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Cambridge

© laif

Großbritannien: Sparorgie alarmiert britische Unis

Die Labourregierung setzt auf die Wissensgesellschaft, streicht aber Millionen in den Hochschuletats. Betroffen sind vor allem die Eliteunis.

Als Premier Gordon Brown am Sonntag in der BBC gefragt wurde, wie Großbritannien, angesichts des Niedergangs des Bankensektors in Zukunft sein Geld verdienen wolle, beschrieb er sein Land als „kreative Nabe der Welt“, führend in Pharmaindustrie, Biotechnologie und Bildung. Er wird nicht müde zu betonen, wie wichtig der Wissenswettbewerb in der Knowledge Industrie sei.

Und doch: Kurz vor Weihnachten schickte seine Regierung den Universitäten durch den Minister für „Industrie, Innovation und Bildung“, Lord Mandelson, eine böse Neujahrsüberraschung zu. In einem Brief an den „Higher Education Funding Council for England“ (HEFCE), den britischen Wissenschaftsrat, verfügte er per Federstrich völlig überraschend Kürzungen der Lehr- und Forschungsetats von 135 Millionen Pfund (umgerechnet 148,5 Millionen Euro). Die Einsparungen müssen im nächsten Haushaltsjahr wirksam werden, also im Frühjahr, wenn der HFCE turnusgemäß Gelder an die Hochschulen verteilt.

Es ist nur die jüngste in einer Reihe von Sparmaßnahmen, die Großbritanniens Universitäten das Wasser abgraben. Schatzkanzler Alistair Darling hatte ihnen bereits im Herbsthaushalt Sparmaßnahmen von 600 Millionen Pfund für die Jahre 2011 bis 2013 verordnet. Zuvor führte ein Sparprogramm zum Verlust von 750 Dozentenstellen. Weitere 5000 Posten stehen zur Streichung an. Gleichzeitig gehen Forschungsgelder der Industrie wegen der Rezession zurück und Risikoinvestitionen für die gepriesenen „Spin Offs“, Unternehmensgründungen aus den Instituten, die sichere Geldströme bringen sollen, sind fast versiegt.

Entlassungen, nicht verlängerte Forschungsaufträge, die Streichung von Kursen, die Abwicklung von Instituten sind Gesprächsthema Nummer eins an den Hochschulen. An Stelle der kleinen Tutorengruppen, für die die britischen Universitäten berühmt sind, treten nun Mammutseminare nach dem Muster der deutschen Massenuniversitäten. Besonders betroffen sind die forschungsintensiven Eliteunis der „Russell Group“. Das Londoner University College etwa, derzeit im Ranking an zweiter Stelle hinter Oxford, muss insgesamt 20 Millionen Pfund einsparen – 400 Dozentenstellen.

„Wenn die höhere Bildung so wichtig für unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunft ist, muss sie auch bezahlt werden“, wettert Professor Eric Thomas, Vizekanzler der Universität Bristol. In einem Brief an die „Times“ wundert er sich, dass nun ausgerechnet die britischen Hochschulen die ersten Opfer der Sparmaßnahmen werden, mit denen das 178 Milliarden Pfund große Haushaltsloch geschlossen werden soll.

Als besonders bitter empfinden die Unis, dass Mandelson die Gelder mit der Begründung abzog, dass die staatlichen Ausgaben für wachsende Studentenzahlen in der Krise wuchsen. Die Regierung hatte die Unis gleich zu Beginn der Rezession Anfang 2008 aufgefordert, mehr Studenten aufzunehmen. „Bizarr“ nennt der Bildungssprecher der Opposition, David Willetts, die Sparauflagen.

Mandelson gab den Unis in seinem Brief eine Liste von Auflagen und Ratschlägen, was sie mit dem weniger gewordenen Geld machen sollen: Ambitionierter und effizienter sollen sie werden, mehr Studenten aus den unteren Sozialschichten aufnehmen, die Ausbildung relevanter für die Wirtschaft machen, Kapazitäten in den Zukunftsbereichen ausbauen. Lord Mandelson empfiehlt auch eine „Diversifizierung“ der Studiengänge, darunter einen zweijährigen Express-Bachelorstudiengang. Für die Hochschulleitungen ist damit das Ziel klar: Die Labour-Regierung will die auf ihre Unabhängigkeit und Autonomie stolzen Unis zu effizienteren Maschinen im Wirtschaftsprozess machen.

Universities UK, die Britische Rektorenkonferenz, kritisierte die Sparmaßnahmen in einer Stellungnahme scharf: „Wir können nicht mehr mit weniger leisten, ohne langfristig unsere Nachhaltigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.“ Professor Andy Smith von der Universität York warnte davor, die freie Forschung kurzfristigem Effizienzdenken zu opfern. Wissen um des Wissens willen und die Bedürfnisse der Industrie stellten keinen Widerspruch dar, sondern ergänzten sich.

Im Zuge der Debatte um die Rolle der Universitäten kommt nun mit neuer Kraft die immer noch offene Debatte um die Hochschulfinanzierung wieder hoch. Wie soll die Gewichtung von staatlichen und privaten Geldern sein? Eliteuniversitäten, die möglichst unabhängig vom Staat sein wollen, pochen nun noch entschiedener auf höhere Studiengebühren.

„Andere Länder investieren mehr, nicht weniger in ihre führenden Universitäten“, warnt die Generaldirektorin der Russell Group, Wendy Piatt. Angesichts des anhaltenden Sparzwangs sei es umso wichtiger, dass Universitäten Zugang zu anderen, nichtöffentlichen Geldquellen haben. Sie meint damit die Abschaffung der Obergrenze für Studiengebühren, die derzeit bei 3225 Pfund im Jahr liegt und von allen Unis, ungeachtet ihres Standards, erhoben wird. Der in den USA lehrende Wirtschaftsprofessor David Blanchflower, der eigentlich der Labourpartei nahesteht, forderte, Sprösslinge wohlhabender Familien sollten einen kostendeckenden Beitrag leisten – Studiengebühren von 30 000 Pfund im Jahr.

Im Wahlkampf wird der Uni-Streit aber vermutlich keine große Rolle spielen. Wähler und Parteien interessieren sich viel mehr für die Misere an den Schulen. Die Debatte um die Uni-Finanzierung wurde von der Labourregierung elegant an eine Kommission delegiert, die gerade unter Vorsitz des ehemaligen Chefs des Ölkonzerns BP, Lord Browne, ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie berichtet nach der Wahl, die spätestens bis Juni dieses Jahres stattfinden muss.

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