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Nora Kreft hat die Liebe erforscht - für sie ein wichtiges Merkmal des Menschseins.

© privat

Humboldt-Universität zu Berlin: Den Gründen der Liebe auf der Spur

Die Philosophin Nora Kreft über Romantik, Ersetzbarkeit von Partnern und Freundschaft – und die Fähigkeit zu lieben.

Frau Kreft, der Begriff „Liebe“ kann in vielen Kontexten verwendet werden. Ich kann meinen Partner lieben, meine Katze oder Schokoladeneis. Was bedeutet Liebe aus philosophischer Perspektive?
Auch hier kann man die Liebe in verschiedenen Hinsichten betrachten. Ich kann fragen: Was ist romantische Liebe? Was ist Freundschaft? Was ist Liebe in der Familie? Haben diese Lieben etwas gemeinsam, oder ist es Zufall, dass wir sie mit dem gleichen Wort benennen? Können wir letztlich nur Personen lieben?

Also gibt es keine Definition?
Nein, es gibt nicht die Definition. Die Philosophie kämpft ja gerade um sie.

Platons Dialog Symposion gehört zu den bedeutendsten Schriften über Liebe und Erotik, darin äußern sich historische Personen.
Eine dieser Personen ist Diotima. Im Symposion sagt sie, dass Eros das Streben nach dem Guten ist, das allem weiteren Streben zugrunde liegt. Eros findet viele Ausdrucksformen, eine ist die Liebe zu einer anderen Person: Laut Diotima verlieben wir uns in andere, wenn wir glauben, dass sie uns zum Guten verhelfen. Einer Interpretation zufolge meint sie mit dem Guten das für uns Gute, und das besteht ihrer Meinung nach in Weisheit. Demnach verlieben wir uns in andere, wenn sie uns bei unserem Streben nach Weisheit helfen können.

Inwiefern sind diese antiken Konzepte für uns heute relevant?
Gerade Diotimas Idee ist relevant für uns, weil die Kritik an ihr wichtige Debatten inspiriert hat, beispielsweise die Diskussion um Unersetzbarkeit: Wenn wir andere lieben, weil sie uns helfen, weise zu werden, warum würden wir unsere Geliebten dann nicht gegen Personen eintauschen, die uns genauso behilflich sein könnten? Aber die Idee ist auch an sich spannend: dass Liebe etwas mit dem Wunsch nach Verstehen der Welt zu tun hat.

Aristoteles gab mehr auf die sogenannte philia, also auf Freundschaft und Zuneigung, statt auf eros, Erotik. Was unterscheidet die beiden?
Aristoteles unterscheidet zwischen Tugendfreundschaft und Nutzen- oder Lustfreundschaft. In ersterer schätzen sich die Freunde um ihrer selbst willen, in letzteren „nur“ aufgrund ihrer nützlichen oder lustbereitenden Eigenschaften. Wahrscheinlich wollte Aristoteles betonen, dass echte Freundschaft keine instrumentelle Beziehung ist. Das heißt aber nicht, dass sie nicht nützlich sein kann, und erst recht nicht, dass sie nicht lustvoll ist.

Was sind die bedeutendsten zeitgenössischen Ansätze in der Philosophie der Liebe?
Viel rankt sich um die Frage, ob Liebe Gründe hat. Harry Frankfurt behauptet, dass Liebe keine Gründe hat, sondern Gründe generiert. David Velleman sagt, dass Liebe den gleichen Grund wie Achtung hat: das Personsein der Geliebten.

Spielen hier Phänomene wie polyamoröse Beziehungsmodelle oder Dating-Portale eine Rolle?
In diesen Debatten spielt das keine große Rolle. Den meisten Theorien zufolge ist es überhaupt nicht ausgeschlossen, dass wir mehrere Personen zur gleichen Zeit und in der gleichen Weise lieben und für unersetzbar halten können, selbst wenn wir über romantische Liebe sprechen. Es ist eine interessante Frage, warum romantische Liebe oft noch exklusiv und monogam gelebt wird. Hat das etwas mit dieser Art von Liebe zu tun: Hat sie die Tendenz zur Exklusivität „in sich“ oder ist es einfach kulturell bedingt und könnte leicht anders sein?

Ist Liebe eigentlich gut?
Ich glaube, ja. Die meisten Menschen würden ein Leben mit Liebe einem Leben ohne die Erfahrung von Liebe vorziehen, selbst wenn die Liebe unglücklich macht. Das gilt es näher zu untersuchen: Warum wünschen wir uns Liebe? Gehört sie zum guten Leben? Wenn ja, was heißt das für das Wesen des Menschen? Damit beschäftigten sich schon Platon und Aristoteles.

Ist Liebe auch dann erstrebenswert, wenn sie abhängig, weniger autonom macht?
Liebe macht wahrscheinlich immer in gewisser Weise abhängig und verletzlich, gerade weil die geliebte Person unersetzbar ist. Ein Verlust kann nicht aufgewogen werden, er kann nur mit der Zeit weniger wehtun. Aber diese Form von Verletzlichkeit steht der Autonomie der Liebenden nicht unbedingt im Weg.

Kann jeder Mensch theoretisch lieben?
Intuitiv würde ich sagen: ja. Die Fähigkeit, zu lieben, kann vielleicht zeitweise verschüttet sein, aber im Prinzip kann jeder lieben – und das scheint auch ein wichtiges Merkmal des Menschseins zu sein.

Nora Kreft ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Philosophische Anthropologie der Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrer Dissertation hat sie die „zwischenmenschliche Liebe“ erforscht. Das Interview ist erstmals in der Beilage der HU zum Start des Wintersemesters 2016/2017 erschienen.

Michael Thiele

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