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Für homosexuelle Jugendliche ist es oft schwierig, sich an ihrer Schule zu outen.

© Reuters

Homosexualität und Schule: Wie Lehrer mit sexueller Vielfalt umgehen können

Im Klassenzimmer wird so gut wie nie über Homo- und Transsexualität gesprochen, obwohl Schüler solidarischer sind, je mehr sie darüber wissen. Wie können Lehrer und Sozialpädagogen für mehr Akzeptanz sorgen?

Vor dem Thema sexuelle Vielfalt in der Schule schrecken viele Lehrer zurück. „Es gibt kaum Materialien, die Homosexualität behandeln“, sagen die einen. „Wir haben kein Problem, bei uns darf jeder so sein, wie er will“, behaupten die anderen. Conny Kempe-Schälicke kennt diese Ausreden gut. Sie ist beim Berliner Senat zuständig für die Initiative „Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ (ISV), die das Abgeordnetenhaus zur Bekämpfung von Homophobie im April 2009 beschlossen hat. Ein Schwerpunkt ist die Aufklärung in der Schule. Im Klassenzimmer wird so gut wie nie über über Homosexualität und Transsexualität gesprochen, obwohl Schüler nachweislich solidarischer sind, je mehr sie über Schwule, Lesben und Transsexuelle wissen.

Ohne Aufklärung wird Schule jedoch zu einem „konstanten Unfallort“, sagt Kempe-Schälicke. Vor allem jüngere Schüler (62 Prozent der Sechstklässler, 54 Prozent der Neuntklässler) verwenden „schwul“ und „lesbisch“ als Schimpfworte, hat eine Studie der Humboldt-Universität aus den Jahren 2011 und 2012 zur Homophobie an Berliner Schulen ergeben. Jungen, die Schwäche zeigen, werden als „Mädchen“ bezeichnet, und zwar nicht nur von Schülern, sondern auch von einem Drittel der Lehrer. Nur jeder Zwanzigste von ihnen interveniert hingegen, wenn homophobe Bemerkungen fallen. Schüler, die schwul oder lesbisch sind – viele Jugendliche wissen etwa mit zwölf Jahren, zu welchem Geschlecht sie sich hingezogen fühlen –, leiden darunter sehr. Häufig lassen ihre Leistungen nach, viele haben schon einmal versucht, sich umzubringen. Transidente Kinder, also etwa ein Mädchen, das lieber als Junge leben möchte, müssen meist die Schule wechseln, um akzeptiert zu werden.

Eine Schülersprecherin habe neulich gefordert, dass „der homophobe Wahnsinn an deutschen Schulen aufhört“, berichtete Kempe-Schälicke auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die unlängst zum Thema sexuelle Vielfalt in der Schule stattfand. Lehrer, Sozialpädagoginnen und Wissenschaftler diskutierten, wie man für mehr Akzeptanz sorgt. Lehrer stehen häufig vor einem Dilemma: Eine junge Lehrerin erzählt, wie sich eine Schülerin im Unterricht als lesbisch outete. Die Klasse habe geschwiegen, „aber keine Reaktion ist ja auch eine Reaktion“, sagt die Lehrerin. Sie habe nach der Stunde mit der Schülerin gesprochen, den Vorfall aber im Unterricht nicht mehr erwähnt. „Für mich ist ihre Sexualität Teil der Vielfalt“, sagt sie. „Ich wollte die Schülerin nicht als etwas Besonderes herausstellen.“

Ist es besser, offen über Homosexualität zu sprechen, oder macht man schwul-lesbische Erfahrungen damit zu einem Sonderthema? Der Soziologe Olaf Stuve von „Dissens“, einem Verein, der Ausbildende zum Thema Geschlechtervielfalt berät, empfiehlt, Homosexualität erst einmal zu „dramatisieren“. Wenn die wichtigsten Fragen geklärt sind, sollte man das Thema wieder „entdramatisieren“.

Auch Intervention kann man lernen. Kempe-Schälicke rät, eine Kontaktperson an jeder Schule zu benennen, an die sich Lehrer und Eltern mit Fragen wenden können. Obwohl es viele Angebote zum Thema sexuelle Vielfalt gibt, fühlt sich nämlich selten jemand zuständig. „Ich bin immer der Einzige, der sich für solche Fortbildungen anmeldet“, erzählt ein schwuler Lehrer aus Sachsen.

Immer wieder fällt das Stichwort „Querschnittsthema“. Manche Kollegen verstünden sich nur als Experten in ihrem Fach, sagt ein Lehrer, der sich selbst ein „politisches Berufsverständnis“ attestiert. Martin Lücke, Professor für die Didaktik der Geschichte an der Freien Universität, wirbt dafür, sexuelle Vielfalt in die einzelnen Fächer zu integrieren. Auf der Website „queerhistory.de“ liegen Vorschläge für den Geschichtsunterricht, die er mit Studierenden erarbeitet hat. Thomas Manns oder Virginia Woolfs homoerotische Romane ließen sich im Deutsch- und Englischunterricht unterbringen, die Verfolgung Schwuler beim Thema Menschenrechte. Über vielfältige Lebensweisen zu sprechen, sei schon in der Grundschule sinnvoll, sagen Experten: Jüngere Kinder hätten noch weniger Vorurteile.

Vorschläge gibt es viele, und queere Bildungsberater wie „Queerformat“, „ABQueer“ oder der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) geben gern Nachhilfe. Sie sind vom Senat beauftragt, Lehrer und Klassen zu begleiten. Dadurch bekommen Schüler Kontakt zu Menschen, die offen homo- oder transsexuell leben. Lehrer selbst outen sich meist nur gegenüber anderen Lehrern, weil auch sie Diskriminierung fürchten. Dabei wäre das in den Augen der Geschlechterforscher der einfachste Weg zu mehr Toleranz: Wenn Schüler Menschen kennen, die nicht heterosexuell leben, sind ihre Einstellungen automatisch positiver.

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