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© p-a/dpa

Spieltheorie: Hellsehen mit Mathematik

Baut Iran die Bombe? Die Spieltheorie sucht nach Antworten - mit beachtlicher Trefferquote.

Bruce Bueno de Mesquita kann die Zukunft vorhersagen. Ziemlich genau sogar. Er ist kein Kartenleger oder Handleser, sondern Politikwissenschaftler an der New York University. Alles, was er für seine Prognosen benötigt, ist ein bisschen Mathematik.

Seine Präzision ist beeindruckend. Da ist etwa diese Episode in den 80er Jahren. Geistiger Führer des Iran war Chomeini. Bereits fünf Jahre vor dessen Tod sagte Bueno de Mesquita voraus, dass Ali Chamenei sein Nachfolger werden würde. So kam es. 2008 hat Bueno de Mesquita prophezeit, wann der pakistanische Präsident Pervez Musharraf zurücktritt. Er lag auf den Monat genau richtig.

Dabei ist Bueno de Mesquita kein Experte für Außenpolitik. Seine Prognosen beruhen auf Zahlenspielen, genauer, auf der Spieltheorie. Das ist angewandte Mathematik, die sich damit beschäftigt, was passiert, wenn Menschen versuchen, eigene Interessen in Konkurrenz zu anderen durchzusetzen.

Mit der Spieltheorie lassen sich auch alltägliche Phänomene beschreiben. Etwa, warum Banken in Innenstädten oft direkt nebeneinander liegen. Dafür muss man davon ausgehen, dass bei der Wahl der Bank vor allem die Entfernung entscheidend ist. Nehmen wir also eine Einkaufsstraße und zwei Banken. Würden sie ihre Filialen an den Enden der Straße eröffnen, würden sie sich die Neukunden auf der Einkaufsstraße gleichmäßig aufteilen. Rückt aber nur eine Bank in die Mitte, hat sie einen Vorteil: Sie teilt sich zwar weiterhin alle Kunden, die sich zwischen ihr und der anderen Bank aufhalten, bekommt aber zusätzlich alle Kunden, die zwischen ihr und ihrem Ende der Straße herumlaufen. Also ziehen die Banken aufeinander zu und treffen sich auf unserer idealtypischen Straße in der Mitte – und bleiben da, denn wenn eine Bank von dort wegzieht, bekommt sie sofort weniger Kunden. Mit diesem Prinzip lässt sich auch erklären, warum Parteien immer weniger unterscheidbar werden und alle um die „Mitte“ buhlen.

Bueno de Mesquita sagt, er könne Entscheidungen der Politik mit der Spieltheorie prognostizieren. Etwa, ob Iran eine Atombombe bauen wird. Er ist sich ziemlich sicher: Iran wird nicht. Man werde lediglich genug waffenfähiges Plutonium produzieren, um an Bomben zu forschen. Aber nicht genug, um sie zu bauen.

Für seine Prognose muss Bueno de Mesquita wissen, wer an der Entscheidung beteiligt ist; welchen Einfluss die jeweilige Person in der Entscheidungsfindung hat; welches Interesse sie äußert; und wie hoch ihre Motivation ist, ihr Interesse durchzusetzen. Außerdem muss bekannt sein, was für die Entscheidungsträger auf dem Spiel steht. Im Falle politischer Verhandlungen ist es das Resultat der Verhandlung, aber auch, in welchem Maße die Beteiligten selber dazu beigetragen haben, und wie dies von außen wahrgenommen wird. Das kann man bei Parteien beobachten, die nach einer Gesetzesentscheidung unisono behaupten, das Gesetz beruhe auf ihren Vorschlägen.

Um die nötigen Daten zu erhalten interviewt Bueno de Mesquita Experten, liest Zeitungsartikel und spricht mit den Beteiligten. Dann teilt er ihnen für alle Faktoren Werte zu. Für Interesse liegen sie zum Beispiel zwischen 0 und 200, wobei 100 für zivile Nutzung der Nuklearenergie steht und 150 für den Bau einer Atombombe. Mahmud Ahmadinedschad hat in Bueno de Mesquitas Modell einen Wert von 180 (Bombe bauen und testen), seine Motivation liegt, auf einer Skala von 0 bis 100, bei 90 und sein Einfluss bei 5. Neben Ahmadinedschad hat Bueno de Mesquita noch 86 weitere Spieler ausgemacht. Würde man ihre Interessen nur entsprechend ihrem Einfluss gegeneinander aufwiegen, käme man schon zu einem relativ exakten Ergebnis. Der Forscher hat aber eine Software entwickelt, die alle oben aufgeführten Faktoren berücksichtigt. Für einen Menschen wäre es unmöglich, da den Überblick zu behalten. Der Computer gibt für Irans Atompläne den Wert 115 an. Konkret: Waffenfähiges Plutonium ja, Atombombe nein.

Bueno de Mesquita macht auch Prognosen für den US-Geheimdienst CIA. Der hat bescheinigt, dass Bueno de Mesquita bei 90 Prozent richtig lag, wenn die CIA-Experten falsch prognostiziert hatten. Außerdem war er bei den Vorhersagen, die auch die Experten richtig hatten, präziser. Allerdings sind viele Prognosen geheim und damit nicht nachprüfbar.

Kritiker bezweifeln, ob man menschliches Handeln überhaupt mathematisch berechnen kann. Schließlich ist eine wichtige Grundannahme der Spieltheorie, dass politische Akteure rational handeln, zumindest fragwürdig.

Thomas König, Politikwissenschaftler an der Uni Mannheim, hat Ende der 90er Jahre bei Bueno de Mesquita an der Universität Stanford geforscht. Er hält die Einwände für unbegründet. Den Grund für unsichere Prognosen auf Basis der Spieltheorie sieht er darin, dass die beteiligten Akteure nicht genügend über die Handlungen und Absichten der anderen informiert sind. Würde man annehmen, dass Politiker irrational handeln, könnte man überhaupt keine Prognosen treffen. Dennoch ist der Einfluss der Spieltheoretiker in Deutschland auf die Politik eher gering. König schätzt, dass sie bei den meisten Politikwissenschaftlern noch nicht angekommen ist. Daniel Etter

Daniel Etter

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