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Macht der Melodie. Wie Musik uns beeinflusst.

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Hirnforschung: Die Macht der Musik

Wo die Musik spielt: Forscher studieren, was beim begeisterten Hören neuer Melodien im Gehirn geschieht. Nun ist ihnen ein neuer Coup gelungen.

„Kein Wort von der alten Zauberkraft der Musik ist mir unwahrscheinlich. Wie mich der einfache Gesang angreift!“ Dass Goethes überschwänglicher Heißsporn Werther sich so äußert, ist nicht weiter erstaunlich. Doch inzwischen hat sich auch die größerer Gefühlsaufwallungen unverdächtige Hirnforschung der Macht der Musik angenommen. Am Neurologischen Institut der McGill-Universität im kanadischen Montréal versuchen Valorie Salimpoor und ihr Kollege Robert Zatorre schon seit einigen Jahren, mit den Methoden der modernen Bildgebung herauszufinden, was beim Hören von Lieblingsstücken im Gehirn der Musikgenießer passiert. Nun ist ihnen ein neuer Coup gelungen, wie sie im Fachblatt „Science“ berichten.

Man kann sich ausmalen, dass die 19 Freiwilligen, die sich diesmal im Dienst der Wissenschaft in einen Hirnscanner (funktionellen Magnetresonanztomografen, fMRT) legten, das mit einigem Vergnügen taten. Ihnen wurden nämlich 30-Sekunden-Auszüge aus 60 Musikstücken vorgespielt, die ihren Geschmack ziemlich genau trafen, die sie aber noch nicht kannten. Die individuellen Vorlieben waren zuvor anhand eines speziellen Auswahlprogramms ermittelt worden. Die zehn männlichen und neun weiblichen Versuchspersonen sollten dann an ihren Rechnern entscheiden, welche der Musikstücke sie sich kaufen und wie viel Geld sie jeweils dafür ausgeben würden. Zu diesem Zweck hatten die Forscher ein iTunes-ähnliches Programm installiert.

Sie selbst interessierten sich natürlich weniger für die Musikstücke als für das, was sich bei deren Genuss im Gehirn der Hörer abspielte, ablesbar an der Durchblutung verschiedener Areale. Dabei erweckte schnell der Nucleus accumbens ihre Aufmerksamkeit, ein Gebiet im unteren Vorderhirn, das zum Belohnungszentrum des Gehirns gehört. Waren in diesem Bereich die Nervenverbindungen auffallend aktiv, dann zeigten sich die Versuchspersonen besonders geneigt, für das Musikstück, das sie gerade hörten, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. „Nerventätigkeit im Nucleus accumbens sagt akkurat voraus, wie viel Geld die Hörer bereit sind, für einen Musiktitel oder eine CD zu bezahlen“, schreiben die Autoren.

Auch andere Regionen des Gehirns arbeiteten beim Musikhören heftig, vom eigentlichen Hörzentrum über für Bewegung und Körperwahrnehmung zuständige Areale bis zum Emotionen verarbeitenden Mandelkern (Amygdala) und Regionen im vorderen Stirnhirn, die an der geistigen Bewertung von Neuem beteiligt sind. Das Maß der Aktivität in diesen Gebieten allein ließ allerdings keine Vorhersage darüber zu, ob die Testpersonen den Wunsch verspüren würden, die Musikstücke nochmals zu hören und deshalb käuflich zu erwerben. Je aktiver diese für den Hörgenuss wichtigen Regionen sich aber mit dem Nucleus accumbens vernetzten, desto wahrscheinlicher wurde das. Auf die besondere Rolle des Nucleus accumbens waren die kanadischen Forscher schon in einer früheren Studie gestoßen, für die sie Hirnscanner und Positronen-Emissions-Tomografie (Pet) kombinieren konnten.

Musik als ungefährliche Droge

Mit der Pet-Methode werden auch Stoffwechselvorgänge im Gehirn sichtbar. Salimpoor und Zatorre zeigten in ihrer Untersuchung, deren Ergebnisse 2011 in der Zeitschrift „Nature Neuroscience“ veröffentlicht wurden, dass beim Anhören von Lieblingsstücken in dieser Hirnregion besonders viel Dopamin ausgeschüttet wird. Ein Botenstoff, der mit Belohnung und auch mit der Entwicklung von Sucht zusammenhängt. Wobei die Musik insofern eine ungefährliche Droge ist, als sie keine suchterzeugende und gesundheitsschädliche Substanz wie Alkohol darstellt, sondern nichtstofflicher Natur ist. Die Versuchspersonen der damaligen Studie hatten im Hirnscanner nicht musikalisches Neuland betreten, sondern sich Stücke ausgesucht, die sie bereits kannten.

Von „Gänsehaut-Klassikern“ ist in der Studie die Rede. Dabei zeigte sich, dass kurz zuvor, in Erwartung der „schönen Stellen“, die Dopamin-Ausschüttung in einem anderen Teil des Belohnungssystems, dem Nucleus caudatus, besonders hoch war. Musikliebhaber wird das nicht wundern, verspricht doch das Auflegen der Lieblings-CD doppelte Belohnung, in der Vorwegnahme des Genusses und in der Zeitspanne, in der die geliebte Kombination von Tönen und Rhythmen tatsächlich zu hören ist. Um Gemeinsamkeit beim Musikhören geht es auch in einer weiteren Studie, erschienen im „European Journal of Neuroscience“.

Der Psychiater Vinod Menon und seine Arbeitsgruppe von der Universität Stanford legten 17 Versuchspersonen mit wenig Klassik-Erfahrung in den Hirnscanner. Dort hörten sie neun Minuten lang Musik des eher unbekannten englischen Barock-Komponisten William Boyce. Es sollte auf jeden Fall etwas sein, das den Teilnehmern neu war. Zum Vergleich wurde synthetisch erzeugte Pseudomusik eingespielt, der entweder jeder Rhythmus oder jede Melodie fehlte. Interessanterweise waren die Aktivitäten in verschiedenen Hirnregionen nur während der „echten“ Musik bei allen Hörern ähnlich. Die Forscher fanden solche Gemeinsamkeiten etwa in Strukturen in der rechten Hirnhälfte ihrer (durchweg rechtshändigen) Versuchspersonen, die denen der Sprachzentren in der linken Hirnhälfte gleichen.

Was ihnen besonders ins Auge sprang, waren zudem die sehr ähnlichen Erregungsmuster in Bereichen des Gehirns, in denen Bewegung vorbereitet wird. Klatschen, Wippen, Tanzen, Singen. „Die gleiche Aktivierung des Gehirns macht es wahrscheinlicher, dass unsere Bewegungen sozial koordiniert werden“, schreiben die Autoren. Musik verbindet. Auch diesen Aspekt hat Goethe, seit dem „Werther“ älter und gesetzter geworden, auf den Punkt gebracht, als er seiner Frau Christiane im Jahr 1815 wegen einer geplanten Abendgesellschaft schrieb: „Etwas Musik wäre sehr wünschenswert, es ist das unschuldigste und angenehmste Bindungsmittel der Gesellschaft.“

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