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Geldadel. Wer es sich leisten kann, kann sich in Großbritannien künftig in Eliteunis einkaufen – für den extrahohen Gebührensatz der Auslandsstudenten. Das Bild zeigt Studierende der St. Andrews University, die die royale Hochzeit feiern.

© Reuters

Großbritannien: Käufliche Elite

Die britischen Hochschulreformen sind radikal, ihr Ausgang offen. Nur Forschung, die der Wirtschaft nützt, wird gefördert. Kritiker sehen Oxford und Cambridge auf dem Weg ins Mittelmaß.

Wie sehen die britischen Hochschulen ihre Zukunft? David Watson vom Institute for Higher Education der Uni London hält es bei einem Seminar mit Bildungspolitikern im Unterhaus mit Enver Hoxha, Staats- und Parteichef im kommunistischen Albanien: „Dieses Jahr wird härter als das letzte. Aber es wird leichter als das nächste.“

Die britische Regierung führt die Universitäten durch Radikalreformen auf unbekanntes Terrain. Europaweit Aufsehen erregt, dass die Regierung die Studiengebühren um bis das Dreifache erhöht, verbunden mit drastischen Kürzungen bei den Staatszuschüssen für die Lehre. Nicht wenige befürchten einen Niedergang der britischen Hochschulen. Die Royal Society warnte in einem Bericht im Frühjahr, die Dominanz der angelsächsischen Universitäten in den Weltrankings sei bedroht. Vor allem die Konkurrenz aus China und Indien könnte vorbeiziehen. Ähnlich sieht es der Direktor für Hochschulbildung der Weltbank, Jamil Samil: „Noch ist Großbritannien Kontinentaleuropa weit voraus. Die Gefahr ist, dass es auf dieses Niveau zurückfällt.“ „Oxford wird nicht mehr Top sein“, prophezeite auch Robert-Jan Smits, Generaldirektor Forschung der EU-Kommission, dem Tagesspiegel in einem Interview, in dem er über die Wirkungen des Sparklimas auf Europas Unis klagte.

Andere dagegen, wie der Chef der britischen Rektorenkonferenz (UUK) Steve Smith, halten Untergangszenarien für übertrieben: „Die Situation ist alles andere als apokalyptisch.“ Bei den Beobachtern auf dem Kontinent könne „auch ein bisschen Wunschdenken im Spiel sein“, glaubt UUK-Sprecher Gareth Morgan.

Tatsächlich stehen die Hochschulen vor allem bei der Finanzierung der Lehre vor massiven Umwälzungen. Die staatlichen Zuschüsse für diesen Bereich werden um 80 Prozent abgeschmolzen, stattdessen müssen die Studierenden nun drastisch erhöhte Gebühren zahlen, bis zu 9000 Pfund pro Jahr. Für Wissenschaftsminister David Willetts ist dieses Szenario gar keine Kürzung. Das Geld wird in seinen Augen nur auf anderem Weg an die Unis gelenkt, „nämlich über die Entscheidungen der Studenten“. Bei quasi kostendeckenden Studiengebühren, vorfinanziert durch Regierungskredite, würden die Studenten und nicht mehr die Regierungsbürokratie entscheiden, wie vielen Studenten welche Fächer an welchen Unis, und wie viel Geld dafür zur Verfügung steht.

Die ursprüngliche Hoffnung der Regierung war, dass nur die besten Unis den Höchstsatz von 9000 Pfund nehmen. Doch jetzt will die Hälfte aller Hochschulen den Topsatz verlangen. Das entsetzt nicht nur die Studierenden ein weiteres Mal, sondern auch den Schatzkanzler. Dieser müsste nämlich viel mehr für die Finanzierung von Studienkrediten ausgeben als geplant, wenn die Unis an ihren Sätzen festhalten. Insgesamt eine Milliarde Pfund müssten den Unis zusätzlich vorgeschossen werden. Am Dienstag wurde nun klar, wie die Regierung aus der Falle entkommen möchte. Sie will Studienplätze an den besten Universitäten wie Oxford oder Cambridge für Reiche reservieren, die keine staatlich geförderten Kredite für Studiengebühren erhalten. Die Regierung spart damit nicht nur den Vorschuss für den Kredit, sondern nimmt zusätzlich Geld ein: Die Studierenden aus wohlhabenden Familien müssen nämlich für die Reservierung die erhöhten Studiengebühren für Ausländer zahlen, in der Medizin sind das 28 000 Pfund im Jahr. „Wir riskieren, in Zeiten zurückzufallen, in denen die Herkunft wichtiger war als das Hirn“, kritisiert die Generalsekretärin der University-and-College-Gewerkschaft.

Wissenschaftsminister Willetts bleibt trotzdem von seinen Reformen überzeugt. „Wir sind auf dem Weg zu einem reaktionsfähigeren und vielfältigeren System. Wir werden angemessen mit Geld ausgestattete Unis haben, die Kurse anbieten, die Studenten auch wirklich wollen. Studenten werden die Qualität der Lehre kontrollieren“, versicherte Willets auf einem Seminar des „Guardian“ zu den Reformen. Unis können kürzere, billigere, attraktivere Studiengänge entwickeln, einen Bachelor in nur zwei Jahren, weniger Semesterferien, mehr Lernen per Internet. Die Nützlichkeit eines Studiums für das spätere Berufsleben („Employability“) werde eine größere Rolle spielen, hofft Willetts.

Genau diesen Utilitarismus fürchten aber die Unis – vor allem Human- und Sozialwissenschaftler. „Was heißt es, wenn Studenten als König Kunde auftreten. Sollen sie alle Einser bekommen?“, fragte ein skeptischer Dozent an der Uni Durham. „Lernen und Forschen um der Lust und Freude willen gehört der Vergangenheit an.“ Gefürchtet ist bei Wissenschaftlern auch die neue „Impakt Agenda“, bei der Förderanträge den Wirtschaftswert von Forschung voraussagen sollen: Das werde die Forschungsfreiheit beschränken, warnt Marek Walport, Direktor des Wellcome Trusts, zweitwichtigster Forschungsförderer nach der Regierung.

Warum ist die britische Rektorenkonferenz dennoch optimistisch, dass alles nur halb so schlimm wird? Womöglich speist sich ihr Optimismus daraus, dass die Forschung anders als die Lehre noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Die Forschungsförderzuschüsse wurden im Herbst nicht wie erwartet gekürzt, sondern bei 4,6 Milliarden Pfund eingefroren. Im Vergleich zu Kürzungen im Sozialsystem, im Nationalen Gesundheitsdienst oder bei der Polizei kam die Forschung damit fast ungeschoren davon. 200 Millionen Pfund werden zusätzlich in neue Innovationszentren nach dem Vorbild der deutschen Fraunhofer Institute investiert.

„Britische Universitäten werden weiterhin nur von den USA übertroffen, wenn es um Forschungsleistung, Forschungseinkommen oder die Einnahmen aus ,spin-offs’ geht, und wir sehen nicht, dass sich das so schnell ändert“, beharrt UUK-Sprecher Morgan.

Hochschulforscher Watson weigert sich dagegen, Prognosen abzugeben. Ob weniger Studierende aus Europa und insbesondere Deutschland kommen werden, wie sich Großbritanniens Attraktivität für Überseestudenten entwickelt, ob Unis, die sich am neuen Markt nicht durchsetzen können, schließen müssen, wie sich die radikalen Strukturänderungen im Bereich der Lehre auf die Forschungskapazitäten auswirken, ob die Kluft zwischen Lehr- und Forschungsuniversitäten größer wird – all das sei offen. Nur eins ist sicher, glaubt Watson: „Die Hochschulen stehen an einer Weggabel.“

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