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Bewährt. Die Bauern bauen ihre Häuser auf Anhöhen am Ufer.

© Roland Knauer

Hochwasserschutz: Die Flut bringt Leben

Die Save ist der einzige Fluss im Tiefland Mitteleuropas, der noch heute seinem natürlichen Lauf folgt. In Kroatien lässt sich beobachten, wie Hochwasserschutz funktionieren kann.

Im Dorf Cigoc am Hochufer der Save in Kroatien scheint die Zeit im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Ein paar Meter hoch hat der Fluss hier eine Böschung aufgeschwemmt, darauf thronen die Holzhäuser der Bauern. Ein alter Mann treibt seine drei Kühe auf der einzigen Straße durch den Ort. Links fällt der Hang fast unmerklich zu kleinen Gärten, Äckern und Weiden ab. Rechts geht es deutlich steiler zum Fluss hinunter.

Diese Idylle kann sich innerhalb weniger Tage ändern. Dann strömen die braunen Fluten der Save rechts fast auf der Höhe der Straße, während links eine Seenlandschaft Weiden und Äcker verschlungen hat. Solche Überschwemmungen schützen die Regionen bis zur Mündung des Flusses in die Donau in der serbischen Hauptstadt Belgrad vor Hochwasser – ihnen bleibt das Wasser erspart.

„Hier können Wasserbau-Ingenieure beobachten, wie Hochwasserschutz in der Natur funktioniert“, sagt Martin Schneider-Jacoby von der Naturschutzorganisation Euronatur in Radolfzell. Der Ornithologe kennt die Save. Seit 1986 untersucht er das Ökosystem im Naturpark Lonjsko Polje und hat gelernt, wie sich ein Fluss verändert, wenn Menschen ihm nicht mit Dämmen und Deichen ihren Willen aufzwingen.

Die Save ist der einzige Fluss im Tiefland Mitteleuropas, der heute noch seinem natürlichen Lauf folgt. Das hat politische Ursachen. Als die Osmanen im 16. Jahrhundert nach Mitteleuropa vordrangen, kam ihr Angriff am Ufer der Save zum Stehen. Danach war der Fluss ein Teil der militärischen Grenze zwischen Europa und dem Orient. Anders als am Limes zwischen dem Römischen Reich und den Germanen gab es hier kein technisches Bollwerk, den Habsburgern fehlte das Geld für einen entsprechenden Ausbau. Der Fluss selbst und seine sumpfigen Überschwemmungsflächen bildeten ein natürliches Hindernis. Den Rest erledigten eigens hier angesiedelte Wehrbauern. Noch heute trennt die Save das christliche Kroatien vom islamischen Bosnien und bildet so die Grenze zwischen Mitteleuropa und dem Balkan. Selbst im Krieg 1991 verlief die Front zwischen Serbien und Kroatien nur wenige Kilometer von Cigoc entfernt.

An dieser ewigen Grenze wurden, anders als im Rest Mitteleuropas, kaum Deiche gebaut. Bereits vor Jahrhunderten mussten daher die Wehrbauern auf der kroatischen Seite lernen, mit dem Fluss zu leben. Einfach ist das nicht, denn die Save und ihre Nebenflüsse beziehen ihr Wasser aus drei unterschiedlichen Regionen: Die Quellen der Save liegen in den Julischen Alpen im Dreiländereck zwischen Slowenien, Österreich und Italien; die Nebenflüsse kommen aus dem Dinarischen Gebirge entlang der Adriaküste und der Pannonischen Tiefebene in Richtung Ungarn.

Je nach Jahreszeit kann es in allen drei Regionen sintflutartige Regenfälle geben. Dann schwillt der Fluss zügig an: Zehn Meter zwischen niedrigem Wasserstand und Hochwasser sind keine Seltenheit. Allein im Naturpark Lonjsko Polje überschwemmt die Save Flächen, die mit 1100 Quadratkilometern fast halb so groß wie das Saarland sind. Zwei Milliarden Kubikmeter Wasser kann der Fluss dort zwischenlagern. Weil diese Menge flussabwärts fehlt, fallen die Fluten bis zur Save-Mündung weniger stark aus.

Die Bauern an den Ufern haben sich mit dem Hochwasserschutz arrangiert: Sie bauen ihre Häuser auf den kleinen Hügeln, die der Fluss selbst aus andernorts mitgerissenem Material geschaffen hat. „Dammufer“ nennen Geoforscher diese Erhebungen, die auch extreme Hochwasser nicht überfluten. Gleich hinter den Häusern legen die Bauern ihre Gemüsegärten und Maisäcker ganz oben auf dem flach abfallenden Hang an. Dorthin kommt das Hochwasser meist nur ein oder zwei Wochen im Jahr und düngt dabei zusätzlich das Feld. Die Viehweiden weiter unten stehen zwar in regenreichen Jahren oft einige Monate unter Wasser. Doch fließt das Hochwasser wieder ab, wächst das Gras auf den Weiden besonders gut, weil der Fluss dort mit dem abgelagerten Schlamm ebenfalls viele Nährstoffe hinterlassen hat.

Die Natur profitiert vom ständigen Wechsel zwischen Überschwemmungen und Dürreperioden, sowie von der schonenden Landwirtschaft der Bauern. Im Vergleich zu anderen Flussregionen Europas leben am Oberlauf der Save weniger Menschen. Dafür kann man hier viele Arten finden, die andernorts in Europa verschwunden sind. Dazu gehören der Löffler und der Seidenreiher.

Die Hochwasser düngen nicht nur Äcker und Weiden, sie schwemmen auch Material vom Dammufer weg und lagern es flussabwärts wieder an. So wandern die Hügel weiter und der Fluss rückt an manchen Stellen ein bis zwei Meter pro Jahr näher an die Häuser. „Drohten die Häuser über die Abbruchkante zur Save hinunterzustürzen, schoben die Bauern dicke Balken unter“, beschreibt der Leiter des Naturparks Lonjsko Polje, Goran Gugic eine althergebrachte Gegenmaßnahme. Ochsengespanne zogen dann das auf diesen Balken stehende Holzhaus einige Meter vom Fluss weg, wo es die nächsten Jahrzehnte vor dem seitlich wandernden Fluss in Sicherheit war.

Moderne Häuser lassen sich nicht mehr so leicht verschieben. Um sie zu schützen, werden vom Ufer aus niedrige Steindämme schräg in den Fluss hinein gebaut. Sind diese Dämme flussaufwärts gerichtet, bremsen sie die Strömung. Darin enthaltener Schlamm lagert sich dann am Grund des ruhigen Wassers ab. Mit der Zeit verlandet diese Seite des Gewässers, die Buhne drängt den Fluss praktisch vom Dorf weg – und die Menschen können aufatmen.

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