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Hauptschüler

© dpa

Hauptschule: Abgestempelt

An Hauptschulen ballen sich schwache Schüler – viele fühlen sich sozial geächtet. Das fehlende Selbstvertrauen mindert die Leistung lernfähiger Schüler. Ob eine PR-Kampagne dem schlechten Image der Hauptschulen helfen könnte, ist aber mehr als fraglich.

Steigt der Anteil schwacher Schüler an den Hauptschulen? Eine „deutlich wachsende Risikogruppe“ attestierte diesem Schultyp die Präsidentin der Kultusminister-Konferenz (KMK), Annegret Kramp-Karrenbauer, Schulministerin im Saarland. Risikoschüler bleiben bei der Lösung der Pisa-Aufgaben auf oder unter Kompetenzstufe eins – von fünf Stufen. Bei der Lesekompetenz bedeutet das, dass die getesteten 15-Jährigen bestenfalls auf Grundschulniveau lesen oder sogar funktionale Analphabeten sind.

Wie Kramp-Karrenbauer zu ihrer Aussage kommt, lässt sich allerdings nicht ergründen. Denn die Pisa-Länderauswertungen von 2003 und 2006 lassen keinen Vergleich der Risikogruppen zu: Erst in der jüngsten Veröffentlichung wurden sie in Prozentzahlen dargestellt, 2003 dagegen in „Perzentilbändern“, aus denen man keine Prozentzahlen ablesen kann.

Gibt es ein politisches Interesse daran, die Misere der Hauptschulen zu verdecken? Keineswegs, heißt es bei der KMK, die Pisa-Forscher hätten lediglich ihr „Instrumentarium verfeinert“. Pisa-Chef Manfred Prenzel erklärt, die Verteilungen auf die Kompetenzstufen in den einzelnen Schularten sei „von 2003 zu 2006 nicht direkt vergleichbar“. Man müsste dabei die Bildungsbeteiligung für die jeweilige Schulart vergleichen, und diese hätten sich „seit 2003 zum Teil beträchtlich geändert“. Tatsächlich sinkt der Anteil der Hauptschüler in Stadtstaaten, aber auch in Flächenländern. Bekannt ist, dass etwa in Bayern, wo 30,5 Prozent der Schüler eine Hauptschule besuchen, die Risikogruppe mit aktuell 36,9 Prozent (Lesen) weitaus geringer ist als in Hamburg: Dort ist die Hauptschule mit 9,5 Prozent der Schüler eine Restschule, 78,7 Prozent gehören der Risikogruppe an.

Über alle Schularten hinweg ist die Zahl der Risikoschüler gesunken. Bezogen auf das Lesen stieg der Wert seit 2003 lediglich in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg zwischen 1,4 und zwei Prozent. Wie sich die Risikogruppe aber an den Hauptschulen entwickelt hat, wird nicht gezeigt. Die Werte für 2006 sind indes alarmierend: So bleiben auch in Bremen 73,5 Prozent beim Lesen auf oder unter Stufe eins, in Berlin 73,2 Prozent.

Dass Hauptschüler nicht nur die Verlierer der Pisa-Studie sind, sondern sich selber zunehmend als Verlierer sehen, zeigt eine aktuelle Studie. Der Berliner Psychologe Michel Knigge hat Hauptschüler nach ihrer Selbstwahrnehmung befragt – und kommt zu einem eindeutigen Schluss: Hauptschüler seien durch ihre Schultypzugehörigkeit „stigmatisiert“, sagt Knigge, der am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität forscht. Hauptschülerinnen und Hauptschüler würden nach dem Übergang auf ihre Schulform „soziale Ächtung wahrnehmen“: Fast 80 Prozent von ihnen „sind der Meinung, dass die Leute Hauptschüler für dumm halten“, heißt es in seiner Studie. Die Motivation, sich für die Schule zu engagieren, sinke dadurch deutlich. Die Ergebnisse veröffentlicht Knigge demnächst in seiner Dissertation, die er an der Freien Universität verfasste.

Für seine Studie führte Knigge mehrere Befragungen unter 1000 Hauptschülern in Berlin durch. Zum Vergleich wurden 300 Gymnasiasten dieselben Fragen gestellt. Zwischen beiden Gruppen zeige sich ein signifikanter Unterschied: Während Gymnasiasten eine positive Reputation genössen, wiesen Hauptschüler eine „stigmatisierte kollektive Identität“ auf. Die Hauptschüler würden dabei im Laufe der Zeit „immer mehr realisieren, wie negativ die Reputation ihrer Schule ist“, sagt Knigge. In der siebten Klasse könne man bereits bei 66 Prozent der Hauptschüler von einer Stigmatisierung sprechen. Bei den Neuntklässlern steige der Wert dann auf fast 80 Prozent.

90 Prozent der befragten Hauptschüler gaben an, sie würden als „asozial“ wahrgenommen. Einer der von Knigge persönlich interviewten Schüler sagte: „Die Leute denken, Hauptschüler sind irgendwelche Hirnamputierten, die nichts zustande bringen. Sie haben schon in der Grundschule nichts begriffen.“ Die Lehrer vermittelten ihren Schülern ebenfalls ein negatives Bild. Sie hätten „deutliche Vorurteile gegenüber ihrer eigenen Schülerschaft, die auch diejenigen realisieren und erleben müssen, auf die diese Stereotype gar nicht zutreffend sind“, heißt es in der Studie. Gleichwohl könne man das schlechte Selbstbild der Schüler nicht den Lehrern anlasten, sagt Knigge. Sie seien offensichtlich von der negativen gesellschaftlichen Sichtweise auf die Hauptschule geprägt.

Wie wirkt sich das auf die Leistungen aus? „Je mehr die Schüler denken, dass die Leute Hauptschüler für asozial halten, umso niedriger ist ihre Motivation, sich in der Schule zu engagieren“, heißt es in der Studie. Der Stempel, Mitglied einer Restschule zu sein, erschüttere das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Schüler könnten in der Folge dazu neigen, auch andere Situationen zu vermeiden, in denen Leistung gefordert ist – wie etwa Bewerbungsgespräche. Eine Kompensation für die durch die Schule erfahrene Stigmatisierung könnten auch Drogenmissbrauch oder Kriminalität sein.

Der Befund der Stigmatisierung sei umso dramatischer, als die Pisa-Studien immer auch Überschneidungen zwischen den Leistungsverteilungen von Hauptschülern und Gymnasiasten zeigten, sagt Knigge. Das negative kollektive Selbstbild entspreche also nicht immer den individuellen Kompetenzen, die ein Hauptschüler tatsächlich besäße.Ob aber eine Werbekampagne für Hauptschulen viel bewirken könne, sei fraglich.

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