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Unruhe im Meer. Das Foto entstand Anfang des Monats an der Südküste der Kanareninsel El Hierro. Es zeigt Vulkanasche, die bei einer der wiederkehrenden Eruptionen am Meeresgrund ausgestoßen wurde und an die Oberfläche gelangt. Foto: dpa

© dpa

Wissen: Heißes Pflaster

Beben und Vulkanausbrüche lassen den Meeresboden bei den Kanaren erzittern

Seit Wochen versetzt die Vulkaninsel El Hierro die Menschen in Aufregung. In mehreren hundert Metern Wassertiefe bricht vor ihrer Südküste ein Vulkan aus. Sind die Eruptionen gefährlich, entsteht gar eine neue Insel?

Die vulkanische Aktivität begann bereits im Juli. Sie verriet sich durch zahlreiche Minibeben, mehr als 10 000 dieser oft kaum spürbaren Erschütterungen registrierten die Geräte der Geoforscher seither. Solche „Schwarmbeben“ sind ein Hinweis auf glutflüssiges Gestein, das sich im Erdinneren bewegt. Erreicht das Magma die Erdoberfläche, bricht ein Vulkan aus.

Thor Hansteen vom Leibniz-Institut für Meeresforschung IFM-Geomar in Kiel war aus gutem Grund alarmiert: Schließlich hatten der norwegische Vulkanforscher und seine Mitarbeiter die Eruptionen auf den Kanarischen Inseln in den letzten Jahren genau untersucht und wussten, dass ein erneuter Ausbruch möglich war. Am 10. Oktober war es so weit, die Ausbruchsserie begann.

„Die Kanarischen Inseln liegen über einem Hot Spot“, erläutert Hansteen. Tief unter der Erdoberfläche quillt dort besonders heißes Gestein auf. Mindestens 50 solcher Hotspots von der Eifel über die Galapagos-Inseln bis eben zu den Kanaren haben die Forscher bisher ausfindig gemacht. Die bekanntesten Beispiele sind Island und die Hawaii-Inselgruppe.

„Der Hotspot unter den Kanarischen Inseln ist vermutlich deutlich kleiner als der unter Hawaii“, sagt der Wissenschaftler. Da sich die Erdplatten mit einem Tempo von wenigen Zentimetern im Jahr über die Hitzeflecken hinwegschieben, entstehen im Laufe der Erdgeschichte ganze Inselgruppen. Im Fall der Kanaren bildeten sich so vor schätzungsweise 25 Millionen Jahren zuerst Fuerteventura und Lanzarote.

Im Laufe der Jahrmillionen wanderte die Erdplatte, auf der die östliche Hälfte des Atlantiks ruht, langsam weiter nach Osten. Daher entstanden weiter im Westen immer neue Vulkaninseln. Die jüngsten sind das ungefähr zwei Millionen Jahre alte La Palma und El Hierro, das vor rund 1,2 Millionen Jahren aus den Tiefen des Atlantiks auftauchte.

Als Hansteen und seine Mitarbeiter die Lava auf La Palma und El Hierro sowie vom Meeresboden vor den Küsten dieser Eilande untersuchten, entdeckten sie Erstaunliches. Das Magma quillt nicht direkt bis an die Erdoberfläche. Ein großer Teil bleibt zehn bis 15 Kilometer unter der Oberfläche stecken. In dieser Tiefe bewegt sich das flüssige Gestein waagrecht weiter und steigt erst einmal nicht mehr in die Höhe. Erst wenn das Magma auf Risse und Spalten stößt, quillt es dort in Richtung Erdoberfläche. Sobald es diese erreicht, beginnt die Eruption.

Das jedenfalls schlossen die Geoforscher aus ihren Lava-Analysen, die sie 2005 und 2009 in den Zeitschriften „Earth and Planetary Science Letters“ und „Contributions to Mineralogy and Petrology“ veröffentlichten. Aber noch war das nicht mehr als eine Hypothese – bis im Sommer 2011 die Erdbebenschwärme unter El Hierro begannen. Ungefähr zehn Kilometer unter der Insel lokalisierten spanische Experten die Bebenherde. Im Laufe der Wochen wanderten die Bebenschwärme langsam nach Süden in den Atlantik hinaus, bis am 10. Oktober rund drei Kilometer vor der Küste der Vulkanausbruch begann. Offensichtlich war in der Tiefe Magma nach Süden geflossen und an einer Schwachstelle zum Meeresgrund aufgestiegen. Der Hotspot unter den Kanarischen Inseln hatte also das Modell von Hansteen und seinem Team bestätigt.

Als spanische Forscher dort ein ferngesteuertes U-Boot tauchen ließen, entdeckten sie Ende Oktober 2011 einen gewaltigen Schlackenkegel. Inzwischen dürfte der Kraterwall dieses Unterseevulkans keine hundert Meter mehr unter dem Wasserspiegel liegen.

Entsteht vor der Küste von El Hierro also eine neue Insel? „Eher nicht“, vermutet Hansteen. Denn die Erdbebenschwärme und die vulkanische Aktivität lassen inzwischen anscheinend nach. Ohnehin fördert ein typischer Vulkanausbruch auf den Kanarischen Inseln gerade einmal rund 0,1 Kubikkilometer Lava. Mit solchen Mengen dürfte es kaum gelingen, einen Schlackenkegel vom Meeresgrund bis über die Wasseroberfläche zu bringen.

Vor kurzem kamen Befürchtungen auf, dass die Ausbrüche besonders gefährlich seien, weil der Auswurf auffällig helle Lavafragmente enthält. Eruptionen, die helle Gesteinsschmelze fördern, sind oft sehr explosiv. „An Hotspots steigt aber eher dunkles Magma auf, das viel weniger gefährlich ist“, sagt der Forscher. Bei den hellen Fragmenten handelt es sich seiner Meinung nach um uralte Sedimentgesteine, die das Magma auf dem Weg nach oben mitgerissen hat. „Sie deuten nicht auf eine gefährliche und explosive Eruption hin“, beruhigt er.

In den letzten Wochen verlagerten sich die Erdbeben von dem Vulkan südlich der Küste von El Hierro wieder nach Norden. Das nährt Befürchtungen, auch nördlich der Insel könnte ein Unterwasservulkan ausbrechen.

Hansteen kann das zwar nicht ausschließen, vermutet aber einen anderen Vorgang: „Dort im Norden fehlt das Magma, das seit Mitte Oktober südlich von El Hierro in pulsierenden Schüben austritt.“ In die teilweise entleerte Magmakammer weiter im Norden könnten dann Teile des darüber liegenden Gesteins stürzen und so die beobachteten Erdbeben auslösen, vermutet er. Ob der Kieler Forscher recht hat, werden die nächsten Wochen zeigen.

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