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Großbritanien: Gebremster Boykott

Weil sie den Palästinensern ihr Recht auf Bildung verweigerten, wollten britische Wissenschaftler Israel ächten – jetzt greift die Regierung ein.

Ein Boykottaufruf gegen Israel spaltet die Wissenschaft Großbritanniens: Vor kurzem stimmten die Delegierten der University and College Union (UCU), der größten Hochschullehrergewerkschaft des Königreichs, mehrheitlich für „einen umfassenden Boykott“ aller israelischer Universitäten. Das sei eine „Antwort auf die 40-jährige Besetzung“ palästinensischer Gebiete durch Israel, heißt es in dem Aufruf (wir berichteten). Seitdem schlägt die Boykottdrohung national wie international Wellen – jetzt ist sogar der britische Bildungsstaatssekretär nach Israel gereist, um sich der Sache anzunehmen. Bei einem Treffen mit der israelischen Außenministerin am Wochenende verurteilte er den Aufruf scharf: Er sei alles andere als geeignet, um den Friedensprozess im Nahen Osten zu befördern.

Mit 158 zu 99 Stimmen hatten die Delegierten der Gewerkschaft Ende Mai in Brighton für den Boykott gestimmt. Israel solle dafür verurteilt werden, dass es den Palästinensern ihre „Rechte auf Bildung“ verweigere. Ihren israelischen Kollegen werfen sie vor, zu wenig gegen die Militärbesatzung in der Westbank zu unternehmen. Es gelte daher, die „moralischen Implikationen“ von Kontakten zu israelischen Unis zu bedenken.

Die Gewerkschaftsführung lehnt den Boykott vehement ab – und rief die Mitglieder dazu auf, ihn abzulehnen. Die Forderung muss nun in allen regionalen Abteilungen diskutiert werden. Ob der Abbruch der Kontakte von den rund 120 000 UCU-Mitgliedern unterstützt wird, gilt als fraglich. Ein Boykott könne dazu führen, dass britische Forscher nicht mehr in israelischen Publikationen veröffentlichen oder nicht mehr zu Konferenzen nach Israel reisen würden, sagt Initiator Tom Hickey, Philosoph an der Uni Brighton. Bindend durchsetzen könnte die UCU dies nicht. Es handelt sich also vor allem um eine symbolische Aktion.

Ofir Frankel, Sprecher des Advisory Board for Academic Freedom, beschrieb die Maßnahmen als „diskriminierend“. Jon Benjamin, Vorsitzender der Vertretung britischer Juden, forderte die Gewerkschaft zur Umkehr auf. „Nun geht es darum, jene Beziehungen zu stärken, die alle Seiten des israelisch-palästinensischen Konflikts zusammenbringen, und so ein besseres Verständnis für diese komplexe Thematik zu schaffen.“

Auch der persönliche Beauftragte des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung von Antisemitismus, Gert Weisskirchen, protestierte: Von allen Ländern im Nahen Osten sei Israel derzeit führend, wenn es für jüdische und arabische Wissenschaftler darum ginge, „in einem Geist der Gemeinschaft und Exzellenz“ zusammenzuarbeiten. In Israel werden bereits Gegenaktionen diskutiert: Darunter eine E-Mail-Kampagne, um US-Amerikaner und Kanadier davon zu überzeugen, britische Waren und Dienstleistungen zu boykottieren.

Bildungsstaatssekretär Bill Rammell bereiste jetzt Israel, um vor Ort Schadensbegrenzung zu betreiben. Er traf Außenministerin Tzipi Livni und besuchte israelische Hochschulen. Die britische Regierung sei der Ansicht, dass die Wissenschaft ein „wichtiger Teil des Friedensprozesses“ sei und kein Mittel, „um Menschen auseinanderzudividieren“, sagte er nach dem Besuch gestern der „Jerusalem Post“. Der Aufruf sei „kontraproduktiv“, er repräsentiere zudem nur die Meinung einer kleinen Gruppe „linksradikaler Aktivisten“. Premierminister Tony Blair distanzierte sich bereits letzte Woche im britischen Unterhaus entschieden von der Aktion. Er hoffe, dass die Abstimmung der Delegierten von der Basis überstimmt werde.

Seit Jahren ist der Umgang mit Israel Gegenstand hitziger Debatten in der britischen Wissenschaft. Die Ratifizierung eines Boykottaufrufs der Association of University Teachers 2005 hatte für Aufsehen gesorgt und wurde erst nach einer außerordentlichen Tagung zurückgenommen. Vor vier Jahren hatte ein Medizinprofessor in Oxford die Promotionsbewerbung eines Israelis mit Bezug auf die „groben Menschenrechtsverletzungen“ der Israelis gegenüber den Palästinensern abgelehnt. Derselben Kollektivschuld-Logik folgt auch Boykott-Initiator Hickley. Er erklärte, der Boykott ziele nicht auf Individuen, werde aber „negative Auswirkungen auf Einzelne“ haben.

Zwischen jenen Wissenschaftlern, die die Besatzungspolitik der Regierung fördern, jenen, die sich aktiv dagegen aussprechen, und jenen, die einfach nur ihrer Forschung nachgehen, wird bewusst nicht differenziert. So wird ignoriert, dass es in Israel gerade aus der Wissenschaft teils vehementen Protest gegen die Regierungspolitik gibt. Wohl kaum jemand hat mehr dazu beigetragen, Mythen über die Entstehung des Staates Israel oder die Sinnhaftigkeit der Besetzung des Westjordanlands zu dekonstruieren, als israelische Historiker wie Moshe Zuckermann oder jüngst wieder Tom Segev mit seinem Buch über den Sechstagekrieg. Und Menahem Yaari, Präsident der Israelischen Akademie der Wissenschaften, hat 2003 gemeinsam mit dem Präsidenten der palästinensischen Al Quds University in Jerusalem die Israeli-Palestinian Science Organisation gegründet. Sie fördert gemeinsame Forschungsvorhaben von palästinensischen und israelischen Wissenschaftlern.

Eine im Internet verbreitete Protest-Petition der Wissenschaftlervereinigung „Scholars For Peace in the Middle East“ hatten bis gestern indes über 3700 Forscher, darunter diverse Nobelpreisträger, unterschrieben. Darin kündigten sie an, sich fortan wie israelische Wissenschaftler zu verstehen und jeder Konferenz fernzubleiben, von der ihre israelischen Kollegen ausgeschlossen sind.

Leonard Novy

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