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Humboldt-Universität: Langer Abschied vom Sozialismus

Der Historiker Konrad Jarausch meint, die Humboldt-Universität habe sich nach 1989 nur zögerlich reformiert.

Mit zwei Diktaturen habe die Humboldt-Universität kooperiert – da könne es keine Selbstbeweihräucherung geben. Wolle sie eine Spitzenuni sein, müsse die HU eine neue Form wissenschaftlicher und demokratischer Exzellenz hervorbringen. Das betonte Konrad Jarausch, langjähriger Direktor des Zeithistorischen Zentrums Potsdam, im Rahmen einer Ringvorlesung über die Humboldt-Universität in der DDR und die Zeit der Reformen nach 1990.

Jarausch, der an einer Buchveröffentlichung über diese Zeit arbeitet, ließ keinen Zweifel daran, dass die Hochschule in der Zeit von 1989 bis 1991 viel zu zögerlich ihren Abschied vom Denken in den Kategorien des Sozialismus genommen hat, während andere Universitäten wie Jena und Leipzig mit ihren Reformen schon weiter vorangeschritten waren. Der Runde Tisch, der von dem Theologen und späteren HU-Rektor Heinrich Fink geleitet wurde, habe Reformschritte in einer weiter bestehenden DDR geplant und Statutendebatten ohne wesentliche praktische Folgen geführt. Im Gegensatz zum damaligen Dekan der medizinischen Fakultät, Harald Mau, der die Charité von Grund auf erneuern wollte, habe Fink so viel wie möglich vom Sozialismus retten wollen.

Jarausch erinnerte daran, dass die HU zwar die führende Universität der DDR sein sollte, aber trotz ihrer Ausrichtung auf den Marxismus-Leninismus und auf die sozialistische Planwirtschaft in ihrer Infrastruktur veraltet gewesen sei. Ihre Bibliothek sei von westlicher wissenschaftlicher Literatur abgeschottet gewesen. Erst mit dem Amtsantritt von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt 1991 und der Entlassung von Heinrich Fink aus dem Rektorenamt wegen dessen Stasi-Tätigkeit als IM 1992 habe sich die HU auf den Weg der Erneuerung begeben. Alle Professoren hätten sich auf ihre persönliche Integrität und Fachkompetenz überprüfen lassen müssen. Nur wer beide Prüfungen überstanden hatte, konnte erneut berufen werden.

Von den 388 Professoren, die nach dieser Erneuerung einen Ruf an die Humboldt-Universität erhalten hatten, stammten 44 Prozent aus dem Westen. Aber eine knappe Mehrheit für die Ostprofessoren war nicht in jedem Fach möglich. In ideologisch besonders belasteten Fächern wie Philosophie, Erziehungswissenschaften, Geschichte, Jura und Wirtschaftswissenschaften dominierten die Professoren aus dem Westen – besonders krass in den Erziehungswissenschaften, wo von 22 neu berufenen Professoren nur einer aus dem Osten kam. Von den höchstdotierten Professuren – den damals so genannten C-4-Professuren – kamen zwei Drittel aus dem Westen, bei den C-3-Professoren stammte wenigstens die Hälfte aus dem Osten.

Radikal war auch die Veränderung unter den Mitarbeitern. In der DDR dominierten wegen der intensiven Lehrbetreuung die Mitarbeiterstellen auf Dauer. Im Westen galten Mitarbeiterstellen dagegen als Qualifikationspositionen auf Zeit. Nach der Neustrukturierung blieben an der HU von mehr als 2000 Mitarbeitern des Jahres 1989 nur noch 453 übrig.

Scharfe Kritik übte Konrad Jarausch an den scharfen Finanzeinschnitten durch den Berliner Senat. Jarausch sprach von „verheerenden Sparmaßnahmen“. Die Humboldt-Universität sei so in ihrem Neuaufbau behindert worden. Im Kern sei aus den drei Universitäten – der Freien Universität, der Technischen Universität und der HU – eine ganze Universität herausgespart worden, und zwar durch Vernichtung von Studienplätzen und einen radikalen Abbau bei den Professorenstellen, besonders an der Freien Universität. Uwe Schlicht

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