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Wissen: Himmlische Lektionen

Mit ihrer Orgel besitzt die HU ein Kleinod, auf dem schon ungezählte Studierende gespielt haben

An das Kribbeln in den Fingern kann sich Constantin Alex noch gut erinnern. Als kleiner Junge saß der Universitätsmusikdirektor der HU auf der Empore der Rendsburger Marienkirche, die Hände auf der Balustrade. Ein Beben erfüllte die Luft. „Dass da ein einzelner Mensch an dem Ding sitzt und eine ganze Kirche zum Vibrieren bringt, das hat mich ungeheuer fasziniert“, erinnert er sich. Mit zwölf Jahren fasste er sich ein Herz. Er bat den Mann, der ihm dieses Initialerlebnis verschafft hatte, ihm Unterricht zu geben. Während seine Freunde nach der Schule draußen spielten, saß Constantin Alex im Gotteshaus und übte, wie man mit Händen und Füßen Musik macht. Selbst bei bitterster Kälte in der ungeheizten Kirche zog er im Winter die Register, um den vielen tausend Pfeifen Melodien zu entlocken. „Ich habe das geliebt“, bekennt er heute freimütig.

Als Constantin Alex 1993 nach Berlin kam, verschlug es ihm beim Rundgang durch die Universität die Sprache. Im Fritz-Reuter-Saal, benannt nach dem Musikpädagogikprofessor Fritz Reuter, zeigte ihm ein Mitarbeiter ein ungewöhnliches Kleinod: die Orgel der Universität. „Ich war völlig überrascht und in einer ganz besonderen Weise berührt“, so Alex.

Dass es die Orgel an der Humboldt-Universität überhaupt gibt, ist dem Ehrgeiz Fritz Reuters zu verdanken. Reuter kam 1955 aus Halle/Wittenberg an die Universität Unter den Linden. Er engagierte sich sehr dafür, dass die vom Krieg gezeichnete Universität beim Wiederaufbau des Gebäudes Bauhofstraße 9 nicht nur für einen neuen Konzertsaal sorgte, sondern auch den Bau einer Orgel bewilligte. Das Instrument kostete die für die damalige Zeit ungeheure Summe von rund 38 000 Mark. Ein kleines Wunder, wenn man bedenkt, dass es in jener Zeit an allen Ecken und Enden fehlte.

Der Bau der Orgel war voller Schwierigkeiten. Stapelweise Korrespondenz zwischen dem „sehr verehrten Herrn Professor“ Reuter und dem Potsdamer Orgelbaumeister Hans-Joachim Schuke zeugen von den zahlreichen technischen wie bürokratischen Hürden, die zwischen den ersten Gesprächen 1957 und der feierlichen Einweihung am 9. Dezember 1959 lagen. Immer wieder kam es zu Verzögerungen. So schaffte es unter anderem der „VEB Edelholz“ nicht, das Orgelgehäuse termingerecht fertigzustellen.

Auch konnte das Instrument nach seiner Lieferung monatelang nicht gestimmt werden. Im Saal fehlten noch das Gestühl, Vorhänge und Lampen. Schlechte Voraussetzungen, um eine Orgel auf die Raumakustik abzustimmen. Weil der Saal zudem ungeheizt war, wandte sich der Orgelbaumeister mehrfach besorgt an seinen Auftraggeber und bat eindringlich um Abhilfe. Beim Stimmen stellte sich dann heraus, dass der laute Motor des Orgelgebläses die Musik übertönte. Ein geräuschloser Westimport musste her. Für den neuen Motor und zwei Zungenstimmen flossen sogar Devisen aus dem Westmarkkontingent der Universität. Auch das ein Zeichen dafür, welch hohen Stellenwert die Anschaffung hatte.

In den folgenden Jahrzehnten probten ungezählte Studierende und Lehrende der Musikpädagogik und Musikwissenschaften an dem Instrument. Zu Semesterbeginn empfing das Institut seine neuen Studierenden mit Orgelklängen. Immer wieder fanden auch öffentliche Konzerte statt. Es wird angenommen, dass die Studienorgel nach dem Bau der Berliner Mauer für lange Zeit die einzige öffentlich zugängliche Orgel Ost-Berlins außerhalb einer Kirche war.

Ab den 70er Jahren zogen eine Reihe von Baumaßnahmen die Orgel nach und nach stark in Mitleidenschaft. Das musste auch der neue Universitätsmusikdirektor Constantin Alex feststellen, als er sich das erste Mal erwartungsfroh an die Manuale setzte: Ein paar klägliche Töne – mehr war nicht zu machen. Die Orgel mit ihren zwanzig Registern und 1320 Pfeifen war in einem desolaten Zustand. Der passionierte Kirchenmusiker Alex wollte das ändern – das wertvolle Instrument wurde Pfeife für Pfeife überholt. Seither steht die Orgel wieder in den Diensten der Musikwissenschaft.

Antonia Köhl ist eine von drei Schülerinnen, die bei dem Professor Orgelunterricht nehmen. Am liebsten spielt die Musikstudentin Werke von Bach. „Dieser gewaltige feierliche Klang ist wunderbar. Bei einigen Takten in manchen Toccaten und Fugen, da läuft es mir kalt den Rücken runter“, beschreibt sie ihr Gefühl beim Spielen. Von Alex’ Begeisterung für das Instrument profitiere sie sehr. „Er kann gut vermitteln, was er selbst an der Musik schätzt“, lobt die Studentin.

In den vergangenen zwei Jahren wurde das Reuter-Haus um den Fritz-Reuter-Saal herum komplett umgebaut. Wenn es nach Constantin Alex geht, dann wird die Königin der Instrumente bei der Neueröffnung des Gebäudes ihren nächsten großen Auftritt haben: „Ich empfinde es als großes Glück, dass es diese Orgel gibt. Als Universitätsmusikdirektor will ich die Musik so vielen Menschen wie möglich nahe bringen.“ Das tief sitzende Erlebnis, das er selbst als Dreijähriger hatte, das Kribbeln in den Händen, das wünscht er auch anderen.

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