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Anstellig. Nur Handwerker und Dienstleister in den USA sind mit den Bachelorabsolventen zufrieden, ergab eine Studie. Im Bild eine Job- und Praktika-Börse an der City University von New York.

© AFP

Hochschulen in den USA: Von den amerikanischen Lektionen lernen

Vom „großen Bruder“ hat Deutschland die Bologna-Reform kopiert – mit Fehlern. Künftig sollten Hochschulen genau hingucken, schreibt Dieter Lenzen, der Präsident der Uni Hamburg.

„Studentenkörper zu verkaufen“: Mit dieser Überschrift machte der amerikanische „Chronicle of Higher Education“ Anfang des Jahres auf. Geschildert wurden Praktiken des Körperverkaufs von Studierenden zur Finanzierung ihres Unterhalts und vor allem der Studiengebühren. Der Verkauf reicht vom Stripper-Studi in „Ladies-Nights“ (bis 1000 Dollar) über den Verkauf von Blut (50 bis 75 Dollar), weibliche Eizellen (5000 bis 10 000 Dollar), Sperma (60 bis 150 Dollar) bis hin zu menschlichen Nieren, deren Preis Verhandlungssache ist.

Zwei Monate nach dem Beginn seiner zweiten Amtszeit hat Präsident Barack Obama mit seinem „Plan für eine starke Mittelschicht und ein starkes Amerika“ nun einigen der Hauptprobleme des amerikanischen Bildungs- und Hochschulsystems den Kampf angesagt: durch die Gründung eines „Corps“ der zehntausend besten High-School-Lehrer, durch engste Verbindungen der High-Schools zu Colleges und Unternehmen und durch Arbeiter-Weiterbildung auf College-Niveau. Die Liste der Initiativen geht weiter; helfen soll auch der Ersatz des derzeitigen Akkreditierungssystems durch ein System, das den substanziellen Wert, die Bedürftigkeit und studentische Interessen in den Mittelpunkt stellt. Dies sei Voraussetzung für staatliche Hochschulfinanzierung. Eingeführt werden sollen auch eine interaktive „College Score-Card“ mit allen für Elternentscheidungen wesentlichen Informationen über Colleges und Universitäten sowie Sonderleistungen für Immigranten und Kriegsveteranen.

Obama greift damit Missstände an, die für die Selektivität des tertiären Sektors in den USA verantwortlich sind: So wissen Studierende, insbesondere aus bildungsfernen Familien, wenig über Erfolgsquoten der Hochschulen, über Beschäftigungschancen und über das spätere Einkommen der Absolventen.

Interessanterweise hat eine Forschergruppe der University of Michigan (Ann Arbor) herausgefunden, dass gerade Besucher von sozial weniger selektiven Hochschulen weniger Wert auf Bildungsqualität legen als auf die Bequemlichkeit des Campus und sein Freizeitangebot. Ausgerechnet Studierende aus bildungsfernen Schichten ignorieren also, worauf es eigentlich ankommt, und fallen auf die bunte Werbung der Hochschulen und deren Zerstreuungsangebote herein.

Allerdings tragen die Bemühungen des US-Präsidenten durchaus erste Früchte. So haben sich die 25 Jesuiten-Hochschulen an die Spitze der Bewegung derjenigen gestellt, die sich um das Studium der Immigranten kümmern wollen, mit speziellen Stipendien und extra ausgebildeten Professoren. Dies ist jedoch nicht unumstritten. So wird der oberste Gerichtshof demnächst den Fall einer weißen Klägerin zu entscheiden haben, der trotz ihrer besseren Noten der Zugang zur University of Texas in Austin verweigert wurde. Den Vorzug bekamen Bewerber einer ethnischen Minorität – mit dem Argument, dass eine Hochschule zur Vermeidung von alltäglichen Benachteiligungen eine „kritische Masse“ von Minoritäten-Angehörigen zulassen müsse.

Urteil über BA-Absolventen: "Sie können nicht denken"

Zu dem Programm, Selektivität zu vermeiden, gehört auch die Initiative des texanischen Gouverneurs, die Kosten für einen College-Bachelor, der nach deutschen Maßstäben zwischen einem Abitur und dem Grundstudium anzusiedeln ist, auf 10 000 Dollar zu drücken, ohne Lebenshaltungskosten, versteht sich.

In Deutschland müssen allgemeine Elemente allgemeiner Bildung in das berufsorientierte Bologna-Studium erst noch aufgenommen werden, was manchen Hochschulpolitikern allerdings langsam dämmert. In den USA dagegen führen sogar die Armee-Hochschulen solche Elemente der „Liberal Arts“ in ihre Militärcurricula ein. Vieles im deutschen Bolognaprozess ist einer verunglückten Nachahmung des amerikanischen Vorbildes geschuldet. Jetzt scheint es fast so, als bedürften die Deutschen für die Kritik und Überwindung dieser Fehler wiederum eines amerikanischen Vorbildes. Das ist letztlich auch kein Wunder, wenn man den amerikanischen Entwicklungen mit Dekaden Abstand hinterherzuckelt. Gegenwärtig jedenfalls kann man vom (reichen? großen? mächtigen?) Bruder wieder lernen.

Ein Beispiel sind die Bachelorstudiengänge. Eine neue Untersuchung über die Zufriedenheit der Arbeitgeber in den USA mit Bachelorabsolventen ergibt einen erheblichen Verbesserungsbedarf. Nur das Handwerk und der Dienstleistungssektor bewerten BA-Absolventen überdurchschnittlich gut. Das harte Urteil eines Unternehmensberaters: „Sie können nicht denken.“

Ein weiteres Beispiel sind die MOOCs – Massive Open Online Courses: Der weltweit freie, in Deutschland hochgelobte Zugang zu den Top-Vorlesungen von Top-Professoren, wird von Harvard und dem MIT inszeniert. Doch während Deutschland noch staunt, haben diese Hochschulen soeben Pläne vorgelegt, wie sie die Internethörer zahlen lassen wollen. Aus die Maus.

Ein anderes Thema ist die Forschungsförderung. Hier hat eine amerikanische Forschergruppe der Virginia-TEC soeben herausgefunden, dass nennenswerte Zahlen von Fällen existieren, in denen Wissenschaftler mehrfache Förderungen aus verschiedenen Quellen für dieselben Projekte empfangen. Ebenso wie in Deutschland gibt es in den USA keine Koordinierungsstelle.

Und schließlich: Auch in den USA wird über die Promotion diskutiert. Es geht darum, ob der Erwerb eines Ph.D., des amerikanischen Doktortitels, außer für eine wissenschaftliche Karriere noch irgendeinen Sinn macht. Besonders, wenn der Ph.D. an einer schlecht „gerankten“ Hochschule erworben wurde. Gut möglich, dass der Titel fällt.

Aber bitte, nicht auch das noch nachmachen! Wenn schon eine erneute Mimesis, dann eine Kopie des „Center for Open Science“, das, ausgestattet mit ein paar Gründungsmillionen aus einer Stiftung, sich zum Ziel gesetzt hat, empirische und experimentelle Forschungsergebnisse durch Versuchs- und Erhebungswiederholung auf ihre Wahrhaftigkeit zu prüfen. Auf diese Weise sollen auch in den USA künftig nicht nur geisteswissenschaftliche Dissertationen auf dem Prüfstand stehen, deren Evaluation vergleichsweise simpel ist und immer dieselben Fächer trifft.

Dann wird man vielleicht künftig nicht mehr unverhohlen schadenfrohe Artikel über deutsche Plagiatsfälle im „Chronicle“ lesen müssen, die – schlecht recherchiert – folgende pauschale Einsicht generieren: Studien würden zeigen, dass das Plagiieren und andere Formen akademischen Fehlverhaltens an deutschen Universitäten weit verbreitet seien.

Der Autor ist Präsident der Universität Hamburg. Zuvor leitete er die Freie Universität Berlin.

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