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Alte Pracht. 27 Unis ernannte die Regierung zu „Nationalen Forschungsuniversitäten“, die international konkurrenzfähig werden sollten. Doch wie auch an der Lomonossow–Uni Moskau werden zusätzliche Mittel nicht immer sinnvoll eingesetzt.

© picture-alliance/dpa/gms

Hochschulreformen in Russland: Putins neue Unis

Russland reformiert seine Hochschulen und die Akademie der Wissenschaften - teilweise mit zweifelhaften Maßnahmen. Kritiker fürchten mehr Kontrolle durch den Staat.

Eine lange überfällige Reform der überalterten Akademie der Wissenschaften? Oder die Erweiterung von Putins „Machtvertikale“ auf die russische Wissenschaft? In diesem Sommer schlugen die Wellen in der russischen Wissenschaft hoch wie nie: Der 2012 ins Amt gekommene Bildungsminister Dmitrij Liwanow peitschte ein Gesetz durch die Staatsduma, das die Auflösung der Russischen Akademie der Wissenschaften vorsah. Das ist jene altehrwürdige Institution, die sich seit ihrer Einrichtung 1724 durch Peter den Großen ihrer Unabhängigkeit rühmte, und die mit ihren 55 000 Mitarbeitern und 500 Instituten das Zentrum der russischen Forschung darstellt.

In den vergangenen Jahren hatten sich viele Wissenschaftler völlig aus der Politik herausgehalten. Nun trieb es die Akademiemitglieder auf die Straße. Über mehrere Wochen demonstrierten sie im ganzen Land gegen das Gesetz, was den bekannten und politisch aktiven Biologen Michail Gelfand zu dem Urteil brachte: „Dem Bildungsministerium ist gelungen, was sonst niemand geschafft hat: Es hat die Wissenschaftler geeint.“ Immerhin erreichten die Proteste, dass die Akademie der Wissenschaften ebenso wie die Akademien für Landwirtschaft und für Medizin formal doch erhalten bleiben. Sie werden aber unter einer neuen Dachorganisation zusammengeführt. Sein wichtigstes Ziel hat Liwanow durchgesetzt: Die Regierung kontrolliert das Eigentum der Akademie und überwacht, wie das Budget innerhalb der Einrichtung verteilt wird.

Wie auch immer man die Motive einschätzen mag, die hinter der Entmachtung der Akademie stehen: Selbst Kritiker Liwanows geben zu, dass die Akademie durchaus Probleme hat, die symptomatisch für die gesamte Wissenschaft in Russland sind. So liegt das Durchschnittsalter der Akademiemitglieder bei 74 Jahren. Präsident Juri Osipow trat nach 22 Jahren erst in diesem Mai von seinem Posten ab – mit 77 Jahren. Die Überalterung ist auch eine Folge des Braindrains in den 90er Jahren und betrifft die Hochschulen ebenso. Viele Wissenschaftler verließen ihre Institute in Richtung Ausland oder Wirtschaft – oder sie wurden selbst „Businessmeny“ und gründeten eigene Unternehmen. „An den meisten Instituten fehlt der Mittelbau, wie wir ihn von Deutschland kennen, fast völlig“, sagt Jürgen Oberst, Leiter der Abteilung Planetengeodäsie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der seit Anfang der 90er Jahre mit russischen Instituten zusammenarbeitet. „Ältere Professoren leiten noch lange nach der Verrentung ihre Lehrstühle, weil sie sich für unersetzlich halten. Sie verfügen zwar über einen wertvollen Erfahrungsschatz, erschweren aber die Modernisierung der Institute.“ Das reicht von den Inhalten der Forschung bis zur technischen Erneuerung.

Kleinere Regionalunis mussten fusionieren

Parallel zum Umbau der Akademie restrukturiert Russland seine Hochschulen – mit dem Anspruch, sie international wieder wettbewerbsfähig zu machen. Kleinere regionale Universitäten mussten sich auf Anordnung des Bildungsministeriums zu neun großen „föderalen Universitäten“ zusammenschließen. In den russischen Regionen sollen so „Big Player“ entstehen, die mit den beiden großen Universitäten in Moskau und St. Petersburg mithalten können. Wirklich revolutionär ist der Bruch mit einer Tradition, die 300 Jahre währte und die Sowjetunion überstanden hatte. Bislang war der Akademie die Forschung überlassen, den Unis die Lehre. Doch seit 2008 tragen 27 Hochschulen den Titel „Nationale Forschungsuniversitäten“ und bekommen zusätzliche staatliche Mittel zur Forschung. Der Staat hat neue Programme für die Naturwissenschaften und die Informatik aufgelegt, in denen Russland traditionell stark ist, und die zur Modernisierung der Wirtschaft beitragen sollen.

Der Universität für Geisteswissenschaften wurden die Mittel gestrichen

Kritiker werten die Uni-Reformen allerdings wie die Vorgänge rund um die Akademie als Versuch der Regierung, Kontrolle über die Wissenschaft zu erlangen. „Kollegen in Russland kritisieren, dass die Führung von Hochschulen inzwischen scheinbar weniger nach akademischer Qualität ausgewählt wird, sondern nach Parteilinie. Im Grunde läuft es wie zu Zeiten der Sowjetunion“, sagt der Osteuropawissenschaftler Eduard Klein, der an der Uni Bremen über das russische Hochschulwesen forscht. Klein sieht durchaus einen dringenden Reformbedarf in der Wissenschaft. Er kritisiert jedoch den Ansatz der Regierung. Der Zusammenlegung und Schließung von Hochschulen ging ein „problematischer Selektionsprozess“ voran, sagt Klein. Einige Unis, die als „ineffektiv“ identifiziert wurden, seien „eher aufgrund ihres kritischen Geistes“ degradiert worden. Ein Beispiel sei die für ihre Unabhängigkeit bekannte Russische Universität für die Geisteswissenschaften in Moskau, der Mittel gestrichen wurden und die künftig an eine andere Hochschule angeschlossen werden soll.

Teure Supercomputer, aber kein Geld für Mitarbeiter

Bisher wirken die Maßnahmen ohnehin nur langsam – auch weil die Mittel nicht immer sinnvoll eingesetzt werden, wie Viktor Zadkov, stellvertretender Direktor des „International Laser Center“ der Moskauer Lomonossow-Universität, sagt. „Manche Unis, die ähnliche Fördermittel bekommen wie wir, haben es sich einfach gemacht und sehr teure Supercomputer gekauft.“ Investitionen in die technische Grundausstattung hätten mancherorts mehr Sinn gemacht. Andrej Sosorjew, Doktorand am Laser Center, begrüßt die bessere materielle Ausstattung zwar, kritisiert aber, dass sie nur „auf dem höchsten Niveau“ zu spüren ist. „Vor kurzem hat unser Institut ein spezielles Mikroskop angeschafft, das es sonst kaum in Russland gibt. Gleichzeitig mangelt es an alltäglichen Dingen wie Computern.“

Während große Summen in Supercomputer investiert werden, treiben junge Wissenschaftler existenzielle Sorgen um. Stipendien sind in den letzten Jahren gewachsen, reichen aber nicht zum Leben. Sosorjew bekommt 150 Euro pro Monat. Er verbringt deshalb die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Physikunterricht an Moskauer Schulen, um sein Stipendium aufzubessern. Die Gehälter von Professoren passte das Bildungsministerium erst in diesem Jahr in den meisten Regionen an die Durchschnittsgehälter an. Laut Ministerium stieg das Gehalt von Professoren im zweiten Quartal 2013 auf 44 200 Rubel (etwa 1000 Euro). Im ersten Quartal hatte es bei 30 700 Rubel gelegen, also 700 Euro.

Korrektur bei den "Megagrants" für Spitzenwissenschaftler

Mit anderen Beträgen wird im Programm „Megagrants“ gerechnet. Das erregte viel Aufsehen, als es 2010 gestartet wurde. Mit 150 Millionen Rubel (3,5 Millionen Euro) sollten ausländische Forscher nach Russland gelockt werden, die ein Labor und eine Forschungsgruppe aufbauen. Jürgen Oberst, der die Förderung gewinnen konnte, hielt die Idee zunächst für bestechend. Heute fällt sein Fazit durchwachsen aus, und das nicht nur, weil sein „Megagrant“ nicht verlängert wurde. Mit zwei Jahren sei die Förderung zu kurz gewesen. Die Nachhaltigkeit sei nicht gewährleistet: „Viele der Wissenschaftler sind wieder abgesprungen, weil die Universität sich ihre Gehälter nicht leisten konnte.“ Inzwischen ist das Programm verlängert worden, nun mit einer Förderung von drei Jahren, um die Erträge nachhaltiger werden zu lassen.

Beim Aufbau eines Wissenschaftszentrums Milliarden veruntreut?

Ein Problem können auch die neuen Prestigevorhaben der Ära Putin nicht lösen. Seit Jahrzehnten leiden die Unis unter schwerwiegenden Korruptionsfällen. Erst unlängst wurde ein neuer Fall im Zusammenhang mit dem Bau des Wissenschaftszentrums Skolkovo vor den Toren Moskaus bekannt. Skolkovo soll ein Vorzeigecampus werden, zahlreiche internationale Unis und Firmen sind beteiligt. Nun teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft mit, beim Aufbau von Skolkovo könnten bis zu vier Milliarden US-Dollar veruntreut worden sein. So könnte es auch anderen Vorzeigeprojekte ergehen, befürchtet der Osteuropawissenschaftler Eduard Klein: „Viel Geld wird versickern, aber Forschung und Lehre werden vermutlich kaum verbessert werden.“ Dazu sei das gesamte System noch viel zu verkrustet. (Mitarbeit: Tilmann Warnecke)

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