, man veranstaltete öffentliche Wettbewerbe, bei denen zwei oder drei Mediziner etwa über Behandlungsmethoden diskutierten. Gewonnen hat, wer am besten erklären konnte.

Die antike Medizin war nicht nur für die Eliten da, sagt van der Eijk. Im römischen Reich gab es Gemeindeärzte, die Sprechstunde für alle Stände abhielten. Und sie propagierten Hygiene, eine hohe Qualität des Trinkwassers oder Präventionsmaßnahmen wie bestimmte Diäten oder eine Art Work-life-balance für verschiedene Berufsgruppen. Die Militärärzte, die jede Legion begleiteten, waren eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Expansion des Römischen Reichs. Diese Strukturen erstmals zu erforschen und auch zu zeigen, wie sie mit der „alternativen Medizin“ – Kräuterheilern und kultischen Heilpraktiken – verbunden waren, ist ein Ziel seines Berliner Forschungsvorhabens.

Galenos von Pergamon (um 129 bis 216), der griechische Arzt, mit dessen Werken sich van der Eijk seit Jahren beschäftigt, aber stieg zum High-Society-Arzt auf. In Pergamon behandelte er verletzte Gladiatoren, in Olympia die Sportler. 161 ließ er sich in Rom nieder, heilte den bekannten Philosophen Eudemos und wurde Arzt der römischen Aristokratie. Aus seinen Texten lässt sich auch eine römische Gesellschaftsgeschichte ablesen, sagt van der Eijk.

Galen erzählt Anekdoten über seine Patienten, gibt Streitgespräche mit Philosophen wieder. Der philosophisch gebildete Arzt sei ein einflussreicher Gesprächspartner gewesen. So setzte sich seine Auffassung durch, das Denken, die Vernunft habe ihren Sitz im Gehirn und nicht im Herzen, im Blut oder im Zwerchfell. Denn Galen konnte sich auf Experimente mit lebenden Tieren berufen, durch die er die Existenz von Nerven nachwies. Bei Schweinen etwa lokalisierte er das Sprachzentrum, blockierte es chirurgisch – und das Schwein konnte nicht mehr quieken.

Allein ist van der Eijk in Berlin mit seinem Interesse an den Ärzten des Altertums nicht: Er arbeitet mit dem Corpus Medicorum Graecorum/Latinorum zusammen, einer Arbeitsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die medizinische Werke der Antike übersetzt und herausgibt. Seine Forschung zum römischen Gesundheitswesen bringt er in das Antikeprojekt „Topoi“ von Freier Universität und Humboldt-Uni ein, das von der Exzellenzinitiative finanziert wird, die Anfänge der Hirnforschung in die Graduate School „Mind and Brain“. Und mit Partnern wie dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte will er den internationalen Masterstudiengang „History of Science“ aufbauen.

Inhaltlich ist die antike Medizin größtenteils von Durchbrüchen im 19. und 20. Jahrhundert überwunden, von denen viele Forschern in Berlin gelangen. Doch die Kulturgeschichte der Medizin des Altertums steht noch am Anfang, sagt van der Eijk. Und geht wieder an die Arbeit, Berlin zu einem Zentrum dieser Entwicklung zu machen.

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