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Eva Inés Obergfell ist Professorin für Bürgerliches Recht und seit Juli 2016 Vizepräsidentin für Lehre und Studium. Zuvor war sie Prodekanin für Forschung.

© Promo/Urbschat Berlin

Humboldt-Universität zu Berlin: "Menschen entwickeln sich"

Die Vizepräsidentin der Humboldt-Universität, Eva Inés Obergfell, über ihr "4D-Programm" und was es für die Hochschule bedeutet

Frau Obergfell, bei Ihrer Wahl zur Vizepräsidentin haben Sie eine 4 D-Programmatik aufgestellt. Was hat es mit den „D“s auf sich?
Sie stehen für Differenzierung, Digitalisierung, Dialog und Durchlässigkeit und sind angelehnt an das Humboldtsche Ideal „Bildung durch Wissenschaft“.

Können Sie Differenzierung und Durchlässigkeit etwas näher erklären?
Zunächst zur Differenzierung: Ich möchte, dass die HU auf einer starken wissenschaftlichen Grundlage Kompetenzen für den Beruf vermittelt – und gleichzeitig gezielt und früh an Wissenschaft und Forschung heranführt. Dazu gehört es, Ausgründungen zu fördern, um eine engere Vernetzung in Gesellschaft und Wirtschaft zu erreichen. Studierende mit einer Neigung zu forschendem Lernen sollen schnell für eine Promotion begeistert und gefördert werden, so wie bei unserem Promotionsprogramm vor allem für Lehramtsstudierende. Durchlässigkeit verstehe ich umfassend mit Blick auf beruflich Qualifizierte, auf ausländische Studierende und Lehrende – und insbesondere auch auf Studierende, die keinen akademischen Hintergrund haben. Für sie gibt es beispielsweise das bei unserer zentralen Frauenbeauftragten angesiedelte Projekt „firstgen“. So ein Pilotprojekt würde ich gerne in der Fläche sehen.

Bleiben wir beim Studium ohne Abitur. Immerzu heißt es: Wir brauchen Bäcker, wir brauchen Handwerksmeister. Warum wollen Sie die jetzt ins Studium holen?
Natürlich brauchen wir Handwerksmeisterinnen und -meister, sei es nun im Bäcker- oder im Schreinerhandwerk. Die will ich keineswegs alle an die Universität holen. Denn unser duales Bildungssystem halte ich grundsätzlich für richtig. Aber ich bin der Meinung, dass diejenigen, die nach ersten Jahren im Berufsleben den Wunsch hegen, ihre Fähigkeiten wissenschaftlich zu fundieren, auch die Möglichkeit dazu haben sollten. Es geht darum, die grundsätzliche Gleichwertigkeit der jeweiligen Berufsqualifikation anzuerkennen. Menschen entwickeln sich und ich finde, die Universität sollte diesen Prozessen gegenüber offen sein.

Ein beliebter Vorwurf lautet: Wenn immer mehr Menschen immer höhere Abschlüsse erzielen, sind diese Abschlüsse immer weniger wert.
Das mag ein beliebter Vorwurf sein, der aber nicht stimmt. Universitäre Abschlüsse genießen nach wie vor hohes Ansehen. Für einen gelingenden Berufseinstieg kommt es immer noch auf Noten und individuelle Zusatzqualifikationen an – und darauf, eine umfassend gebildete Persönlichkeit vorzuweisen. Mit meiner Differenzierungsstrategie verfolge ich gerade das Ziel, die vom Wissenschaftsrat empfohlene Mehrfachanschlussfähigkeit von Abschlüssen zu fördern. Und ein Universitätsabschluss dieser Art ist nicht weniger, sondern mehr wert!

Sie selbst sind Juristin. Nun ist gerade Jura dafür bekannt, nicht gerade durchlässig zu sein. Soll das geändert werden?
Wenn Sie Durchlässigkeit im Sinne von Studieren ohne Abitur meinen: Es gibt durchaus Beispiele für Studierende, die etwa als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte begonnen haben und dann sehr erfolgreich im Jurastudium sind. Unter Durchlässigkeit verstehe ich aber weit mehr. Wenn ich etwa an Internationalisierung denke, ist unser Fach hier an der HU mit vielen ausländischen Erasmus- und Master-Studierenden oder auch unserem Deutsch-Französischen Rechtsstudium „BerMüPa“ sehr durchlässig.

Das größte Problem für Studierende ohne Abitur ist oft die Vereinbarkeit von Familie und Studium. Haben Sie da eine Maßnahme parat?
Den Nachteil, den studierende Eltern haben, gilt es umfassend auszugleichen. Das sieht auch die einschlägige Satzung unserer Universität vor. Konkret bedarf es einer juristischen Nachjustierung bei Studienverlaufsvereinbarungen und Auflagen im Rahmen von obligatorischen Studienfachberatungen. Gleiches ist bei Studierenden denkbar, die einen nahen Angehörigen pflegen.

Das Interview ist erstmals in der Beilage der Humboldt-Universität zum Start des Wintersemesters 2016/2017 erschienen.

Julius Heinrichs

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