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Gibbons: Von den Verwandten verdrängt

In China sind Gibbons Symbol für Langlebigkeit. Doch ihre Lebensräume schrumpfen bedrohlich.

China ist nicht nur das Land, in dem die meisten Menschen leben. Dort gibt es – nach Indonesien – auch die meisten biologischen Verwandten des Homo sapiens: Sechs Gibbonarten lebten bis vor wenigen Jahren in dem asiatischen Land. Doch das hat den Primaten wenig genutzt. Die chinesischen Gibbons wurden in winzige Waldgebiete im Südwesten des Landes zurückgedrängt. Alle Arten sind stark bedroht, der Weißhandgibbon ist bereits ausgestorben.

Das ist die traurige Erkenntnis einer zweiwöchigen Expedition, bei der sich im November 2007 ein schweizerisch-chinesisches Expertenteam im Nangunhe-Naturreservat auf die Suche nach der seltenen Tierart machte. Der Park liegt im Südosten der südchinesischen Provinz Yunnan. Die Forscher untersuchten alle Waldgebiete, in denen die Art in den vergangenen 20 Jahren vorkam. Fündig wurden sie nur im Museum der Parkverwaltung: Ein unvollständiges Fell ist alles, was hier vom chinesischen Weißhandgibbon übrig blieb.

„Dieser Verlust ist besonders tragisch, weil die erloschene chinesische Population als eigene Unterart beschrieben wurde“, sagt der Anthropologe Thomas Geissmann, Präsident der „Gibbon Conservation Alliance“ (GCA) aus Zürich und Leiter der Expedition. Die Tiere seien der Jagd, der Landwirtschaft und der Zerstückelung ihres Lebensraumes zum Opfer gefallen.

Die kleinen Menschenaffen sind im Wald vergleichsweise leicht zu finden, denn ähnlich wie Vögel verteidigen sie ihr Territorium mithilfe von lauten Rufen. Kurz nach der Morgendämmerung stimmen die Gibbons Solo- oder Duettgesänge an, die mindestens einen Kilometer weit zu hören sind. Der 14-köpfige Suchtrupp, bestehend aus Mitarbeitern der GCA, des Zoologischen Instituts von Kunming sowie der Parkverwaltung, stellte deshalb an ausgewählten Stellen Horchposten auf. Dazu wurde das Untersuchungsgebiet in vier Sektoren unterteilt. Um ganz sicherzugehen, wurde jeder Posten an vier aufeinanderfolgenden Tagen besetzt. Doch der Wald blieb stumm.

Das Ergebnis war absehbar. In Sektor 3 und 4, nahe der Grenze zu Birma, wurden Gibbons zuletzt 1981 beziehungsweise 1990 gehört. Die Forscher fanden dort nur junge Wälder mit kleinen Bäumen sowie ausgedehnte Plantagen mit Gummibäumen vor. Doch das ist nicht gerade ein günstiger Lebensraum für Langarmaffen, die ein geschlossenes Kronendach und ein vielfältiges Angebot an Früchten und Blättern benötigen.

Der Wald in Sektor 1 sah auf den ersten Blick schon besser aus. Doch weidende Wasserbüffel, Reste von Lagerplätzen und ein gut erhaltenes Wegenetz ließen erkennen, dass die Gegend wirtschaftlich genutzt wurde. Ein Jäger aus dem benachbarten Dorf konnte sich noch an drei Gibbon-Familien mit je zwei bis drei Tieren erinnern. Die Bewohner erzählten, dass es seit den achtziger Jahren leichter geworden sei, Schusswaffen zu erwerben. Seitdem habe die Zahl der Gibbons rapide abgenommen.

Alle Hoffnungen der Biologen ruhten daher auf Sektor 2. In dieser Gegend zeigte die Satellitenkarte dichte Wälder, und dort hatte der Parkranger Wang Zisheng 1992 eine Gibbongruppe singen hören. Die Expeditionsteilnehmer lauschten angestrengt – aber vergebens.

„Das Aussterben des chinesischen Weißhandgibbons ist ein dringendes Alarmsignal, denn mittlerweile stehen auch andere Menschenaffenarten Chinas vor der Ausrottung“, sagt Geissmann. Der Weißwangen-Schopfgibbon beispielsweise ist seit den achtziger Jahren nicht mehr gesichtet worden. Vom Cao-Vit-Schopfgibbon gibt es noch etwa 50 Tiere, beim Hainan-Gibbon sind es weniger als 20.

Die chinesische Wirtschaft boomt nach wie vor. Auf Batterien, die in Kunming hergestellt werden, ist ein Gibbon abgebildet: Seit mehr als 1000 Jahren gilt er als Symbol für Langlebigkeit und Ausdauer. Wie lange er diese Eigenschaften angesichts schrumpfender Lebensräume noch aufrechterhalten kann, ist fraglich.

Mathias Orgeldinger

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